Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Super League hat für jede Menge Wirbel und Diskussionen gesorgt. Wir haben mit dem Sportpolitik-Experten Jürgen Mittag darüber gesprochen, was das Urteil bedeutet, wie bahnbrechend es ist und welche Folgen es hat.
Die Deutungen kamen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs reflexartig. Und da es im Sport traditionell immer einen Gewinner geben muss, reklamierten die Beteiligten den Sieg umgehend für sich. "Der Fußball ist frei", jubelte Bernd Reichart, Geschäftsführer der Sportmarketingagentur A22. UEFA-Präsident Aleksander Ceferin entschied sich für Spott.
"A22 hat ein Geschenk unter dem Weihnachtsbaum gefunden. Wenn sie es aufmachen, werden sie merken, dass nicht viel drin ist." Der Fußball bleibe vereint, erklärte er, und scherzte: "Ich hoffe, dass sie ihren fantastischen Wettbewerb so bald wie möglich mit zwei Klubs starten."
Fakt ist: Der EuGH stellte in seinem Urteil einen "Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung" durch UEFA und FIFA fest. Heißt: Konkurrenzprodukte können nicht einfach verboten werden. Die klagende Agentur A22, hinter der die verbliebenen Befürworter FC Barcelona und Real Madrid stehen, präsentierte dann auch gleich eine Neufassung des Projekts, das 2021 noch krachend gescheitert war.
Das Urteil sorgte in der Sportwelt für jede Menge Wirbel, weil es so nicht erwartet wurde. Doch die Tatsache, dass sich die Beteiligten allesamt als Sieger sehen, verdeutlicht die Komplexität des Themas. Es geht um europäisches Wettbewerbsrecht, und in Kombination mit dem Sport gibt es dabei nicht immer schwarz oder weiß. Der Tenor, dass das Urteil ein Sieg für die Super League und eine Schlappe für die UEFA sei, sei dann auch zu einfach, wie Sportpolitik-Experte Jürgen Mittag im Gespräch mit unserer Redaktion betont.
Eine Verkürzung des Urteils
"Das wäre eine Verkürzung des Urteils", sagte er. "Das wesentliche Ergebnis des Urteils wird sein, dass es ein noch stärkeres, konfliktbehaftetes Ringen um die Ausgestaltung der Wettbewerbsregelung des europäischen und des internationalen Fußballs sowie des gesamten Sports gibt." Denn bei dem Urteil geht es nicht nur um UEFA und FIFA, sondern um den gesamten Sport, das Urteil hat eine übergreifende Gültigkeit.
Mittag überrascht die Entscheidung nicht, vielmehr spiegele sie das Ringen um Ressourcen und finanzielle Möglichkeiten wider. Und im Grunde bleibe alles so, wie es sei, so Mittag: "Das Urteil eröffnet aber durchaus die Grundlage für noch intensivere sportpolitische Auseinandersetzung. Der Sport wird komplizierter und konfliktreicher."
Ebenfalls reflexartig wurden Erinnerungen wach an den Dezember 1995, wie heute war es kurz vor Weihnachten, als der Europäische Gerichtshof mit dem Bosman-Urteil den internationalen Fußball schockte. Wie bahnbrechend ist das jetzige Urteil in der aktuellen Gemengelage im Vergleich mit 1995?
"Bosman hat den internationalen Sport vom Kopf auf die Füße und zurückgestellt. Das würde ich von diesem Urteil nicht erwarten", sagt Mittag: "Auf der anderen Seite ist dieses Urteil durchaus substanziell dahingehend, dass den Verbänden klar an die Hand gelegt worden ist, dass es so nicht weitergeht."
Keine Ausnahmerolle für den Sport
Konkret stellt der EuGH klar, dass der Sport keine Ausnahmerolle einnimmt, sondern dass sich Verbände auch an geltendes Wettbewerbsrecht halten müssen. Es wird also automatisch zu mehr Wettbewerb kommen, die Monopolstellungen von UEFA und auch FIFA wurden aufgeweicht. Aber eben nicht komplett gekippt.
Stattdessen wird es zu einer Reform der Verbandsarbeit kommen, die den Sport aber nicht völlig verändern wird. Um es plakativ auszudrücken: UEFA, FIFA und Co. müssen ihre Hausaufgaben machen, können sich aber theoretisch bei richtiger Ausgestaltung innerhalb des Wettbewerbsrechts immer noch relativ frei bewegen.
"Der Europäische Gerichtshof baut Brücken, wie der Sport trotzdem mit einer gewissen Spezifizität agieren kann, indem er die Regularien, die er selbst entwickelt, so transparent, so fair und so offen gestaltet, dass sie innerhalb des Wettbewerbsrechts trotzdem akzeptabel und annehmbar sind", sagt Mittag. Heißt: Die Verbände sind nun zum Handeln gezwungen, "ihnen wird aber nicht prinzipiell die Rolle genommen, bei entsprechend transparenter Ausgestaltung weiterhin als zentrale Akteure im Spiel zu agieren."
Zwei Beispiele: Die Internationale Eislauf Union (ISU) erlitt 2020 vor dem EuGH eine Niederlage, weil sie Athleten sanktionierte, die an nicht von der ISU anerkannten Wettkämpfen teilnahmen. Die UEFA hatte im Zusammenhang mit einer Einführung der Super League mit Ausschluss aus den eigenen Wettbewerben gedroht. "Die Verbände werden schauen müssen, unter welchen Rahmenbedingungen und unter welchen Kriterien solche Vorgehensweisen erlaubt sind", so Mittag. Und das mit bereits erwähnter Transparenz.
Es gibt weiter Möglichkeiten
Daneben gibt es aber trotzdem weiterhin Möglichkeiten, bestimmte Restriktionen zu begründen. "Eine ganz entscheidende Brücke", so Mittag, sei die solidarische Umverteilung der finanziellen Mittel, "mit denen man Zugangsmöglichkeiten verhindern und das auch begründen kann". Das passiere im Moment aber nur begrenzt. "Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, dass eine größere Solidaritätsklausel eingeführt wird, die das Financial Fairplay legitimiert und rechtfertigt", so der Experte von der Sporthochschule Köln.
Das zeigt, wie komplex das Ganze ist, denn die Justiz löst Probleme oder Situationen selten mit einem Federstrich, sondern verlangt meistens eine fallbezogene und immer wieder neu zu justierende Regelung. Es geht um Feinabstimmungen, um konkrete Ausgestaltungen, um spezifische Regularien, die immer wieder neu verhandelt werden müssen.
Doch wie geht es nun weiter? Auf was müssen sich Fans einstellen? Die gute Nachricht: Die Super League wird wohl erst einmal nicht kommen, was die spontanen Statements der großen Player durchweg verdeutlichen. Dabei ist der Einfluss der Fans nicht zu unterschätzen. Sie hatten bereits die ursprünglichen Pläne durch lautstarke Proteste platzen lassen. Und alleine die Aussicht auf erneute Auseinandersetzungen mit den eigenen Anhängern hält Vereine davon ab, sich zu einem neuen Anlauf zu bekennen.
Das stärkt die Position der Fans, hat aber auch Grenzen. "Da fehlt es noch an politischer, rechtlicher und strategischer Expertise, um mit UEFA und FIFA auf Augenhöhe zu agieren", so Mittag. Trotzdem geht die aktuelle Tendenz scheinbar weg von noch mehr Kommerz, "man will bei gewissen Basisbezügen und Werten im Sport bleiben", so Mittag.
Drohpotenzial als Waffe
Klar bleibt: Im Fußball geht um jede Menge Geld, um Milliarden, und die Moral bleibt dann oft und gerne auf der Strecke. Hinter den Kulissen wird es daher rund gehen, denn die Vereine dürften durch das Urteil Blut geleckt haben. "Wahrscheinlich werden wir das Drohpotenzial der Vereine als Waffe erleben", glaubt Mittag.
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Dass die Klubs aus einer durch das Urteil gestärkten Position heraus beispielsweise mit einer Abspaltung drohen, um gewisse Zugeständnisse zu erreichen. Was man auch Erpressung nennen könnte. "Und das ist natürlich schwierig für die Verbände, die durch das Urteil aus einer defensiveren Position agieren. Deshalb wird es wahrscheinlich mehr Konflikte geben", so Mittag.
Er geht davon aus, dass die Gerichte weiter gefordert sein werden, "dass die ganze Bandbreite der Instrumentarien zum Tragen kommen wird. Proteste, Demonstrationen, Urteile, aber auch Lobbypolitik im Hinblick auf eine Einflussnahme der Öffentlichkeit, auf Journalisten, aber auch Fanorganisationen. Es wird ein stärkeres konfliktbehaftetes Ringen um Interessen, um Positionen und am Ende um Entscheidungen geben". Ob es dann irgendwann einen Gewinner geben wird, bleibt aber abzuwarten.
Über den Gesprächspartner
- Jürgen Mittag ist als Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln tätig. Der Titel der Professur "Sportpolitik" passt perfekt zu seinem Werdegang. "Für mich eine ziemlich perfekte Quintessenz meiner bisherigen Studien und akademischen Stationen", sagt Mittag. Das Institut des 52-Jährigen trägt den Titel eines Jean Monnet-Lehrstuhls und zielt damit auf ein besseres Verständnis der Europäischen Union ab, indem verstärkt europäische Themen vergleichend in Forschung und Lehre untersucht werden.
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