Nach dem Desaster bei der Euro prasselte viel Kritik auf David Alaba ein. Jetzt soll der 24-Jährige neuer ÖFB-Kapitän werden. Aber hat er das Zeug dazu - oder fühlt er sich umgeben von Alphatieren doch wohler?

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Natürlich ist das unfair. Aber was ist schon gerecht im Fußball? Als Österreich Mitte Juni krachend aus der Europameisterschaft geflogen ist, Heerscharen von Fans den geordneten Rückzug aus Frankreich antreten mussten, als eine Fußball-Nation einmal mehr schwer geschlagen und gedemütigt darnieder lag, da dauerte es keine 24 Stunden, als die ersten Verantwortlichen für das Desaster gefunden wurden.

Natürlich war da der Trainer, Marcel Koller. Er hatte mit fragwürdigen Entscheidungen aus einer großen Euphorie eine große Verunsicherung erzeugt. Da war diese sehr österreichische Verlässlichkeit, in den entscheidenden Momenten wieder einmal zu versagen. Und Top-Spieler David Alaba konnte seine Leistung nicht abrufen.

Wenn es einen Spieler von Weltklasseformat im Kader gebe, dann ja wohl David Alaba. Das war der Tenor vor dem Turnier. Dann spielte der Gepriesene vier verschiedene Positionen in drei Spielen, setzte einen Schuss in der ersten Partie nach nicht einmal 20 Sekunden an den Pfosten statt ins Tor - und das Unheil nahm seinen Lauf.

Geblieben ist außer jeder Menge Schmäh und bitterer Enttäuschung eine Debatte, die sich bis jetzt hartnäckig hält. Und mit der zu erwartenden Nominierung Alabas zu Österreichs neuem Kapitän und dem Beginn der Bundesliga-Saison in Deutschland neu entflammt.

"Ich kann es mir sicherlich vorstellen. Ich denke, ich habe schon öfters bewiesen, dass ich die Mannschaft mit meinem Spiel führen kann", antwortete Alaba neulich in einem Interview mit dem "ORF" auf die Kapitänsfrage. Damit steht seine Sicht der Dinge ziemlich konträr zu jener, die Hans Krankl in den Tagen nach dem Ausscheiden bei der EURO formuliert hatte.

Scharfe Kritik von Krankl

"Alaba spielt bei Bayern viel besser, weil er dort von Europa- und Weltklasseleuten umgeben ist, von Ribery und Boateng. Dort spielt er eine ganz andere Rolle, nämlich keine. Und deshalb ist er so gut und als Außenverteidiger einer der besten Europas." Das saß und erhitzt seitdem immer wieder die Gemüter.

Krankl ist eine Ikone in Österreich, zumindest war er das als Spieler. In den letzten Jahren hat er sich dem Tagesgeschäft immer mehr abgewandt und sich auf seine Jobs als Experte versteift. Aber er bleibt einer der größten Spieler, die dieses Land je hervorgebracht hat - und sein Wort hat Gewicht.

Wie also umgehen mit einem, der bei seinem ersten großen Turnier weit unter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Der aber mit seinen 24 Jahren schon so oft zu "Österreichs Fußballer des Jahres" gewählt wurde wie kein anderer zuvor, nämlich fünf Mal? Und damit jetzt schon so etwas wie eine Ikone ist.

In den letzten Sequenzen der abgelaufenen Saison, als es für die Bayern um alles ging, da tauchte Alaba unter. Im Champions-League-Halbfinale gegen Atletico Madrid war er zweimal schwach, an beiden Gegentoren beteiligt. Beim Auswärtstreffer der Madrilenen in München rutschte ihm ein vergleichsweise leicht abzuwehrender Ball unter der Sohle durch. Und dieser Fauxpas wurde in Deutschland noch gar nicht mal groß thematisiert.

Aber Alaba wirkte überspielt, körperlich und geistig nicht frisch genug. Die EURO hat diesen Eindruck nur noch einmal bekräftigt. Er kam mit den körperlichen Anstrengungen zum Ende einer langen Saison nicht klar und wurde von der Erwartungshaltung in der Heimat beinahe erdrückt.

Zeit der Bestätigung

Jetzt beginnt nicht nur eine neue Saison, sondern für Alaba auch die Zeit der Bestätigung. Er ist jetzt nicht mehr der Jungspund, der frei aufspielen kann und im Schutz der Altvorderen auch mal Fehler begehen darf.

Pep Guardiola ist weg und damit auch ein Trainer, der große Stücke auf ihn baute und so flexibel einsetzbar machte, dass Alaba bis auf Torhüter quasi auf jeder Position spielen kann. Dass er seit seiner Vertragsverlängerung (bis 2012) im Frühjahr unter seinen Möglichkeiten spiele, dass seine Leistungen einen Knick bekommen hätten - dem widerspricht Alaba.

"Das sehe ich anders. Ich habe sicherlich auch letzte Saison einen Schritt nach vorne gemacht. Ich konnte mich als Person und sicherlich auch als Spieler weiterentwickeln und dazulernen." Innerhalb der Mannschaft rückt der Österreicher eine Stufe weiter nach oben. Das kann man spüren und auf dem Platz auch schon sehen. In einigen Vorbereitungsspielen trug Alaba die Kapitänsbinde am Arm.

Anschluss an die Mittelschicht

Bald geht die alte Generation von Bord, Philipp Lahm, Arjen Robben, Franck Ribery, Xabi Alonso. Die Mittelschicht rückt dann automatisch auf, Spieler wie Manuel Neuer, Jerome Boateng, Thomas Müller, Mats Hummels. Alaba hat den Anschluss an diese Gruppe geschafft. Er ist bei den Bayern nicht mehr eins der Nesthäkchen, die sich erst noch nach oben dienen müssen. So sieht das in der Theorie aus.

In der Praxis zählt einzig und allein die Leistung auf dem Platz. Und da wird sich Alaba wieder steigern müssen. Er wird in den großen Spielen da sein müssen und sich nicht verstecken. Bei den Bayern dürfte das leichter zu bewerkstelligen sein als in der ÖFB-Auswahl.

Da sind - und hier hat Krankl ganz sicher Recht - die Mitspieler nicht ansatzweise so gut wie in München. David Alaba wird lernen müssen, auch andere anzuleiten. Ihnen Halt und vielleicht auch Schutz zu geben und vorneweg zu marschieren, auch wenn es unangenehm wird. Vielleicht kann er beim FC Bayern damit anfangen und ein bisschen etwas davon rüber transportieren.

Anfang September geht es in der WM-Qualifikation wieder los, mit einer undankbaren Aufgabe in Georgien. Es ist die Stunde null für den österreichischen Fußball. Und irgendwie auch für David Alaba.

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