Nicht nur das isländische Fußballteam hat bisher für Überraschungen gesorgt. Auch die Fans der Wikinger-Nachfahren gehören zu den positiven Erscheinungen dieser EM. Wir haben ein paar von ihnen getroffen.
Stellen Sie sich vor, fast zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung würden sich auf dem Weg nach Paris machen, um ihr Team beim letzten Gruppenspiel zu unterstützen. Undenkbar? Nicht für die Isländer.
"Das wird die größte Wikinger-Invasion auf dem europäischen Festland seit dem 11. Jahrhundert", tönt ein Zwei-Meter-Hühne im isländischen Teamdress, den seine Kollegen als "Big Pete" kennen.
Rund 30.000 Isländer aufgebrochen, um ihr Team am Mittwoch gegen Österreich gewinnen zu sehen. Und sie wollen das Stadion zum Beben bringen.
"Unser Team soll uns bis in die Garderobe hören"
Die Long Hop Sports Bar im Zentrum von Paris ist am Montagabend Treffpunkt der Fangruppe "Tólfan" – übersetzt der "12. Mann".
"Wir hatten noch nie eine so große Menge an Fans, die bei einem Spiel unserer Mannschaft im Stadion war. Das Stadion in Island hat nur eine Kapazität von 10.000 Besuchern. Beim Match am Mittwoch werden mindestens doppelt so viele Isländer im Stadion sein", ist Kristinn schon voller Vorfreude.
Und er hat einen Schlachtplan parat: "Wir werden früh dort sein und unsere Gesänge und Sprechchöre anstimmen. Das Team wird uns bis in die Garderobe hören. Das wird den Spielern noch einen weiteren Motivationsschub geben", hofft Kristinn. "Gemeinsam werden wir uns pushen und das Spiel gewinnen."
Dass Österreich bisher nicht besser gespielt hat, verwundert auch die Isländer. "Österreich hat ein großartiges Team", lobt Kristinn. "Vor dem Turnier habe ich gedacht, sie werden unser härtester Gegner in der Gruppe F. Es war überraschend, dass sie nicht stärker aufgetreten sind. Hoffentlich setzt sich das am Mittwoch fort."
Mit Oma ins Stadion
Im Long Hop mischen sich inzwischen englische Fans unter die Isländer. Die Begrüßung ist herzlich, es werden gemeinsam Fangesänge angestimmt. Nur einer sitzt stumm in der Ecke: Arni Thor Gunnarsson.
Der Grund dafür ist einfach: "Meine Stimme klingt schrecklich und ist noch lädiert vom Schreien und Singen bei den vergangenen beiden Spielen. Sie kommt gerade erst wieder zurück", krächzt er. Keine Kratzer hat bis dato seine Leidenschaft für sein Team abbekommen. "Das ganze ist ein richtiges Abenteuer für uns. Dass wir so weit gekommen sind, ist wie ein Wunder."
Was sich Arni am Mittwoch erwartet? "Es wird ein hartes Match, beide Teams brauchen Punkte, und Island will in die nächste Runde." Er tippt auf ein 1:0 für Island. "Der gesamte Druck liegt jetzt auf Island, nicht so sehr auf Österreich", glaubt er.
Worüber er sich besonders freut: "Man trifft hier bei den Matches auch alte Bekannte wieder, die man in Island als Kind gekannt hat. Die Leute kommen sogar mit ihren Großmüttern, es ist fantastisch!"
"Angefressener" Ronaldo
Dass Fußball in Island keine reine Männerdomäne ist, beweist Anna-Maria. Sie ist eigens für das Spiel gegen Österreich nach Paris geflogen. "In den meisten Ländern ist Fußball ein Männersport mit großteils männlichen Fans. Aber in Island ist es ausgeglichen. Jede Frau bei uns schaut Fußball. Denn wir lieben unser Team und wir lieben Island."
Der Grund für den bisherigen Erfolg ihrer Mannschaft? "Wir Isländer sind sehr hart und wir geben nicht auf. Die Jungs waren bisher einfach großartig." Ihr bester Moment im Turnier bisher: "Ronaldo war beim Spiel gegen uns extrem angefressen. Und das war die größte Freude, die er mir bereiten konnte", sagt Anna-Maria und grinst.
Kritisch äußert sich Omar, der bereits seit Beginn der EM in Frankreich dabei ist. "Wir können mehr als zufrieden sein mit dem Team. Das erste Mal bei einem großen Turnier zu sein ist etwas Besonderes", sagt er. "Aber die Jungs sind sicher sehr nervös gewesen. Zum ersten Mal spielen sie vor so viel eigenen Fans. Wir und sie selbst wissen: Sie können wesentlich besser spielen."
Island soll auf Konter setzen
Für Mittwoch erwartet sich Omar ein "hartes Spiel". "Österreich wird alles gegen uns raushauen. Wir müssen etwas offensiver agieren, mehr attackieren", gibt er die Marschroute der Wikinger vor. Sein Tipp: "2:0 für Island. Österreich wird offensiv agieren, da können wir gut kontern. Österreich muss unbedingt gewinnen, uns könnte schon ein Unentschieden genügen."
Groß wie seine Statur ist auch das Selbstvertrauen von "Big Pete". Er schwört die Tólfan schon auf Mittwoch ein. "Jeder Isländer holt alles aus sich heraus, wir alle ziehen an einem Strang, um das Wikingerschiff in die richtige Richtung zu bringen."
"Big Pete" hat ein "Follow your team"-Ticket, war bisher bei allen Spielen dabei und will "auch am 10. Juli beim Finale dabei sein, wenn Island die EM gewinnt".
Wenn das isländische Team auch die Entschlossenheit und Inbrunst seiner Fans auch nur annähernd aufs Feld bringt, könnten uns die Wikinger noch alle überraschen.
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