Die zwei tollen Länderspiele und der Einzug in die Mini-EM "Final Four" täuschen nicht über Unzulänglichkeiten hinweg, die das Team von Bundestrainer Nagelsmann noch immer zeigt

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Deutschland darf sich freuen: Die Nationalmannschaft hat Italien in den zwei Viertelfinalspielen der Nations League bezwungen - mit 2:1 beim Hinspiel am Donnerstag und gestern Abend mit 3:3 beim Rückspiel in Dortmund.

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Ein Duell im Wechselbad der Gefühle. Zuerst die beste Halbzeit nach Jahren mit dem Duseltor beim Eckball von Joshua Kimmich auf Jamal Musiala. Danach die Horror-Halbzeit, als man die Drei-Tore-Führung verspielte.

Jetzt zieht das DFB-Team nicht nur ins Halbfinale ein, sondern darf die Mini-EM ("Final Four") sogar Anfang Juni in München und Stuttgart ausrichten. Das Publikum wird die Nagelsmann-Truppe gebührend feiern.

Das taten die Zuschauer schon beim Italien-Spiel, bevor es zur Halbzeit 3:0 stand, und sangen: "Ein Tag, so wunderschön wie heute". Dummerweise kommt man an sechs unangenehme Wahrheiten nicht vorbei.

  • Zwei der vier Halbzeiten gegen Italien hat Deutschland verloren: die erste in Mailand (0:1) und die zweite in Dortmund (0:3). Am Ende entschied ein einziger Treffer über das Weiterkommen. Bei aller Euphorie: Sowas erdet.
  • Vier der fünf deutschen Tore fielen nach Standardsituationen. Allein das Kleindienst-Kopfballtor gestern wurde erspielt. Es mangelt immer noch am Torabschluss, wenn man am Drücker ist.
  • Umgekehrt kassierte Deutschland nur ein einziges Standardtor. Bei den drei übrigen Toren nutzten die Italiener Schwächen in der scheinbar sicheren Innenverteidigung mit Antonio Rüdiger und Jonathan Tah.
  • An allen fünf Toren war Kapitän Joshua Kimmich beteiligt: mit vier Vorlagen und einem Elfmetertor. Wehe, er fällt als Antreiber mal aus. Die meisten gefährlichen Momente gingen allein von ihm aus.
  • Das mit Leroy Sané wird nichts mehr. Sein Fehlpass zum Gegentor war gestern Resultat seiner Unkonzentriertheit. So wie immer. Und zwei, drei gute Aktionen kompensieren nicht seinen permanenten Leerlauf.
  • Nach dem Sané-Fehler gewann Italien Oberwasser. Die Deutschen schwammen auch deshalb, weil drei Dortmunder (Groß, Schlotterbeck, Adeyemi) auf dem Platz standen. Das ist zweimal Mittelmaß zu viel.

Der Halbfinalgegner am 4. Juni ist Portugal mit dem alternden Cristiano Ronaldo. Im Endspiel wartet der Gewinner aus dem zweiten Halbfinalspiel Spanien gegen Frankreich. Aber man darf die Mini-EM nicht zu ernst nehmen.

Das wichtigste Ziel ist die Weltmeisterschaft 2026 in Nordamerika. Das Final-Four-Turnier ist das, was früher der Confed-Cup war: ein Sommerturnier zum Warmlaufen. Das Abschneiden sagt nichts über den Leistungsstand aus.

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2017 gewannen die Deutschen den Confed-Cup in Russland. Und schieden ein Jahr später mit Pauken und Trompeten in der WM-Vorrunde aus. Es war die größte WM-Blamage der DFB-Geschichte.

Vielleicht war Zitterpartie gegen Italien der Weckruf zur richtigen Zeit. Ähnliches ist ja schon 2012 passiert: Damals vergeigte Deutschland ein 4:0 gegen Schweden und spielte 4:4. Und wurde zwei Jahre später Weltmeister.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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