Bei der EM kann man einen respektvolleren Umgang zwischen Spielern und Schiedsrichtern beobachten. Das liegt an der "Only the Captain speaks"-Regel. Aber auch daran, dass offenbar ein Umdenken stattfindet. Dass diese Regel funktioniert, hat aber einen viel größeren Einfluss, als es auf den ersten Blick scheint.
Rodri schüttelte mit dem Kopf, denn viel hatte der spanische Superstar von Manchester City gar nicht gemacht. Es gab nach einer Entscheidung eine Diskussion mit dem Schiedsrichter, nichts Wildes, denn das ist ja das bekannte Bild aus den Stadien dieser Welt. Doch der Mittelfeldspieler erhielt dafür von Schiedsrichter Slavko Vincic im Spiel gegen Italien umgehend die Gelbe Karte. Eine übertriebene Reaktion des Referees? Nein, eine regelgerechte.
Denn bei der EM dürfen nur noch die Kapitäne der Mannschaften mit dem Schiedsrichter diskutieren, also Entscheidungen hinterfragen und sich diese erklären lassen und möglicherweise auch einen Einwand vorbringen. Ist der Torhüter der Kapitän, wird im Vorfeld ein Feldspieler als Ansprechpartner bestimmt.
"Only the Captain speaks" nennt sich das Pilotprojekt der Europäischen Fußball Union (UEFA). Deshalb gab es bei der EM oft das Bild, dass der Spielführer seine Teamkollegen vom Referee weggeschoben hat, um alleine mit ihm zu sprechen. Umgekehrt gehen die Schiedsrichter aber auch proaktiv auf die Kapitäne zu, um ihre Entscheidung zu erklären.
Es geht respektvoller zu
Was tatsächlich auffällt: Es geht respektvoller zu auf den Plätzen. Gelbe Karten wegen Meckerns gibt es immer noch, dafür aber bislang keine Rudelbildungen, die stets ein ganz schlechtes Bild auf Teams und Spieler werfen. Es wirkt und ist auch schlicht gesitteter, wenn sich ein Spieler alleine mit dem Schiedsrichter auseinandersetzt als eine Horde, die den Spielleiter wutentbrannt umringt.
"Ich bin nicht überrascht", sagt Alex Feuerherdt, Kommunikationschef der DFB Schiri GmbH, im Gespräch mit unserer Reaktion. Er sieht gleich mehrere Gründe für die bis jetzt gut angelaufene Umsetzung. Zum einen natürlich eine drohende Sperre bei der EM, die gibt es bereits nach zwei Verwarnungen. Wie es scheint, hält das einige, die früher Diskussionen angefangen hätten, davon ab, den Schiri zu bedrängen. Denn "Aufwand" und "Ertrag" stehen da in einem krassen Missverhältnis.
Zum anderen wurde die Regelung durch die UEFA intensiv vorbereitet, die Umsetzung erfolgt dazu auf einer großen Bühne. Außerdem machen es die Schiedsrichter selbst auch gut, sie nutzen die Möglichkeit, auf dem Platz selbst das Gespräch zu suchen. Der vielleicht wichtigste Punkt: "Es scheint, als finde bei dem Thema generell ein Umdenken statt", beobachtet Feuerherdt.
In der abgelaufenen Saison in der Bundesliga wurden rund 25 Prozent der Gelben Karten wegen Unsportlichkeiten gezeigt, also wegen Meckerns, Rudelbildung, Spielverzögerung oder des Anlaufens des Schiedsrichters.
Und offenbar dreht sich die Stimmung, denn immer mehr Bundesliga-Trainer sind wohl einverstanden damit, dass so etwas schärfer sanktioniert wird, wie man hinter den Kulissen hört. Und nicht nur dort. "Generell finde ich die Regel gut, sehr gut. Es wird einfach zu viel gelabert im Fußball, auch von mir. Das sind nicht nur die Spieler, das ist auch bei mir so", sagte Bundestrainer
Früher war das Verständnis weit verbreitet, dass ein Schiedsrichter Probleme und Diskussionen auf dem Platz mit seiner Persönlichkeit und nicht mit Karten regelt. Schnell wird auch das Argument angeführt, Emotionen gehören zum Sport dazu, und dass man sie durch eine Vorgabe wie die "Captains-only"-Regel zu sehr eindämme. Doch de facto sind diese Art von Emotionen Unsportlichkeiten.
Nur der Status Quo
Wichtig zu wissen: Die aktuelle Einschätzung bildet den Status Quo ab, doch natürlich ist Fußball ein dynamisches und emotionales Spiel, das Turnier noch in vollem Gange, weshalb es interessant sein wird zu sehen, wie respektvoll es in der K.o.-Runde zugehen wird, wenn es um alles oder nichts geht, wenn die Emotionen bei einer strittigen Entscheidung wirklich hochkochen.
"Viele Spieler schauen im Moment, wie die Schiedsrichter reagieren, wo sie die Grenzen ziehen. Somit wird auch vieles ausgetestet und wir werden abwarten müssen, bis man eine endgültige Bewertung vornehmen kann", so Feuerherdt. "Denn wenn in der K.o.-Runde noch mehr auf dem Spiel steht, ändert sich der Erfahrung nach immer nochmal das Spielerverhalten."
Einführung zur neuen Saison möglich
Fakt ist aber: Es wird eine finale Bewertung durch den DFB folgen und auch die Abwägung, diese Regel in Deutschland einzuführen. Dabei würde dann auch grundsätzlich nichts dagegen sprechen, sie bereits in der kommenden Saison an den Start zu bringen, ob nun in der Bundesliga oder im Amateurbereich.
Generell geht es bei der Bewertung um die Analyse des Turniers, um die Frage einer einheitlichen Linie, um den nötigen und möglichen Freiraum bei der Auslegung. Und um Feinheiten wie zum Beispiel eine Gelbe Karte für Italiens Gianluigi Donnarumma, der Kapitän ist und für das Diskutieren Gelb sah - weil für ihn als Torhüter ja ein Feldspieler als Ersatz-Ansprechpartner ernannt worden war.
Es geht daneben aber eben auch um die Akzeptanz der Regel bei Spielern, Trainern und Verantwortlichen hierzulande. Bei den Referees ist die Akzeptanz wenig überraschend groß, sie begrüßen die neue Regelung.
Wie auch ein bekannter Ex-Schiedsrichter. "Bis jetzt funktioniert es viel besser, als ich gedacht habe. Ich bin überrascht, wie sich die anderen Spieler zurückhalten und nicht reklamieren. Es läuft bis jetzt eigentlich problemlos", sagte der Schweizer Urs Meier im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Wenn das so weitergeht, ist das wirklich schön anzusehen, dass man endlich mal diese dauernden Reklamationen und Rudelbildungen nicht mehr auf dem Fußballfeld sieht. Das ist bis jetzt etwas, was sehr positiv ist und was ich auch nur befürworten kann, dass das endlich umgesetzt wird."
Wichtige Vorbildfunktion
Denn es geht letztendlich vor allem um das große Ganze. Also nicht nur um den Profi-, sondern auch um den Amateurfußball. Denn das Projekt geht zurück auf eine Ausarbeitung des International Football Association Board (IFAB). Diese Einrichtung, die für die Ausgestaltung des Fußball-Regelwerks zuständig ist, widmet sich gerade intensiv dem Thema Spielverhalten.
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So wurde zum Beispiel das jüngst erst für die neue Saison angekündigte DFB-STOPP-Konzept für den Amateurbereich entwickelt. Daneben werden weitere Tests für neue Ansätze gestaltet, die den zwischenmenschlichen Umgang auf den Plätzen verbessern sollen. Die Kapitäns-Regel gehört zu den Maßnahmen, mit denen die Schiedsrichter besser geschützt werden sollen.
"Falls tatsächlich nur noch die Kapitäne mit dem Schiedsrichter sprechen, dann wird das nochmal eine ganz andere Diskussion freisetzen. Dann herrscht womöglich ein ganz anderes Mindset und es wird nicht mehr als normal angesehen, dass man lautstark und respektlos gegen eine Entscheidung protestiert", hatte die Kriminologin Dr. Thaya Vester im Gespräch mit unserer Redaktion betont.
Denn wie so oft zählt auch in diesem Fall die Vorbildfunktion der Profis. Und so gesehen ist die EM bislang ein guter Anfang. Der echte Härtetest folgt mit der K.o.-Runde allerdings noch. Verbunden mit der Hoffnung, dass es auch dann bei einem Kopfschütteln bleibt.
Über die Gesprächspartner
- Dr. Thaya Vester ist akademische Mitarbeiterin am Institut für Kriminologie der Universität Tübingen. Außerdem ist sie Mitglied der DFB-Projektgruppe "Gegen Gewalt gegen Schiedsrichter*innen" sowie der DFB-Expert*innengruppe "Fair Play – gegen Gewalt und Diskriminierung".
- Alex Feuerherdt ist seit Sommer 2023 Leiter Kommunikation und Medienarbeit der DFB Schiri GmbH. Der 53-Jährige ist seit fast 40 Jahren Schiedsrichter und seit gut 25 Jahren in der Aus- und Fortbildung von Referees tätig, dazu Schiedsrichter-Beobachter und -Coach.
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