Der Journalist und Autor Ronny Blaschke hat ein neues Buch über Kolonialismus und Rassismus im Fußball veröffentlicht. Im Interview mit unserer Redaktion sagt er, dass auch Deutschland noch einen langen Weg vor sich hat.
Herr Blaschke, vielen Dank, dass Sie mit uns über Ihr neues Buch sprechen. Warum haben Sie sich für dieses Thema entschieden?
Ronny Blaschke: Ich habe ja schon mal ein Buch geschrieben zum Thema Rassismus. Das ist jetzt 2007, also 17 Jahre her. Und in diesem Buch kam nicht einmal das Wort Kolonialismus vor oder vielleicht nur am Rande. Das heißt also, die historischen Fakten waren damals die gleichen, aber die Debatte war noch nicht so weit. Und wenn man fast 20 Jahre immer wieder über Rassismus berichtet, immer wieder über vermeintliche Skandale und sich von einer Empörung zur nächsten hangelt, dann muss man sich fragen, was fehlt denn da? Ich wollte einfach mal nach der Ursache fragen, woher kommt der Rassismus? Und natürlich landet man dann in der Kolonialzeit und darüber sprechen wir in der Kultur, in der Kunst, aber eben nicht im Fußball, obwohl es ohne die Kolonialzeit den Fußball nicht geben würde.
Warum ist der Fußball in dieser Hinsicht so rückständig im Vergleich zu anderen Bereichen wie Kunst oder Kultur?
Man könnte sagen, dass der Fußball, wie so oft, hinten dran ist. Das gilt ja für alle Debatten, ob Homophobie, ob Antisemitismus. Fußball ist bei den Menschen positiv besetzt, ist Hobby und Leidenschaft. Vielleicht ist es deshalb unbequem, darüber nachzudenken. Das merke ich auch an den ersten Reaktionen, auch von fortschrittlichen Leuten. Ach, Kolonialismus, das klingt so akademisch, das können wir unseren Fans nicht zumuten. Aber auch wir Deutsche haben Kolonien besessen, wir sollten darüber nachdenken.
Wieso fehlt in Deutschland dieser Schritt nach vorne?
Das große Thema in unserem Geschichtsunterricht sind Nationalsozialismus und Holocaust, das überstrahlt alles. Der Kolonialismus kommt nicht vor. Da ist Europa mit Französischer Revolution, Industrialisierung und Aufklärung und Europa wird als Zentrum der Welt dargestellt. Aber wir schauen zu wenig auf die Wurzeln unseres Wohlstands, für den Millionen Menschen versklavt und Rohstoffe und Kulturgüter im Wert von Billionen und aber Billionen Euro geraubt wurden. Und ja, im Fußball lassen wir den Funktionären diese Erzählung oft durchgehen.
Sie meinen, die Erzählung, dass der Fußball verbindet, bunt und divers ist. Und ja, die Teams sind divers und sie sind bunt. Und man kann das wunderbar als Marketing nutzen.
Aber dort, wo Entscheidungen getroffen werden, Manager, Schiedsrichter, Sportmedien, da ist er homogen weiß.
Haben Sie das Gefühl, dass der Fußball etwas verpasst, weil er sich nicht ausreichend mit diesen Themen beschäftigt?
Ich höre oft, früher war es schlimmer, vor allem in den 1990er Jahren. Ich bin in Rostock aufgewachsen, meine erste Zeit im Stadion war bei Hansa Rostock. Natürlich war da Rassismus sichtbar, hörbar und spürbar. Und dann sagen viele, das ist eine historisch abgeschlossene Phase. Ich würde das nicht so sehen, weil viele Menschen eine Einwanderungsgeschichte und damit verbundene Traumata haben. Die denken an sogenanntes Ausländerklatschen, an Neonazis. Wir können auch weiter zurückgehen zu den Gastarbeitern, die beim DFB willkommen waren, oder die Vertragsarbeiter in der DDR, die nicht am Spielbetrieb teilnehmen durften. Die Geschichte des deutschen Fußballs ist eine Geschichte des Rassismus und das spiegelt sich auch heute wider.
Wie zeigt sich das im deutschen Fußball?
Diese aktuelle Debatte (um die Umfrage über die Akzeptanz von nicht weißen Spielern in der Nationalmannschaft, Anm.d.Red.), das ist ein gutes Beispiel dafür.
Der DFB macht inzwischen gute Sachen, hat kluge Köpfe in seiner Struktur, aber offenbar reicht das Wissen nicht bis zum Bundestrainer. Der Bundestrainer möchte seine Mannschaft schützen, das ist sein gutes Recht. Aber er hat nicht die Autorität, diese Debatte abzuwürgen und Menschen mit Rassismuserfahrungen abzusprechen, darüber nachzudenken. Und dann hat man gesehen, wie einige Medien dann nur ein Interesse daran haben, ein Zitat aus den Spielern herauszubekommen. Sie könnten ja auch mal auf die Idee kommen, über die Ursache von Rassismus zu sprechen. Nein, sie machen die Umfrage zum Thema und nicht das Ergebnis. Wenn die Medien etwas diverser wären, würde es vielleicht ein bisschen anders aussehen.
Was kann man dagegen tun?
Wir haben immer wieder Kampagnen. Wir hatten 1993 schon die Kampagne "Mein Freund ist Ausländer". Und seitdem hangeln wir uns von einer Kampagne zur nächsten Kampagne. Ich bin dafür, nach einem halben Jahrtausend Kolonialismus endlich ins Handeln zu kommen, also eine vorübergehende bevorzugte Behandlung, Stipendien, Mentorenprogramme, vielleicht mal eine Quote einzuführen. Vincent Kompany als schwarzer Trainer jetzt beim FC Bayern ist zum Beispiel sehr wichtig. Wir müssen auch in den Führungsgremien diverser werde und da müssen wir leider ein bisschen nachhelfen. Wir sind die Meister der Symbolik, aber es muss unterfüttert werden mit Inhalten und konkreten Maßnahmen.
Was sollen die Leute im Idealfall von Ihrem Buch mitnehmen?
Selbst fortschrittliche Menschen wie du und ich tragen oft unbewusst Rassismus in sich, geprägt durch Jahrhunderte kolonialer Wissenschaft, die längst widerlegt ist. Etwa, dass Hautfarbe Einfluss auf Charakter oder Intelligenz hätte. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu werden und darüber nachzudenken. Würden Personen wie Julian Nagelsmann oder Joshua Kimmich mehr darüber wissen, hätte sie auf die Umfrage anders reagiert, hätten ihren Fokus auf einer anderen Schiene. Ich weiß, ich bin selbst ein weißer Mann und musste mich nie um Rassismus sorgen oder musternde Blicke ertragen, ich habe viel über meine eigenen Privilegien gelernt. Wenn wir alle darüber nachdenken, können wir einen Schritt nach vorne machen, auch wenn Rassismus weiterhin existieren wird.
Über den Gesprächspartner:
Ronny Blaschke legt als Journalist und Autor einen Fokus auf politische Themen im Sport. Neben "Spielfeld der Herrenmenschen" hat er weitere Bücher veröffentlicht, z.B. "Machtspieler. Fußball in Propaganda, Krieg und Revolution" oder "Angriff von Rechtsaußen. Wie Neonazis den Fußball missbrauchen". Blaschke wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
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