Am Sonntag steht für Deutschland das erste EM-Vorrundenspiel an. Noch ist völlig offen, wer im Sturm spielen wird. Die Grundsatzfrage lautet: echte oder falsche Neun?

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Sicher scheint nur, dass gegen die Ukraine ein Stürmer mit dem Vornamen Mario auflaufen wird. Ob es der junge Götze oder der in Deutschland lange Zeit fast schon vergessene Gomez sein wird, zählt zu den momentan heißesten Diskussionsthemen.

Zwei unterschiedliche Stile

Vom Stil könnten die beiden Offensivspieler kaum unterschiedlicher sein. Gomez ist mit seinen 1,89 Meter, seiner Physis und seiner Kopfballgefährlichkeit ein klassischer Stoßstürmer. Er lauert im gegnerischen Strafraum auf Torgelegenheiten und ist dann sofort zur Stelle.

Götze interpretiert die Stürmer-Rolle komplett anders. Mit seinen 1,76 Metern wäre er ohnehin nicht geeignet, um auf hohe Bälle zu warten. Seine Stärken sind die Dribblings, die Technik und die Kreativität. Im Gegensatz zu Gomez wäre Götze dazu in der Lage, mehrere Gegenspieler auf engstem Raum auszuspielen und zum Abschluss zu kommen.

Echte oder falsche Neun?

Gomez oder Götze ist gleichzeitig die Frage: echte oder falsche Neun? Götze verkörpert Letzteres. Eine falsche Neun läuft zwar als einzige Spitze auf, hält sich aber kaum im Strafraum auf. Stattdessen lässt sich der Offensivspieler ins Mittelfeld fallen.

Der Vorteil ist, dass die falsche Neun schwieriger zu decken ist, für ein Übergewicht im Zentrum sorgt und Räume für die anderen Mittelfeldspieler schafft. Davon könnte zum Beispiel ein Thomas Müller profitieren, der häufig in den Strafraum vordringt.

Man könnte also sagen: Eine falsche Neun sorgt für Chaos in der gegnerischen Verteidigung. Gerade gegen tiefstehende Mannschaften kann das eine wirkungsvolle Methode sein.

Weil Deutschland zumindest in der Vorrunde auf echte Abwehrbollwerke treffen dürfte, wäre die falsche Neun eine geeignete Maßnahme. Götze kann sich durch die Abwehr dribbeln, einen schnellen Doppelpass spielen oder einem Mitspieler per Schlenzer auflegen.

Doch die falsche Neun kann dazu führen, dass eine Mannschaft sprichwörtlich "in Schönheit stirbt". Häufig war bei der deutschen Nationalmannschaft zu beobachten, dass sie sich massenweise Chancen erarbeitet, aber niemanden hat, der sie vollstreckt.

Gomez könnte den Knoten lösen

Nicht ohne Grund sagte Manuel Neuer gegenüber RTL: "Im Training schießen wir gefühlt 50 Tore. Und dann tun wir uns so schwer gegen Irland und Georgien." Mit der falschen Neun fehlt eben halt ein Stürmer, der mit einem Ballkontakt den Knoten lösen kann. Kurzum: Es fehlt ein Spieler wie Gomez.

Überhaupt scheint die Treffsicherheit für Gomez zu sprechen. In der türkischen Süper Lig wurde er mit 26 Treffern Torschützenkönig. Götze gelangen in seinen 14 Bundesligaeinsätzen insgesamt nur drei Tore. Noch nie hat er in einer Bundesligasaison mehr als zehn Tore erzielt.

Sonderlich aussagekräftig ist dieser Vergleich allerdings nicht. Götze hat es in der Bundesliga mit stärkeren Verteidigern und Torhütern zu tun. Zudem wurde er im Verein nur selten als Mittelstürmer aufgestellt.

Tatsache ist aber, dass Gomez nach der letzten Spielzeit mehr Selbstvertrauen haben dürfte als Götze. Der 30-Jährige wurde mit Besiktas Istanbul türkischer Meister und (wichtiger noch) hat den Spaß am Fußball zurückgewonnen.

"Mario hat spürbar mehr Selbstbewusstsein", wird Bundestrainer Joachim Löw von der "Sport Bild" zitiert. "Er hat wieder seine alte Sicherheit. Das erkennt man in jedem Training an seinen Bewegungen, seiner Ausstrahlung und seiner Körpersprache."

Keine idealen Voraussetzungen für Götze

Für Götze verlief die vergangene Saison weniger erfreulich. Er war bei den Bayern lange verletzt, landete danach auf dem Abstellgleis. Zuletzt erfolgte die Trennung von seinem langjährigen Berater Volker Struth und das Bekenntnis zum FC Bayern München. Dann ließ der Verein über die Medien durchblicken, nicht mehr mit Götze zu planen.

Ideale Voraussetzungen, um ein großartiges Turnier zu spielen, sind das nicht. Andererseits macht Götze in der Nationalmannschaft einen gelösten Eindruck. Das Vertrauen des Bundestrainers scheint ihn zu stärken. Das schlägt sich in den Leistungen nieder.

Als Deutschland im März gegen Italien auf beeindruckende Art und Weise mit 4:1 gewann, zählte Götze zu den besten Akteuren. "Für mich war es wichtig, wieder spielen zu können. Einfach das zu machen, woran ich Spaß habe", sagte er danach den Journalisten. Auch beim jüngsten 2:0 gegen Ungarn legte er einen ordentlichen Auftritt hin.

Zwei genügsame Joker

Löw dürfte an der Stürmer-Frage zu knabbern haben. Immerhin: Der Bundestrainer kann sicher sein, dass der Zurückversetzte seine Rolle als Joker akzeptieren wird. Götze hat in München (unfreiwillig) häufig genug bewiesen, sich auch als Reservist in den Dienst einer Mannschaft zu stellen.

Und Gomez sagte bereits in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Wenn es am Ende nur zwei oder drei Minuten sind - egal. Ich bin völlig losgelöst davon zu sagen: Für mich wird es nur ein Erfolg, wenn ich spiele."

Ohnehin ist nicht davon auszugehen, dass sich Löw für das gesamte Turnier festlegen wird. Der Bundestrainer möchte taktisch flexibel sein. Es soll den Gegnern möglichst schwer fallen, sich auf die DFB-Auswahl einzustellen. Da ist es doch ein echter Segen, mit Götze und Gomez zwei so unterschiedliche Stürmertypen zu haben.

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