Der Sport scheitert mal wieder daran, Opfer und Betroffene zu schützen, die den Mut haben, Missbrauch anzuzeigen. Die Entscheidung des CAS, die lebenslange Sperre für Yves Jean-Bart aufzuheben, ist eine absolute Katastrophe.
Der Internationale Sportgerichtshof CAS hat die im November 2020 verhängte, lebenslange Sperre für Yves Jean-Bart, damals Chef des haitianischen Fußballverbandes, aufgehoben. Die Spieler*innenvertretung FIFPro und Human Rights Watch äußern sich entsetzt. HRW kritisiert außerdem die Fifa in klaren Worten: Die Entscheidung des CAS mache auf ein systematisches Versagen des Weltverbandes aufmerksam, dem es nicht gelinge, Strukturen zu etablieren, in denen Betroffene Missbrauch anzeigen können, ohne dabei selbst in Gefahr zu geraten. Wer den Fall verfolgt hat, kann über den CAS nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Die Suspendierung ignoriert
Erstmals hatten sich Betroffene Anfang 2020 an die Fifa gewendet und Missbrauch angezeigt. Im Mai waren Jean-Bart und mehrere der Vize-Präsidenten suspendiert worden. Zuvor hatte im April "The Guardian" über die Vorwürfe berichtet. Im Oktober 2020 informierte die "Deutsche Welle", Jean-Bart sei trotz der Suspendierung weiter auf dem Gelände des Leistungszentrums des Fußballverbandes FHF unterwegs – und auch in den Schlafsälen der Spielerinnen. Zudem soll der ehemalige Funktionär Morddrohungen gegen Opfer sowie Informant*innen geäußert und Pässe der Spielerinnen sowie teilweise ihre VISA für die USA einbehalten haben, um sie davon abzuhalten, gegen ihn auszusagen. Das berichteten ehemalige Funktionäre.
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Belästigt und vergewaltigt
Die Vorwürfe gegen Jean-Bart wogen und wiegen schwer. Nachdem im November 2020 die Fifa-Ethikkommission eine lebenslängliche Sperre ausgesprochen hatte, veröffentlichte die Fifa Anfang 2021 ihren 45-seitigen Bericht mit schockierenden Details. Insgesamt war von 34 möglichen Opfern sowie bis zu zehn Tätern, darunter Jean-Bart, die Rede. Die Betroffenen sprechen von einem ausgeklügelten Missbrauchssystem, von ungewollten Berührungen, Belästigungen, von Vergewaltigungen, Schwangerschaften und erzwungenen Abtreibungen. All das ist in diesem Bericht dokumentiert und dafür haben etliche junge Frauen unfassbar viel riskiert.
Die Spielerinnen, die Jean-Bart beschuldigen, waren zum Zeitpunkt der berichteten Vorfälle teilweise minderjährig. Betroffene sprechen außerdem von massiven Einschüchterungen und Morddrohungen gegen sich und ihre Familien. Human Rights Watch, FIFPro und Fifa haben mit zahlreichen Zeug*innen, Whistleblower*innen und Betroffenen geredet, die von einer Schreckensherrschaft reden, von der "Hölle auf Erden". Nachrichten, in denen Spielerinnen massiv bedroht und eingeschüchtert werden, liegen den Organisationen vor.
Versagen des Sports
Entsprechend entsetzt und emotional fallen die Reaktionen aus, nachdem der CAS die Sperre aufgehoben hat, weil er die Vorwürfe als unstimmig wertet. HRW kritisiert neben der fatalen Botschaft dieses Urteils speziell, dass nun all jene, die mutig genug waren, ihre Geschichte zu erzählen, in großer Gefahr schweben. Wenn die Fifa das Urteil nicht anfechtet, steht Jean-Bart außerdem der Weg zurück in den Verband offen. FIFPro stellt die Frage in den Raum, ob der Fußball in der Lage sei, Missbrauchsopfer überhaupt zu schützen.
Die Antwort ist so simpel, wie erschütternd: Nein. Und erfordert eine weitere Frage: Wenn der Sport selbst dann nicht in der Lage ist, Opfer und Betroffene zu schützen, wenn über einen so langen Zeitraum mit solcher Intensität zusammengetragen wurde, was diese Frauen erleiden mussten, wie soll es dann überhaupt gelingen? Wie sollen Betroffene nach diesem Urteil je wieder den Mut aufbringen, ihre Peiniger anzuzeigen? Und all das kratzt ja nur an der Spitze des Eisberges, denn neben Aufklärung muss es endlich darum gehen, Strukturen zu schaffen, in denen solche Taten gar nicht erst möglich sind. Das Urteil des CAS ist eine Katastrophe, es offenbart ein Versagen auf ganzer Linie. Diese Geschichte darf hier nicht enden.
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