Leuchtraketen auf den Rängen, Flitzer auf dem Rasen: Bedenken an den Sicherheitsvorkehrungen in den Stadien der EM 2016 in Frankreich werden laut. Sind die Arenen in Frankreich auch vor Terroristen (un)sicher? Eine Zwischenbilanz.
Die UEFA ermittelt mit ihrer Disziplinarkommission während der EM 2016 in Frankreich derzeit gefühlt gegen alles und jeden. Gegen die Ungarn, weil deren Hooligans und Ultras sich untereinander prügeln, da sie mit der Blockeinteilung nicht zufrieden sind. Gegen die Russen, weil deren Ultras Jjagd auf andere Fans machen. Gegen die Kroaten, weil deren "Fans" binnen weniger Sekunden so viele Bengalos, Böller und Leuchtraketen während der Partie gegen die Tschechen aufs Spielfeld werfen, dass diese für Minuten unterbrochen werden muss.
Und nun auch gegen die Portugiesen, weil ein "Flitzer", mutmaßlich ein portugiesischer Fan, im Spiel gegen die Österreicher aufs Feld stürmt, um ein Selfie mit Superstar
Dabei ist die UEFA für die Sicherheit und den ordnungsgemäßen Spielbetrieb in den Arenen während der EM hauptverantwortlich. Schließlich ist es ihr Turnier. Doch die Ordner sind weder Herr im Haus, noch können die Sicherheitsdienste verhindern, dass Bengalos, Böller und Leuchtraketen ins Innere des Stadions geschmuggelt werden. Dass nun selbst ein Fan ungehindert aufs Spielfeld sprintet, hat dem Ganzen vor dem Hintergrund der akuten Terrorgefahr einen neuen Beigeschmack gegeben.
Kann die UEFA die Spieler nicht schützen?
Wohl gemerkt, der Flitzer war friedlich. Aber was ist mit den Terroristen, die gedroht hatten, die EM sei ein Ziel? Mit einem 34-Millionen-Euro-Budget und 12.000 Sicherheitskräften hatten sich die Organisatoren gegen mögliche Anschläge bei den 51 Spielen gewappnet. Organisationschef Jacques Lambert zufolge wurde alles getan, um "das höchstmögliche Sicherheitsniveau zu erreichen". Zuständig für die Sicherheit bei der gesamten EM ist Sicherheitsspezialist Ziad Khoury. Er sagte vor Turnierbeginn: "Die EM hat die größte private und öffentliche Sicherheitsorganisation, die es jemals in Frankreich gab. Wir mobilisieren das Maximum."
Viele Vorwürfe gegen UEFA
Fan- und Hooliganismusforscher Gunter A. Pilz sagte im Gespräch mit unserer Redaktion nun aber, dass sich die UEFA massive Vorwürfe gefallen lassen müsse.
"Sie hat das Spiel zwischen England und Russland als Hochrisikospiel eingestuft, was eigentlich strengste Sicherheitsvorkehrungen im Stadion vorsieht. Wenn es dann russischen Hooligans gelingt, einen englischen Block zu stürmen und dort für Chaos zu sorgen, hat die UEFA ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Mit einer klaren Konzeption kann man das Problem in den Griff bekommen." Doch die fehlt offenbar in mehrerer Hinsicht.
In Marseille wartete die Polizei einem Bericht von "Focus online" zufolge in Mannschaftsstärke vor dem Stadion auf die Randalierer, statt in der Arena selbst für Sicherheit zu sorgen. Helmut Spahn, Sicherheitschef der WM 2006, forderte im Gespräch mit "hessenschau.de" nach den Vorkommnissen in Marseille, dass das Sicherheitskonzept in den Stadien nochmal überarbeitet werde.
Es folgten die Prügelszenen aus Saint-Etienne, wieder Marseille und der "Flitzer" im Pariser Prinzenpark. "Die Bilder zeigen, dass die französische Polizei der Lage stets hinterherrennt", meinte Spahn in der "Bild".
Was heißt das nun für die Terrorgefahr?
Rolf Tophoven ist Direktor des "Instituts für Krisenprävention" (IFTUS) in Essen. Im Interview mit dem "Deutschlandfunk" erklärte der Journalist, dass es bei Hunderten von Anschlagsdrohungen für die französische Polizei sehr schwierig sei, in jedem Einzelfall eine Abwägung zu treffen und "die innersten Gedanken, die Tatvorbereitung für eine terroristische Operation" zu erkennen.
Hinzu komme, dass sich durch den Terror-Aufruf des sogenannten Islamischen Staates Attentäter mit dem Logo der Miliz "schmückten", die wenig mit der Organisation zu tun hätten. Gerade weil es im Vorfeld keine Verbindung zu der Terror-Organisation gebe, sei es sehr schwierig, die Täter zu stoppen, erklärte er mit Blick auf den jüngsten Mord an einem französischen Polizisten und dessen Frau nahe Paris. "Vor allem dann, wenn sie sich ohne längere Planung und spontan für den Terrorakt entscheiden."
Ist die Polizei wirklich vorbeireit?
Die französische Polizei hatte bei ihrer Vorbereitung auf die Fußball-EM mit Vertretern der Sicherheitsdienste und der zehn Gastgeberstädte einen Terrorangriff auf eine Fanzone am 17. März in Nimes simuliert.
Am 21. April folgte ein simulierter Terrorangriff auf das Stade Pierre-Mauroy in Villeneuve-d’Ascq nahe Lille, wo unter anderem das DFB-Team zum Auftakt gegen die Ukraine spielte. Das Signal sollte lauten: Wir sind vorbereitet. Beim Testspiel von Gastgeber Frankreich gegen Kamerun Ende Mai in Nantes schmuggelten ARD-Journalisten jedoch eigenen Angaben zufolge zwei Plastikflaschen am Körper und eine in einer Handtasche in die Arena. Nur ein Reporter, der eine Halbliter-Getränkedose bei sich trug, sei von den Sicherheitskräften aufgehalten worden, berichtet der Bayerische Rundfunk in einer Pressemitteilung.
Die UEFA wies laut ARD daraufhin, dass das Stadion in Nantes keine EM-Arena sei und dass bei der Partie andere Sicherheitsvorkehrungen als beim Turnier geherrscht hätten. ARD-Terrorismus-Experte Michael Götschenberg erklärte, dass ein Sprengsatz in der Größe einer Ketchup-Flasche eine verheerende Explosion auslösen könnte. Bisher verweisen die französischen Behörden munter auf die hohen Sicherheitsvorkehrungen, etwa die drei Sicherheitsgürtel im Umfeld des Stade de France, die Zuschauer in Saint-Denis passieren müssen.
Auch der angeblich rege zwischenstaatliche Austausch wird gerne bemüht, der helfen soll, sogenannte "Gefährder" zu identifizieren. Doch dieser scheiterte bereits bei den Hooligans.
Bleibt festzuhalten: Die Gefahr ist gegenwärtig. Erst recht durch den internationalen Terrorismus. Denn die jüngsten Vorfälle haben gezeigt, dass die UEFA, die Polizei und all die Sicherheitsapparate durchaus Probleme haben, die Sicherheit in den Stadien wirklich zu gewährleisten.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.