Die DFB-Elf bekommt seit einiger Zeit zu viele Gegentore. Bundestrainer Julian Nagelsmann will bei der EM den Fokus nicht auf die Abwehr legen. Warum das Personal auf Vereinsebene, aber nicht bei der DFB-Elf funktioniert.

Eine Analyse
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Er scheint selbst resigniert zu haben. So zumindest lässt sich der Satz von Bundestrainer Julian Nagelsmann nach der 0:2-Niederlage gegen Österreich am Dienstag lesen, der vielen im Gedächtnis bleiben wird: "Wir werden auch im Sommer kein Verteidigungsmonster werden", sagte er und meinte damit – in weiser Voraussicht – die Leistung der deutschen Nationalmannschaft bei der Heim-EM im kommenden Jahr.

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Lange schon gibt es keine Konstanz mehr in der Abwehr. In diesem Jahr kassierte die deutsche Nationalmannschaft 22 Gegentore, nur gegen Peru direkt im März gab es keinen Gegentreffer. Gegen Japan waren es sogar vier, zuletzt drei gegen die Türkei und zwei gegen Österreich. Woran das liegt.

Warum die Defensive nicht funktioniert: Zu viele personelle Wechsel, zu wenig Abstimmung

In jedem Länderspiel 2023 sah die Abwehrkette anders aus. Konstanz Fehlanzeige. Anfang des Jahres gehörten Marius Wolf, Matthias Ginter und David Raum fest dazu – in den Spielen danach wurden sie fast gar nicht mehr berücksichtigt. Antonio Rüdiger spielte anschließend fast immer, aber auch immer mit anderen Abwehrpartnern: In der Dreierkette mal mit Ginter und Schlotterbeck, mal mit Malick Thiaw und Thilo Kehrer. In der Vierkette standen ihm in der Innenverteidigung mal Niklas Süle, dann Jonathan Tah und Mats Hummels zur Seite.

Auch die Außenverteidiger variierten: von Joshua Kimmich über Robin Gosens bis Kai Havertz. Eine gesetzte Dreier- oder Vierer-Abwehrkette gab es in diesem Jahr schlicht nicht. Die vielen personellen Wechsel erklären, warum es keine Abstimmung geben kann. Jonathan Tah sprach zuletzt von einem "mannschaftstaktischen" Problem. "Dafür arbeiten wir hier aktuell, um die Abläufe im Detail besser zu machen." Bevor die Abstimmung im Detail funktionieren kann, müssen zunächst grundlegende Abläufe stimmen.

Konstanz und Form: Andere Voraussetzungen in den Vereinen

In ihren Vereinen haben Spieler wie Antonio Rüdiger und Jonathan Tah andere Voraussetzungen. Beide sind etwa stabile Stammspieler bei Real Madrid und Bayer Leverkusen, haben aber in ihren Vereinen oft dieselben Kollegen um sich herum, mit denen sich Abläufe einspielen können.

Hinzu kommen (überwiegend individuelle) andere Faktoren: Spieler wie Niklas Süle spielen auch in ihren Vereinen nicht konstant. Robin Gosens, Emre Can, Kai Havertz und Joshua Kimmich bekleiden bei ihren Klubs andere Positionen, in der Regel sind sie offensiver ausgerichtet. 2014er-Weltmeister Mats Hummels absolvierte zwei Länderspiele in diesem Jahr – und war davor zwei Jahre kein Teil des Teams. Auch Benjamin Henrichs fehlte dem DFB-Team lang, absolvierte in der letzten Zeit nur wenige Spiele. Thiaw etwa stand im DFB-Trikot überhaupt erst dreimal auf dem Platz.

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Die Probleme zeigen bereits auf, was besser werden muss: Es braucht mehr Konstanz in der Abwehr, damit eine gute Abstimmung entstehen kann. Das bestätigt zum Beispiel auch Ex-Welt- und Europameister Jürgen Kohler: "Es ist zu wenig zu sagen, wir haben keine Verteidigungsmonster. Dann müssen das eben üben!", sagte er. Es gebe in der Nationalmannschaft viele individuell gute Spieler, aber "keine Mannschaft, die füreinander und miteinander spielt." Dazu zählt er auch neben der Routine die "Bereitschaft zu arbeiten und der unbedingte Wille zu verteidigen."

Diese Einsatzbereitschaft müsse Bundestrainer Julian Nagelsmann vor allem in Gesprächen vermitteln. Für Rekordnationalspieler Lothar Matthäus zähle neben einem "Kern-Kader" auch ein "System", auf das sich Nagelsmann festlegen müsse, wie er in seiner "Sky"-Kolumne schrieb. Zumindest in der Theorie sind einige Kritikpunkte beim DFB angekommen. "Wir müssen die fünf bis zehn Prozent an Leidenschaft, an Energie, an Dynamik in das Spiel bringen", sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler.

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