Mit Spanien wartet auf die sensationellen ÖFB-Mädels ein Geheimfavorit im Viertelfinale der EM. La Selección dürfte zwar die bessere Mannschaft stellen, unschlagbar sind die Spanierinnen deshalb aber noch lange nicht.

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Muss man vor einer Mannschaft Angst haben, die mit nur einem Sieg und dafür zwei Niederlagen in der Vorrunde eher zufällig ins Viertelfinale gehuscht ist? Eigentlich nicht, sollte man meinen.

Der spanischen Nationalmannschaft ist dieses sehr seltene Kunststück gelungen, die Iberer zitterten sich trotz eines finalen 0:1 und lediglich dank der Schützenhilfe der bärenstarken Engländerinnen in die Runde der letzten Acht.

Ansonsten wäre das Turnier für einen der vermeintlichen Geheimfavoriten jetzt schon beendet.

In der spanischen Heimat schert sich kaum jemand um die Spiele von La Selección. Die großen Sport-Tageszeitungen widmeten den Mädels bisher allenfalls ein paar kleine Splittermeldungen.

Das glückliche Weiterkommen vermeldete die "Marca" neulich mit einer 500-Zeichen-Meldung ganz unten auf einer der hinteren Seiten.

Dabei ist der Frauen-Fußball in Spanien stark im Kommen. Derzeit gibt es rund 50.000 aktive Spielerinnen. Die bisherigen Leistungen in den Niederlanden lassen aber ganz im Gegensatz zum Gegner Österreich keine Euphorie aufkommen.

Der Auftaktsieg gegen Portugal war souverän, aber glanzlos herausgespielt. Danach wurde Spanien von England die Grenzen schonungslos aufgezeigt, mit dem 0:2 war Spanien noch gut bedient.

Dass dann im letzten Gruppenspiel gegen die quasi längst ausgeschiedenen Schottinnen, lediglich die Nummer 21 der Welt, eine erneute Niederlage dazu kam, war so nicht eingeplant.

Gegen zwei Teams auszuscheiden, die mindestens eine Klasse entfernt sind vom internationalen Topniveau, wäre einer Blamage gleichgekommen.

Noch keine Durchschlagskraft im Angriff

Immerhin hatte die Mannschaft von Trainer Jorge Vilda die Qualifikation mit acht Siegen und einem Torverhältnis von 39:2 Toren noch im Vorbeigehen geschafft.

Und im Frühjahr noch den hochkarätig besetzten Algarve Cup gewonnen, nach EM, WM und Olympischen Spielen das wichtigste Turnier weltweit.

Von der überzeugenden Frühform aus dem Frühjahr ist bei der EM in den Niederlanden aber kaum noch was geblieben. Spanien spielt gehemmten Fußball, Trainer Vilda wechselt zwischen den Spielsystemen auf der Suche nach der besten Variante für seine Frauen.

Vilda steht ohnehin unter Druck, immerhin hat er die langjährige Kapitänin Veronica Boquete und Angreiferin Sonia Bermudez aus dem Kader für die EM gestrichen.

Sowohl Vierer- als auch Dreierkette haben sich bisher als anfällig in der Defensive erwiesen, Routinier Silvia Meseguer hat das Mittelfeld noch nicht wie gewohnt im Griff und im Angriff hängen die eigentlich torgefährlichen Jennifer Hermoso (zuletzt 35 Tore in der spanischen Liga) oder Amando Sampedro ziemlich in der Luft.

Dazu kommt wie etwa bei der deutschen Mannschaft eine frappierend schwache Chancenverwertung. Nur Deutschland (70 Mal) hat bisher öfter aufs gegnerische Tor geschossen als Spanien (53), von diesen vielen Abschlüssen fanden aber nur 17 auch den Weg auf das Tor. Die meisten anderen Schüsse wurden schlicht abgeblockt.

Spielanlage wie die Herren

Wenn fast jeder dritte Schuss von einem gegnerischen Abwehrbein abgewehrt wurde, ist das auch ein Indiz für schlecht vorbereitete oder überhastet abgeschlossene Angriffe.

Wie die Herren auch pflegen die Spanierinnen das Ballbesitz- und Positionsspiel. Heraus kommen oft Spiele mit deutlich mehr Ballbesitz als der Gegner.

Wenn dann nach vorne aber die Durchschlagskraft oder die unbedingte Gier nach Toren fehlt, wird das Spiel der Spanierinnen zu einem belanglosen Ballgeschiebe ohne konkretes Ziel.

Das sollte auch das Ziel der ÖFB-Mädels sein: Dem Gegner in ungefährlichen Zonen den Ball zu überlassen.

So richtig mitspielen wäre für den Außenseiter wohl zu gefährlich, dafür besitzt Spanien in der Summe doch noch deutlich mehr individuelle Qualität, gerade im Angriff.

"Spanien hat immer viel Ballbesitz. Man muss also geduldig bleiben, auch wenn man den Ball länger nicht hat. Aber wenn sie Schwächen zeigen sollten, wollen wir diese ausnutzen", sagt ÖFB-Teamchef Dominik Thalhammer.

In der K.o.-Phase dürften gerade die spielstarken Teams noch eine Schippe drauflegen, insofern darf man auf das bisherige überschaubare Niveau des Turniers und fast aller Favoriten nicht zu viel geben.

Aber Spanien hat durchaus ein paar Ansatzpunkte geliefert, wie die ÖFB-Mädels ihren traumhaften Lauf fortsetzen könnten.

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