Bayern-Star Michael Olise trifft für Frankreich spektakulär per direktem Freistoß. Was genau diesen ausmacht – darüber haben wir uns mit einem ehemaligen Freistoß-Experten der Bundesliga unterhalten. Das Interview mit Christian Pander.

Ein Interview

Frankreich steht nach einem Elfmeterkrimi gegen Kroatien im Halbfinale der Nations League. Nach einem 0:2 im Hinspiel brachte Bayern-Star Michael Olise die Équipe Tricolore am Sonntagabend mit einem sehenswerten direkten Freistoß in Führung.

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Für den FC Bayern traf Olise in dieser Saison ebenfalls schon per direktem Freistoß – und auch bei seiner vorherigen Station Crystal Palace gelang ihm dieses Kunststück einige Male.

Ohne Zweifel, Olise gehört zu den gefährlichsten Freistoß-Schützen der Bundesliga – der Franzose tritt damit in die Fußstapfen von unter anderem Christian Pander. Der ehemalige Bundesligaprofi galt jahrelang als Freistoß- und Standard-Experte – wir haben mit dem mittlerweile 41-Jährigen gesprochen und ihn gefragt, was den perfekten Freistoß ausmacht.

Freistoß-Experte Christian Pander im Interview

Herr Pander, gibt es Ihrer Meinung nach den perfekt getretenen Freistoß und wenn ja, wie sieht er aus?

Perfekt ist natürlich ein großes Wort, aber solange der Ball im Tor liegt, ist er erstmal perfekt. Das ist ja das Ziel. Dementsprechend ist der perfekte Freistoß der, der ins Tor geht.

Auf was muss man beim Schießen eines Freistoßes achten – welche Dinge sind besonders wichtig?

Ich habe mich sehr viel und intensiv mit Freistößen auseinandergesetzt. Nicht nur während meiner Karriere, sondern auch danach. Viele Faktoren sind in erster Linie individuell. Zunächst einmal brauche ich eine gewisse Konzentration und Vorbereitung. Diese Vorbereitungszeit vor dem Schuss bedeutet, dass ich mir alles schon mal vor dem geistigen Auge abspiele. Ich glaube, dass das beim Freistoß wahnsinnig hilfreich ist. Dann ist die Schusstechnik natürlich alles entscheidend. Da gibt es verschiedene Varianten, wie man den Ball schießen kann – zum Beispiel mit sehr viel Schnitt oder dem Vollspann. Dann geht es auch darum, erstmal zu scannen, wo der Torwart und die Mauer steht. In vielen Fällen sucht man sich dann einen Spieler in der Mauer aus, über den man schießen will.

Christian Pander beim Freistoß
Die Freistöße von Christian Pander waren in der gesamten Bundesliga gefürchtet. © imago/Ulmer

Das heißt, man peilt eigentlich gar nicht das Tor an, sondern geht auf den Spieler, der in der Mauer steht?

Die Variante gibt es. Bei mir war es tatsächlich so, dass ich das Tor ausgeblendet habe. Für mich war die Mauer eigentlich nie da, weil ich mir immer sicher war, dass ich eh drüberkomme. Und dann braucht man einfach wahnsinnig viel Gefühl. Auch wenn es sich ein bisschen esoterisch anhört: Ich brauche das Gefühl für den Moment. Beim Freistoß passiert alles im Bruchteil einer Sekunde, sodass man eigentlich alles intuitiv machen muss. Deswegen glaube ich auch, dass der Zauber mehr in der Vorbereitung als der Ausführung liegt.

Pander über Ronaldo: Alles andere als Show

Sie haben auch zweimal per direktem Freistoß im Derby gegen Dortmund getroffen, als sie für Schalke gespielt haben. Das Revierderby ist bekannt für seine oftmals hitzige Atmosphäre. Wie haben Sie es da geschafft, runterzukommen und die Gedanken vor dem Freistoß zu sammeln?

Vor dem Spiel und auch, wenn ich irgendwo unterwegs und gedankenversunken war, habe ich mir Freistöße vorgestellt. Es ist die Reinform des mentalen Trainings, sich das vorzustellen, was man dann auf dem Platz ausführen kann. Dann geht es natürlich darum, für sich den perfekten Ablauf zu finden. Ich glaube, das prägendste Beispiel dafür ist Cristiano Ronaldo. Ich sehe das anders als viele andere, die sagen er macht da nur Show. Ich glaube, er bringt sich genau dadurch in die Position, den bestmöglichen Freistoß zu schießen. Also wirklich volle Konzentration.

Cristiano Ronaldo
Cristiano Ronaldo kurz vor dem Freistoß: Diese Pose kennt jeder Fußballfan. © IMAGO/ActionPictures

Sie haben schon gesagt, dass Sie sich intensiv mit dem Thema Freistoß beschäftigt haben. Wie kam es dazu, dass Sie zu einem der Freistoß-Spezialisten der Bundesliga geworden sind?

Der Anfang lag in der Jugend, als ich wahnsinnig viel auf dem Bolzplatz war und gemerkt habe, dass ich ein gewisses Talent zum Schießen habe – verteidigen eher weniger. Dementsprechend hatte ich immer den Standpunkt, dass ich versucht habe, die Stärken, die man hat, zu verbessern, anstatt sich damit zu beschäftigen, was die Schwächen sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass man ein besserer Spieler wird, wenn man eine überragende Fähigkeit hat, als wenn man keine Schwäche hat, in allem aber nur mittelmäßig ist.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe versucht, immer weiter daran zu feilen – natürlich auch nach den Trainingseinheiten, soweit das möglich war. Es ist einfach wahnsinnig viel Training und Übung. Ich denke, man kann das mit dem Golfspiel vergleichen. Jeder kann sich gut vorstellen, was passiert, wenn man den Golfball einen Millimeter zu weit rechts trifft. Das hat dann eine große Auswirkung, wenn er 200 Meter später runterfällt. So ähnlich ist es auch im Fußball, das heißt, man muss sehr viel trainieren und ein Gefühl dafür entwickeln, wie ich den Ball bestmöglich treffen kann, sodass er auch da hinfliegt, wo ich ihn hinhaben will.

"Bei ihm gab es einen ganz bestimmten Bewegungsablauf. Wenn wir das in einen anderen Kontext setzen würden, dann ist das Kunst."

Christian Pander über die Freistöße von David Beckham

Jetzt haben Sie es gerade schon angeschnitten: Reicht Talent oder Übung alleine aus, um ein guter Freistoßschütze zu werden?

Nein, eins von beiden reicht nicht aus – ich glaube auch, dass man das Talent in gewisser Weise vernachlässigen kann. Man spricht ja immer von diesen 10.000 Stunden zur Perfektion. Ich weiß nicht, ob das wissenschaftlich bewiesen ist, aber ich finde den Gedanken auf jeden Fall sehr gut, dass es einfach Zeit und viel Übung braucht, um am Ende irgendetwas richtig gut zu können.

Hatten Sie in Ihrer aktiven Zeit oder in Ihrer Jugend Freistoß-Vorbilder, an denen Sie sich orientiert haben?

David Beckham war immer der, zu dem ich aufgeschaut habe. Ich hatte auch großes Glück, dass ich nochmal gegen ihn spielen durfte im Herbst seiner Karriere. Das war immer der, bei dem ich versucht habe, mir etwas abzuschauen. Zudem hatte ich mit Lincoln einen in der Mannschaft, der auch überragende Freistoße schießen konnte – der von der Technik her aber ganz anders geschossen hat als ich.

Christian Pander und David Beckham
Im August 2007 spielte Christian Pander gegen sein großes (Freistoß-)Vorbild David Beckham. © imago/Sven Simon

Würden Sie sagen, Beckham ist der beste Freistoßschütze aller Zeiten?

Ja, Beckham war schon der Beste aus meiner Perspektive. Bei ihm gab es einen ganz bestimmten Bewegungsablauf. Wenn wir das in einen anderen Kontext setzen würden, dann ist das Kunst. Es sieht sehr rund aus, als wäre er dafür geboren, einen Freistoß zu schießen.

Am 18. September 2004, also vor über 20 Jahren, haben Sie Ihr erstes Bundesligator geschossen. Wie es sein muss, natürlich mit einem direkten Freistoß gegen Borussia Mönchengladbach. Können Sie sich noch gut an den Moment erinnern?

Ja, ich kann mich in der Tat daran erinnern. Das Gefühl war natürlich überragend, weil es ziemlich am Anfang meiner Karriere war. Ich hatte noch nicht ganz so viele Spiele gemacht und dann zu Hause bei uns in der Arena überhaupt mal ein Bundesliga-Tor zu schießen – und dann auch noch einen Freistoß – das war einfach ein Mega-Gefühl. Ich habe mir dadurch auch direkt ein gewisses Standing in der Mannschaft erarbeitet. Gerade als junger Spieler, wenn du die Freistöße schießen darfst, dann musst du auch abliefern – da kriegst du keine 20 Chancen.

Ein Tor machte Pander urplötzlich in ganz Deutschland bekannt

Keinen Freistoß, sondern ein anderes Tor dürften die meisten Fußballfans in Deutschland auch heute noch mit Ihrem Namen in Verbindung bringen – und zwar Ihren Distanzschuss in Wembley gegen England, das dann gleichzeitig auch noch der entscheidende Treffer war. War das aus Ihrer Sicht das schönste Tor Ihrer Karriere?

Ja, das war schon das schönste Tor, muss ich sagen. Auch weil es ein Tor aus dem Spiel heraus war, wo ja alle immer gedacht haben, dass ich nur Freistöße schießen kann.

Christian Pander
Schuss ins Glück: Christian Pander (l.) erzielt gegen England den entscheidenden Treffer. © imago/Sportimage

Welchen Tipp geben Sie Kindern oder Jugendlichen, die bessere Freistoßschützen werden wollen?

Als erstes rausgehen und üben, üben, üben. So häufig wie es geht, einfach schießen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, um daran zu feilen und zu arbeiten. Ich glaube, das Wichtigste ist einfach, dass man so viele Schüsse wie möglich macht. Außerdem ist das Mentale wichtig: Auch wenn sich das für viele verrückt anhört, ist es ja wissenschaftlich bewiesen, dass es hilft. Es gibt viele wissenschaftliche Studien darüber aus verschiedensten Sportarten, dass sich alleine durch Vorstellungen der Handlungen in den Gedanken diese Handlung auch entsprechend verbessert. Dementsprechend wären das die beiden ultimativen Tipps am Ende.

Sie haben eine eigene Firma, die Fußballcamps für Kinder anbietet. Seit diesem Jahr sind Sie damit auch für die Fußballschule von Preußen Münster verantwortlich. Erzählen Sie gerne kurz von der neuen Aufgabe.

Vor etwa sechs Jahren habe ich eine gemeinnützige Firma gegründet, mit der wir Fördertraining anbieten. Das heißt ganz klassisch einmal die Woche ein Extratraining – vereinsunabhängig, also für alle Kinder, die einfach Lust haben, ein bisschen mehr zu machen. Daraus sind dann Fußballcamps entstanden und seit diesem Jahr haben wir mit dieser Firma quasi die Preußen-Münster-Fußballschule übernommen. Ich bin echt froh, dass das geklappt hat, weil das für beide Parteien der logische nächste Schritt war und wir da wirklich eine Win-Win-Situation geschafft haben.

"Ich habe das immer kategorisch ausgeschlossen."

Christian Pander über eine Rückkehr in den Profifußball

Letzte Frage: Können Sie sich eine Rückkehr in den Profifußball vorstellen – vielleicht ja als Standard-Trainer?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich hatte in den letzten zehn Jahren diverse Anfragen, da war alles dabei – von Sportdirektor, über Trainer und Co-Trainer, auch aus allen möglichen Ligen. Ich habe das immer kategorisch ausgeschlossen.

Warum?

Weil ich mich nach der Karriere für einen selbstbestimmten Weg entschieden habe. Mir ist auch die Gemeinnützigkeit sehr wichtig. Ich möchte etwas tun, wo ich die Menschen unterstützen kann – am liebsten Nachwuchsfußballer, die Bock haben, sich weiterzuentwickeln. Dementsprechend habe ich mich gegen den "Stress" entschieden – ich war da viele Jahre drin und hatte auch tolle Jahre, die aber auch sehr herausfordernd waren. Da sind andere Dinge in meinem Leben ein bisschen zu kurz gekommen. Ich hatte dann den Entschluss gefasst, dass mir andere Sachen einfach wichtiger sind – also vor allem mehr Zeit mit der Familie. Ich verstehe jeden, der sagt, nach dem Fußball will ich im Fußball bleiben. Aber ich habe einen anderen Weg gewählt und den habe ich in den letzten zehn Jahren auch nicht bereut.

Über den Gesprächspartner

  • Christian Pander (Jahrgang 1983) ist ein ehemaliger Bundesligaprofi, der in seiner Karriere unter anderem für den FC Schalke 04 sowie Hannover 96 spielte. In der Saison 2010/11 wurde er mit Schalke DFB-Pokalsieger. Für die deutsche Nationalmannschaft lief er zweimal auf, dabei erzielte er ein Tor. 2016 beendete Pander seine Spielerkarriere.

Verwendete Quellen

Teaserbild: © picture alliance/DPPI media/Nathan Barange