"Sein Herz schlägt für die Schweiz. Nicht für uns, nicht für Österreich!" So einfach kann man es sich machen, als Österreicher, der einem Schweizer die nötige Leidenschaft für seinen Beruf abspricht. Hans Krankl ist so zitiert worden, als sich die Debatten um Teamchef Marcel Koller auf einen neuen Höhepunkt zuspitzten. Nun tritt die Mannschaft unter ihrem Meister gegen Island an.
Im vergangenen Herbst gab es hitzige Diskussionen um Koller und dessen Weiterbeschäftigung beim ÖFB. Der Boulevard schoss immer heftiger gegen den Schweizer, eine Zeitung fuhr eine regelrechte Kampagne, bezichtigte Koller des Verrats, der Lüge und ohnehin sollte man den "Söldner" am besten "als Packerl an die Schweizer schicken". Selbst die lange zurückliegende Scheidung von seiner ersten Frau Jolanda, einer Österreicherin, war ein Thema.
Österreichs Schattenkabinett der Presse, das jahrelang nur zu gut von Insiderinformationen früherer Teamchefs gelebt hatte, fühlte sich offenbar persönlich beleidigt, weil sich Koller in Sachen Vertragsunterzeichnung eine Menge Spielraum ließ und nicht sofort einen neuen Kontrakt unterzeichnen wollte.
Dass der Schweizer plötzlich mit der Auswahl seines Heimatlandes und mit einem Klub aus der deutschen Bundesliga und damit mit den beiden Erzfeinden in Verbindung gebracht wurde, machte die ganze Angelegenheit nur noch delikater. "Er geht, weil er woanders 300.000 Euro mehr bekommt. Und Geld ist für einen Schweizer immer ein Motiv", war zu lesen.
Österreichs Fußball fehlt der Charakter
Als sich der Sturm gelegt hatte und Koller doch einer Verlängerung beim ÖFB bis 2015 zustimmte, wurde allen Ernstes gefordert, ihn zum "Ehren-Österreicher" zu ernennen. Denn "Menschen mit Charakter fehlen unserem Fußball".
Unstrittig dürfte sein, dass dem österreichischen Fußball ein Trainer vom Kaliber eines Marcel Koller viel zu lange gefehlt hat. Da kann der Boulevard noch so viel Stimmung machen und seine eigenen Leute ins Gespräch bringen. Österreichs Nationalteam hat unter dem Trainer Koller eine höhere Qualitätsstufe erreicht. Noch keine große Endrunde, aber fußballerische Fortschritte in so gut wie jedem Einzelbereich.
Sicherlich kommt Koller zugute, dass das Gros seiner Auswahl in den stärksten Ligen des Kontinents sein Geld verdient. Wäre es wie früher so, dass die meisten in der heimischen Liga aktiv wären, mit Star-Status und einer hundertprozentigen Stammplatzgarantie, gäbe es nicht die Dichte an gutklassigen Spielern, die der österreichische Fußball besitzt. Erst im Ausland holen sich Österreichs Elitekicker den Schliff, mit dem Koller dann an einem funktionierenden Kollektiv basteln kann.
Und tiefer als unter dem willfährigen Didi Constantini konnte der Fußball des Nationalteams auch kaum mehr sinken. Was Koller in Österreich in erster Linie vollbringt, ist klassische Aufbauarbeit - und die verspricht in ihrem Anfangsstadium immer die größten Schritte nach vorne.
Marcel Koller, ein Segen für Österreich
Das klassische Scheiberlspiel, jenes spielerisch anspruchsvolle, aber wenig zielführende Stilmittel früherer Generationen, gibt es unter Koller vom ersten Tag an nicht mehr. Das handwerkliche Rüstzeug muss stimmen, die Einstellung der Spieler zu den 90 Minuten auf dem Platz. Es ist ein Segen für Österreich, dass da einer von außerhalb gekommen ist und gezeigt hat, worauf es im modernen Fußball wirklich ankommt. Ganz objektiv, ohne Vorurteile oder Seilschaften im Rücken.
"Die alte Österreich-Mentalität war eher so, dass man ganz gut mitspielt, am Ende aber verliert", erklärte es Koller in einem Interview. "Inzwischen überwiegt das Bewusstsein: Wer vom Anpfiff bis Schlusspfiff Vollgas gibt, kann gewinnen. Wer dazwischen das Gefühl hat, sich zurücklehnen zu können, kann es nicht."
Es funktioniert noch längst nicht alles im ÖFB-Team. Die Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft in diesem Jahr hätte auch anders enden können als auf Platz drei. In den entscheidenden Spielen gegen Deutschland zu Hause und in Schweden fehlten Nuancen zum (Teil-)Erfolg. Die Schweden als Gruppenzweiter wären zu packen gewesen, das bewies nicht nur der Sieg in Wien gegen die Trekronor, der ganz Österreich im letzten Sommer ins WM-Fieber versetzte.
Koller hat es geschafft, der Mannschaft eine Balance zu verschaffen zwischen Offensive und Defensive. 20 geschossenen Toren (eins mehr als Schweden) standen nur zehn Gegentore gegenüber - so wenige wie Klassenprimus Deutschland kassiert hatte. "Wir sind besser organisiert und unser Spiel hat mehr Struktur", sagt Mittelfeldspieler Zlatko Junuzovic. Im Vorlauf zur Europameisterschaft 2016 hat Österreich schon mal einen sehr vernünftigen Start hingelegt. Das Länderspieljahr 2014 begann mit einem respektablen Remis gegen Uruguay, immerhin dem Vierten der letzten WM. Nun beginnt die Qualifikation für die EM-Endrunde in Frankreich.
Beste Chancen auf EM 2016?
"Wir sind eine junge Mannschaft mit einigem Potenzial. Bisher hat in den entscheidenden Momenten noch die Abgeklärtheit gefehlt. Ich hoffe, dass wir die durch die Erfahrungen der letzten beiden Jahre nun dazu gewonnen haben und den nächsten Schritt machen können", sagt Junuzovic.
In Gruppe G warten Russland, erneut die Schweden, Montenegro, Moldawien und Liechtenstein auf das ÖFB-Team. Keine leichten Lose, aber Österreich sollte mittlerweile genug Selbstbewusstsein entwickelt haben, sich nicht bereits im Vorfeld kleiner zu machen als es eigentlich ist.
"Wir können in der Gruppe bestehen, wenn wir unsere Leistung zu einhundert Prozent abrufen. In der abgelaufenen WM-Qualifikation hat das nicht gereicht, also müssen wir jetzt noch eine Schippe drauflegen", sagt Koller, der bis zum ersten Pflichtspiel noch die Testpartien gegen Island und Tschechien zur Verfügung hat. David Alaba sagt mit dem Selbstverständnis eines Triple-Siegers, dass sich Österreich "in dieser Gruppe vor niemandem verstecken braucht. Russland und Montenegro sind zwar richtig starke Gegner, aber wir können ihnen, wenn wir auf unsere Stärken bauen, auf Augenhöhe begegnen. Und natürlich haben wir mit Schweden noch eine Rechnung offen."
Begeisterung in Rot-Weiß
Mindestens genauso wichtig ist in Kollers "zweiter Ära" aber die Fortentwicklung der Mannschaft in den kommenden Jahren. Auch deshalb zeigte sich ÖFB-Präsident Dr. Leo Windtner erleichtert, als sein er von Koller die entscheidenden Signale vernehmen konnte. "Der ÖFB steht für Kontinuität und diese ist mit dieser Entscheidung des alten und neuen Teamchefs gegeben. Ich sehe diese Entwicklung für die Mannschaft, aber auch für den ÖFB, sehr positiv."
Der Verband wirbt für seine Nationalmannschaften mit dem Slogan "Begeisterung in Rot-Weiß-Rot". Die Erwartungen der Fans sind mittlerweile gewachsen, das dürfte klar sein. Österreich hat jetzt aber auch eine Mannschaft beisammen, die dem Druck standhalten kann.
Die Chancen auf die erste selbst erwirkte Teilnahme überhaupt bei einer EM stehen gar nicht so schlecht. Und sollte sich Österreich tatsächlich für Frankreich qualifizieren, bleibt der Schweizer noch eine Weile länger: Dann verlängert sich Marcel Kollers Vertrag automatisch um ein Jahr bis 2016.
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