Als Nachbarn waren ihre Geschicke häufig miteinander verwoben. Österreicher und Ungarn nehmen einander gerne im Spiegel alter Kränkungen und neuer politische Verstimmungen wahr. Doch jetzt geht es nur um eins: Fußball.
Der Kalauer ist so alt wie der Amputationsschmerz nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie: "Heute spielt Österreich-Ungarn. - Ja? Gegen wen?"
Im Habsburgerreich, das im Ersten Weltkrieg (1914-1918) unterging, war das Schicksal der Österreicher und Ungarn auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden.
Heute, 100 Jahre danach, ist man einander eher fremd. Das liegt nicht nur an der ungarischen Sprache, die Uneingeweihten als Buch mit sieben Siegeln erscheint.
"Die nachbarschaftliche Freundschaft hat eine lange Tradition", meint zwar Karl Habsburg, ältester Enkel des letzten Kaisers von Österreich, Karl I., und damit Oberhaupt der aktuell rund 500 Habsburger.
Die Menschen beider Länder fühlten, dass diese einst ein gemeinsames kulturelles Zentrum Mitteleuropas gebildet hätten. Selbst für Touristen sei das gemeinsame Erbe allgegenwärtig. "In Wien und Budapest stolpert man an jeder Ecke über die Bauten aus dieser Zeit", sagt der 55-jährige Kaiserenkel.
Österreicher als Unterdrücker
Doch im heutigen Ungarn ist der Zeitgeist ein nationaler. Die Schulkinder lernen, dass die Österreicher in der Habsburger-Ära die "Unterdrücker der ungarischen Nation" gewesen seien.
Für die meisten Österreicher wiederum wurde Ungarn durch die lange kommunistische Herrschaft (1947-1989) zum unbekannten Nachbarland.
Die Erinnerung an den Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 trägt immerhin auch zu einer positiven Wahrnehmung Ungarns in Österreich bei. Zehntausende DDR-Bürger waren im Sommer 1989 über Österreich in den Westen gefahren, nachdem Ungarn von sich aus die Grenzen geöffnet hatte.
Positive Erinnerungen an Doppelmonarchie
Aber auch bei den Ungarn gibt es die "gute" Erinnerung an das alte Österreich. Die Doppelmonarchie war ein riesiger Wirtschaftsraum mit einheitlicher Währung und ohne Grenzen.
Die urbanen Zentren waren Motoren der Modernisierung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu Aufschwung und Prosperität.
Möglich wurde dies vor allem durch den sogenannten Ausgleich von 1867. Kaiser Franz Joseph I. gewährte den Ungarn eine weitreichende Autonomie. In Personalunion war der Monarch nun Kaiser von Österreich und König von Ungarn.
Als "Schwager" (sogorok) bezeichnen die Ungarn seitdem die Österreicher. Nicht blutsverwandt war man mit ihnen, aber irgendwie doch verbunden. Es ist eine asymmetrische Wahrnehmung, denn kein Österreicher würde sich je als "Schwager" der Ungarn empfinden.
Orbans Flüchtlingspolitik sorgt für Entrüstung
Und heute? "Die Euphorie von 1989 ist abgeebbt. In der täglichen Routine ist kein Platz mehr für Euphorie", sagt Kaiserenkel Karl Habsburg.
Aktuelle politische Entwicklungen können schnell für Verstimmungen sorgen. Der seit 2010 regierende Viktor Orban setzt immer wieder protektionistische Maßnahmen gegen österreichische Wirtschaftsinteressen.
Für böses Blut sorgten zuletzt die Flüchtlingswanderungen in die Mitte Europas. Orban fährt einen Kurs der rigiden Abschottung und Abschreckung, untermalt von fremdenfeindlichen Kampagnen.
Der jüngst abgetretene österreichische Bundeskanzler Werner Faymann sah sich durch Orbans Flüchtlingspolitik "an die dunkelste Zeit unseres Kontinents" erinnert.
In Budapest merkt man wiederum süffisant an, dass der Nachbar mit seinen Flüchtlingsobergrenzen und der den Balkanstaaten empfohlenen Sperre der sogenannten Balkan-Route ohnehin schon den Orban'schen Weg beschritten habe.
Auch Fußball schreibt Geschichte
König Fußball dürfte derlei Geplänkel übertönen, wenn die Mannschaften beider Länder bei der EM am Dienstag zu ihrer 42. Begegnung antreten werden. Die "Puszta-Söhne", 1954 legendärer Endspielgegner der Deutschen bei der Fußball-Weltmeisterschaft, gewannen 23 Mal, die Österreicher siegten 12-mal.
Ob Nachbarn oder "Schwager", für die Fans in beiden Ländern ist es ein Gruppenspiel fast wie jedes andere, bei dem es um wichtige Punkte für das Weiterkommen geht.
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