Auch im vergangenen Jahr schritt die Entwicklung des Fußballs der Frauen rasant voran. Rekorde wurden geknackt, große Fußballfeste gefeiert. Und dennoch blieb es auch 2023 ein Kampf für Frauen im Fußball.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sabrina Schäfer sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Aus deutscher Sicht war 2022 natürlich ein viel erfolgreicheres Jahr. Das DFB-Team erreichte das EM-Finale und im Schatten der strauchelnden Männer fanden viele deutsche Fußballfans in den Frauen ein Team, das den Support verdient hatte.

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2023 schied man hingegen bei der WM in Australien und Neuseeland bereits in der Vorrunde aus, Trainerin Martina Voss-Tecklenburg leistete sich einen leider eher unwürdigen Abschied und nun ist es an Interimstrainer Horst Hrubesch erneut Euphorie im deutschen Frauen-Team zu entfachen.

Aber die sportlichen Aspekte sind nur ein Teil des großen Ganzen und Deutschland ist nicht die Welt. Im Fußball der Frauen wurden in diesem Jahr an vielen Orten und in vielerlei Hinsicht Geschichte geschrieben.

Rekorde, Rekorde, Rekorde

Da wären einmal die Zuschauerrekorde bei der WM, in der Champions League und auch in der deutschen Bundesliga, die Rekordprämien, die die Fifa bei der WM an die Verbände gezahlt hat, die herausragenden TV-Quoten. Aber Rekorde sind dazu da, um gebrochen zu werden und die Entwicklung des Fußballs der Frauen geht in eine Richtung, die zumindest andeutet, dass das Ende der Möglichkeiten noch nicht erreicht ist.

Noelle Maritz spielt beim FC Arsenal und erlebt in England hautnah mit, welches Tempo der Fußball der Frauen bei seiner Entwicklung vorlegt. "Wir haben gesehen, dass sich vor allem in England die Zuschauerzahlen und das ganze Drumherum krass gesteigert haben", erzählt die Schweizerin im Gespräch. Die englischen Nationalspielerinnen würden inzwischen sogar in der Stadt erkannt.

Auch die deutschen Nationalspielerinnen dürften kaum noch unerkannt durch die Innenstädte des Landes gehen können. Denn die verpatzte WM führte nicht etwa zu einem Abbruch des Interesses an den DFB-Frauen. Gespannt verfolgten Deutschlands Fußballfans die Entwicklungen rund um Ex-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg und der Interimsverpflichtung von Deutschlands Darling Horst Hrubesch. Das sehen Online-Medien an den Abrufzahlen der Artikel. Die sportliche Misere wird ähnlich genüsslich seziert wie bei den Männern. Und das ist zwar nicht ausschließlich, aber irgendwie doch positiv zu sehen.

Die Frauen halten Einzug in deutschen Wohnzimmern, wenn Fußball läuft, wird zugeschaut. Ob bei einer WM, EM oder drum herum. Beim Nations-League-Showdown gegen Dänemark sahen im ZDF 4,3 Millionen Menschen zu. Rekord außerhalb eines großen Turniers.

Die Medien im Fokus

Christina Rann ist an vorderster Medienfront dabei. Sie kommentierte das Champions-League-Finale der Frauen zwischen Barcelona und Wolfsburg bei DAZN. Die Atmosphäre im Stadion beschreibt sie gegenüber unserer Redaktion als "einmalig".

Und einmalig ist auch die Vernetzung vieler Frauen in den Medien. Während bei Männern häufig der Konkurrenzkampf vorherrscht, bilden sich bei den Frauen in den sozialen Medien und außerhalb regelrechte Hype-Banden. Die Erfolge der anderen werden gefeiert, nicht beneidet. Eine Erfahrung, die auch Rann machte, als sie bei der WM die Spiele des DFB-Teams und der Schweiz für einen kanadischen Sender kommentierte. "Ich war mit vielen anderen Frauen weltweit vernetzt, wir haben uns ausgetauscht und gegenseitig unterstützt. Das ist auch meine generelle Wahrnehmung, da geht was!", erklärt sie gegenüber unserer Redaktion.

Noch läuft nicht jedes Spiel der Frauen im linearen TV, aber es werden mehr. Auch weil der Druck höher ist, die Aufregung größer, das mediale Interesse nicht mehr nur rudimentär vorhanden.

Dennoch ist Fußballkommentatorin Rann mit den deutschen Medien unzufrieden: "Wenn ich auf das quantitative und das qualitative Verhältnis der Sportberichterstattung über Sportlerinnen und Sportler allgemein schaue, dann kann ich von keinem guten Jahr sprechen, da die Schere noch zu weit auseinandergeht", bemängelt Rann. Über die Leistungen der Frauen im Sport werde viel weniger berichtete "und wenn häufig trivialisiert".

Doch es ist wichtig, auch die Erfolgserlebnisse zu sehen: Als kurz vor der WM der TV-Blackout drohte, weil Fifa und die öffentlich-rechtlichen Sender partout nicht auf einen Nenner kommen wollten, dominierte das Thema die Sportschlagzeilen – mit einem guten Ende und Rekordeinschaltquoten bei der WM, trotz der enttäuschenden deutschen Leistung.

Die Frauen entdecken ihre Macht

Nur ein Beispiel von vielen in diesem Jahr, in dem die Frauen im Fußball ihre neue Macht entdeckten. Bereits im Februar streikten die Kanadierinnen, wenig später auch die Französinnen. Bei den einen ging es um bessere Bezahlung, bei den anderen um eine professionellere Behandlung. In beiden Fällen mussten ranghohe Menschen von ihren Posten zurücktreten und die Spielerinnen beendeten ihren Streik.

"Irgendwann hat man als Mannschaft und als Spielerin die Nase voll."

Noelle Maritz

"Irgendwann hat man als Mannschaft und als Spielerin die Nase voll und will etwas tun, damit man bessere Strukturen und Bedingungen bekommt", glaubt Noelle Maritz. "Ich glaube, man weiß heutzutage inzwischen, dass wenn man ein bisschen Aufstand macht, wird das gehört, die Themen erscheinen in den Medien und dann müssen die Verbände reagieren."

Haben die Spielerinnen im Fußball also so viel Macht wie noch nie zuvor? Schon, glaubt auch die langjährige Bayern-Spielerin Viktoria Schnaderbeck. "Sie haben deswegen so viel Macht, weil sie wahrgenommen und wertgeschätzt werden", erklärt sie im Gespräch. Selbst Menschen, die Frauenfußball nicht mögen, müssten inzwischen respektieren, "dass es tolle Zuschauerwerte gibt, dass der Frauenfußball attraktiv ist, dass es mehr Sponsoren und höhere Einschaltquoten gibt". Über diese Fakten könnte man nicht hinwegsehen. "Das erhöht den Druck." Was Schnaderbeck jedoch herausstellt: Es brauche Persönlichkeiten, "die bereit sind, diesen Kampf anzunehmen".

Die Türen müssen eingerannt werden - nur klopfen reicht nicht

Trotz der rasanten Entwicklung geht es nicht ohne Kampf. Oder um es mit den viel kritisierten Worten von Fifa-Chef Gianni Infantino zu sagen: "Ihr Frauen habt die Macht, uns Männer davon zu überzeugen, was wir zu tun und zu lassen haben. Macht es einfach. Mit Männern, mit der Fifa, werdet ihr immer offene Türen vorfinden. Öffnet die Türen einfach." So richtig kann sich Infantino scheinbar nicht entscheiden, ob die Türen denn nun offen sind oder von den Frauen geöffnet werden. Eine Rolle spielt das jedoch nicht, denn die Realität sieht ohnehin anders aus. Türen öffnen sich nicht nur nicht, es wird sich teilweise aktiv dagegengestemmt. Noch immer wollen viele nicht sehen, dass Frauen im Fußball ihre Berechtigung haben. In den vergangenen Jahren haben schon viele hoch qualifizierte Frauen an verschiedenste Türen geklopft. Doch noch immer schwimmen die Entscheidungsgremien am liebsten in ihrem eigenen Testosteronsaft. Gell, Lise Klaveness?

Die Macht der Frauen überrascht so manchen Mann

Umso überraschender muss es für so manchen Mann kommen, wenn man sich plötzlich nicht mehr alles erlauben kann, wonach früher kein medialer oder sonst irgendein Hahn krähte. Und so dachte Luis Rubiales doch wirklich noch tagelang, sein Übergriff auf Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung der WM könne doch jetzt unmöglich in seinem Rücktritt enden. Wie eine Cartoonfigur über einer Schlucht an einen immer instabiler werdenden Zweig klammerte sich Rubiales an sein Präsidentenamt, während auf Spaniens Straßen Frauen gegen das Machotum demonstrierten und die Welle der Empörung längst durch die ganze Welt schwappte. Am Ende brach der Zweig und Rubiales musste gehen.

"Dass das spanische Nationalteam nach ihrem Streik diesen Erfolg feiern konnte, ist hoch anzurechnen."

Christina Rann

Da hatte er jedoch längst die Euphorie, die Freude über den spanischen Weltmeistertitel mit sich gerissen. "Vielleicht hat es aber auch diese Bühne gebraucht, als einen Notruf sozusagen", versucht Schnaderbeck den Skandal positiv umzudeuten. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Maritz: "Klar will man nie, dass es so weit gehen muss, damit es endlich eine Veränderung gibt und der Verband einem auch zuhört. Die spanischen Nationalspielerinnen haben aber am Ende das erreicht, was sie haben wollten". Und auch Christina Rann zieht etwas Positives aus dem unsäglichen Vorfall. "#Contigojenni war mehr als nur ein Hashtag und das ist gut so. Ich meine damit die weltweite
Unterstützung für Jenni Hermoso", erklärt Rann. "Noch vor wenigen Jahren hätte man sich dazu nicht geäußert. Dass das spanische Nationalteam nach ihrem Streik diesen Erfolg feiern konnte, ist hoch anzurechnen."

Aber was ist die Lehre aus dem Fall Rubiales, aus den anderen Streiks, aus Infantinos Aufforderung doch bitte weiter selbst die Türen zu öffnen? Der Weg scheint zumindest in der nächsten Zeit weiter mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.

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Will man alles, was die Männer haben?

Doch welchen Weg will man sich eigentlich ebnen, wo soll die Entwicklung noch hingehen? Ist der Himmel die Grenze, will man alles, was die Männer haben? Irgendwie schon. Schließlich bedeutet das im eigentlichen Wortsinn Gleichberechtigung. Gleiche Chancen, gleiche Gehälter, gleiche Professionalität. Und doch warnt Schnaderbeck davor, dass der Fußball der Frauen "nicht die Bodenständigkeit verliert und die Natur, die den Frauenfußball ausmacht". Die ehemalige Kapitänin des ÖFB-Teams ist sich allerdings sicher, dass auf die lange Sicht die Nahbarkeit ohnehin leiden wird. "Auch zum Schutz der eigenen Person." Spannend werde es mit der nächsten Spielerinnengeneration, glaubt Schnaderbeck. Sie hält es für wichtig, "auch den nachfolgenden Generationen klarzumachen, woher man kommt und wofür man gekämpft hat". Dafür gesehen zu werden, ohne die eigenen Werte zu verraten.

"Ich glaube, es ist wichtig, auch den nachfolgenden Generationen klarzumachen, woher man kommt, wofür wir gekämpft haben."

Viktoria Schnaderbeck

Und zu diesen eigenen Werten gehört auch, dass sich Menschen aus LGBTQ+-Spektrum beim Fußball der Frauen aufgehoben, zugehörig und nicht diskriminiert fühlen können. Der Fußball der Frauen war seit jeher und viel mehr als bei den Männern geprägt von gegenseitigem Respekt und Toleranz für alle Lebensformen. Je weiter man sich dem Fußball der Männer annähert, desto mehr droht man jedoch diese Insel der Glückseligen zu verlassen.

Mehr Beleidigungen, weniger Gehalt

Bei der WM in Australien und Neuseeland hat jede fünfte Spielerin Hasskommentare in den sozialen Medien erhalten. Das ergab eine Analyse der Fifa und der internationalen Spielervereinigung Fifpro.

Insgesamt 152 Spielerinnen fanden demnach "diskriminierende, beleidigende oder bedrohende Nachrichten" in ihrem Postfach. Fast die Hälfte dieser Nachrichten wurden homophob, sexuell oder sexistisch eingeordnet. Es sind die Schattenseiten der steigenden Popularität und wohl der Grund, warum Schnaderbeck der Nahbarkeit im Frauenfußball keine Zukunft einräumt: "Wenn man in den sozialen Medien dann plötzlich zwei, drei Millionen Follower hat, vielleicht auch schon ein "Stalking-Objekt" ist, darf man das nicht unterschätzen. Aber das betrifft aktuell noch einzelne Personen. Aber wenn es dann zukünftig 50, 10, 500 Spielerinnen sind, die das betrifft, dann nimmt die Nahbarkeit ab. Auch zum Schutz der eigenen Person."

Deutschlands Nationalspielerin Svenja Huth traf erst kürzlich der Hass ewig Gestriger, als der DFB ein Bild von ihr mit Frau und Kind postete.

Schon fast kurios an der ganzen Geschichte: Die Studie ergab zudem, dass das Risiko für WM-Spielerinnen im Internet beleidigt zu werden 29 Prozent höher lag, als bei den Männern bei der WM 2022.

Weniger Gehalt, dafür mehr Beleidigungen. Schlechtere Bedingungen, dafür mehr Kampf. Nach dem Jahr 2023 ist festzuhalten: Vieles geht für Frauen im Fußball in die richtige Richtung, aber bei weitem noch nicht alles. Oder um es mit Christina Ranns Worten zu sagen: "Mein Wunsch für die Zukunft wäre, dass man Räume von Menschen respektiert. Ja, die Zeiten haben sich geändert, die gewohnten patriarchalen Strukturen brechen immer mehr auf und wir können gemeinsam etwas verändern. Es ist aber noch viel zu tun."

Quellen:

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