Die Unparteiischen stehen bei dieser EM bislang nur selten im Fokus. Beim Handspiel müssen sie eine Regeländerung umsetzen. Und wenn sie versehentlich den Ball berühren, sind sie nicht mehr immer „Luft“ wie früher.
Nach zehn absolvierten Spielen bei dieser Europameisterschaft lässt sich mit Blick auf die Schiedsrichter als erstes kleines Zwischenfazit festhalten: Sie machen ihre Sache bislang wirklich gut. Nur selten sorgten ihre Entscheidungen für Gesprächsstoff, die Fehlerquote ist gering.
Es fällt auf, dass die Unparteiischen insgesamt eine recht großzügige Linie bei der Zweikampfbewertung verfolgen. Das kommt dem Spielfluss zugute und hat bisher nicht zu unnötigen Härten geführt. Die Spieler sind dankbar, dass die Referees viel laufen lassen.
Auch die beiden deutschen Schiedsrichter tragen ihren Teil zum guten Gesamteindruck bei. Der erfahrene Felix Brych überzeugte in der Partie Niederlande – Ukraine (3:2) genauso wie Daniel Siebert bei seinem EM-Debüt. Er brachte die Begegnung zwischen Schottland und Tschechien (0:2) souverän über die Runden.
Zu den wenigen wirklich umstrittenen Entscheidungen der Unparteiischen zählte eine, zu der es kurz vor der Halbzeitpause im Eröffnungsspiel zwischen der Türkei und Italien (0:3) kam. Sie betraf wieder einmal das Dauerthema Handspiel.
Aufregung um ein Handspiel im Eröffnungsmatch
Ausgangspunkt der Szene war eine Flanke, die Leonardo Spinazzola fast von der Torauslinie vor das türkische Tor schlagen wollte. Doch der zwei Meter entfernte Zeki Çelik bekam den Ball an den rechten Unterarm, der in einem 90-Grad-Winkel vom Oberkörper abstand.
Die Italiener protestierten vehement, aber Schiedsrichter Danny Makkelie zeigte sofort an, dass weitergespielt wird. Auch die obligatorische Überprüfung der Szene durch den Video-Assistenten führte nicht zu einer Empfehlung an den Unparteiischen, sich den Vorgang noch einmal selbst am Monitor anzusehen.
Das dürfte so manchen gewundert haben, schließlich gab es in ähnlich gelagerten Fällen in der jüngeren Vergangenheit regelmäßig Strafstöße. Denn eine Armhaltung wie die von Çelik wurde oft als „Vergrößerung der Körperfläche“ bewertet und daher geahndet.
Die Regelhüter vom International Football Association Board (IFAB) haben die Handspielregel jedoch kürzlich ein weiteres Mal geändert. Die davor gültige Fassung galt gerade einmal zwei Jahre lang. Sie war im Bemühen, besser messbare Kriterien zu schaffen, ellenlang geraten und teilweise missverständlich formuliert.
Warum die Handspielregel erneut geändert wurde
Der starke Fokus auf die Armhaltung eines Spielers beim Handspiel führte oft zu Elfmetern, die viele als zu streng empfanden. Denn bisweilen war ein abgespreizter Arm lediglich die Folge eines normalen, fußballtypischen Bewegungsablaufs und kein Indiz dafür, dass ein Spieler den Ball aufhalten oder ablenken wollte.
Nun hat das IFAB die Handspielregel stark gekürzt und das Kriterium der Absicht wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Die Regeländerung gilt erstmals bei dieser EM, danach auch in der Bundesliga und in allen anderen Wettbewerben.
Die „Vergrößerung der Körperfläche“ ist zwar immer noch strafbar – aber nur dann, wenn sie sich nicht aus einer normalen Körperbewegung ergibt, sondern unnatürlich ist.
„Unnatürlich“ bedeutet: Der Spieler spreizt den Arm nicht ab, um etwa die Balance zu wahren, Schwung zu holen oder weil er in der Laufbewegung ist, sondern um gegebenenfalls den Ball aufzuhalten. Der Ermessensspielraum des Schiedsrichters ist dadurch wieder größer geworden.
Schiedsrichter Makkelie hat einen Maßstab gesetzt
Zeki Çelik hat davon profitiert. Er war in einer natürlichen Laufbewegung, seine Armhaltung war entsprechend. Er hat den Arm auch nicht zum Ball geführt und nicht angespannt, wie es Spieler tun, die in Kauf nehmen, die Kugel mit der Hand abzulenken.
Sein Unterarm wurde vielmehr ein Stück weggeschleudert, als der Ball auftraf. Auch das ist ein Indiz, dass das Handspiel nicht beabsichtigt war. Wenn nicht alles täuscht, dann hat Danny Makkelie im Sinne der neuen Handspielregel entschieden.
So sah es auch Lutz Wagner, Cheflehrwart des DFB und bei diesem Turnier der Schiedsrichterexperte der ARD. Makkelie hat gleichzeitig einen Maßstab gesetzt: In ähnlich gelagerten Fällen bei der EM sollte nun genauso entschieden werden.
Der Schiedsrichter ist nicht mehr immer „Luft“
Überrascht waren manche Zuschauer womöglich darüber, dass die Schiedsrichter nicht mehr immer „Luft“ sind, wenn sie vom Ball getroffen werden. Jahrzehntelang galt: Wird der Unparteiische angeschossen, dann läuft das Spiel einfach weiter. Doch seit zwei Jahren ist das anders.
Nunmehr gilt, dass das Spiel in den folgenden drei Fällen unterbrochen wird, wenn der Referee oder einer seiner Assistenten den Ball berührt:
- Der Ballbesitz wechselt dadurch.
- Eine Mannschaft löst nach diesem Ballkontakt einen aussichtsreichen Angriff aus.
- Der Ball geht vom Schiedsrichter ins Tor.
Es gibt dann einen Schiedsrichterball, wobei den Ball ein Spieler desjenigen Teams bekommt, das ihn zuletzt berührt hat. Wird der Unparteiische dagegen vom Ball getroffen und es kommt zu keinem dieser drei Fälle, dann geht das Spiel weiter wie früher.
Wann es einen Schiedsrichterball gibt
So war es im Eröffnungsspiel, als Danny Makkelie von einem italienischen Spieler angeschossen wurde, Italien jedoch in Ballbesitz blieb und nicht unmittelbar ein Angriff folgte.
Anders verhielt es sich dagegen in der Begegnung England – Kroatien (1:0): Schiedsrichter Daniele Orsato war bei einem kroatischen Angriff nicht gut positioniert und berührte an der Strafraumgrenze unfreiwillig den Ball. Die Kugel sprang danach zwar zu den Kroaten zurück, doch diese drangen sofort in den englischen Strafraum ein.
Damit war ein aussichtsreicher Angriff gegeben, den der Unparteiische begünstigt hatte. Folgerichtig unterbrach er das Spiel und setzte es mit einem Schiedsrichterball wieder fort. Hier erkannte man gut den Sinn der Regel: Wäre das Spiel weitergelaufen und hätte Kroatien ein Tor erzielt, dann hätte der Referee gewissermaßen die Vorlage gegeben. Und das wäre nicht im Sinne des Fußballs gewesen.
Bislang schaltete sich der VAR nur einmal ein
Kaum in Erscheinung getreten sind bislang die Video-Assistenten, die in den Räumlichkeiten der UEFA im schweizerischen Nyon die Spiele verfolgen. Lediglich im Spiel Wales – Schweiz (1:1) gab es einen VAR-Eingriff, als ein Tor für die Schweiz aus Abseitsposition erzielt worden war. Die Empfehlung eines On-Field-Reviews war bislang nicht nötig.
Und so kann Roberto Rosetti, der Schiedsrichter-Chef der UEFA, mit seinen Unparteiischen nach vier Turniertagen zufrieden sein. Vor der EM hatte er angekündigt, die Schiedsrichter würden das Halten und Stoßen im Strafraum konsequent ahnden.
Ebenso seien sie aufgefordert, unnachgiebig gegen Simulationen, harte Fouls und das Bedrängen der Unparteiischen vorzugehen. Diesbezüglich gab es jedoch kaum etwas zu tun. Die Spieler scheinen die Ansage verstanden zu haben. Bisher jedenfalls.
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