Ausgerechnet Italien: Das Angst-Duell mit dem Erzrivalen wird für Deutschland zur einzigen Party. Die Stimmung in Bordeaux ist ausgelassen, nur kurz verstummen die deutschen Gesänge. Unser Reporter erlebt ein Fest in Schwarz-Rot-Gold. Auch die Müllberge stören die gute Laune nicht.
Als Leonardo Bonucci den fälligen Handelfmeter in der 78. Minute in die Maschen jagt, sehen nicht wenige Deutsche das Unheil seinen Lauf nehmen.
Deutsche Party beginnt am Vorabend
Das deutsche Fest in der Stadt nahe der Atlantikküste beginnt bereits am Vorabend. Schon während der Partie zwischen Wales und Belgien singen und trinken sich die ersten deutschen EM-Reisenden warm. Die Sprechchöre reichen dabei von "Die Nummer eins der Welt sind wir" bis hin zum englischen EM-Ohrwurm "Please don't take me home". Bis drei Uhr morgens feiern sich die gut gelaunten Deutschen warm. Italiener sucht man bis dahin vergebens. Auch am nächsten Tag bietet sich in den Straßen von Bordeaux ein ähnliches Bild. Die Deutschen dominieren das Stadtbild. In den Kneipen tummeln sich schon früh die ersten Feierwütigen. Schwarz-rot-goldene Fahnen schmücken die Wahrzeichen der 240.000-Einwohner-Stadt. Man spricht deutsch an diesem EM-Viertelfinal-Tag.
Müllberge auffälliger als die Italiener
Vereinzelt begegnet man dann doch dem einen oder anderen Italiener. Eher schüchtern laufen die Tifosi durch die Fußgängerzone, zu überwältigend ist die Zahl der deutschen Fans. Auffälliger als die Italiener ist der Müll in den Straßen. In den Seitengassen, vor den Tram-Haltestellen und neben den Kneipen, überall türmen sich Abfallberge. Die Müllabfuhr in Bordeaux streikt - nur ein Nebenaspekt für die deutschen Fußball-Fans, sie sind hier um eine Riesenparty zu feiern. Bis zum späten Nachmittag dauert das Warm Up in der Innenstadt an, ehe sich der erste Pulk auf den Weg in Richtung Stadion macht. Um 17:15 Uhr startet der offizielle Fanmarsch die 6,5 Kilometer lange Strecke. Zu Beginn ist sogar DFB-Präsident Reinhard Grindel dabei. Etwa anderthalb Stunden später hat der Tross das Stadion erreicht.
Einlasskontrollen intensiviert
Die Stimmung vor den Toren der EM-Arena ist gelöst. Entspannt harren die Fans der Dinge, die Schlangen am Einlass sind lang. Die Sicherheitskontrollen sind deutlich verschärft. Vor allem die Handtaschen der weiblichen Anhänger werden genau untersucht. Letztlich läuft aber alles reibungslos, eine Wartezeit von etwa 15 Minuten einkalkuliert. Die Vorfreude auf das Prestige-Duell ist groß. Von der Angst vor dem abermaligen Ausscheiden gegen Italien ist nichts zu spüren. Die gute Laune, die seit dem Vorabend bei den deutschen Fans herrscht, überträgt sich rasch auf die Tribünen. Auch hier dominiert schwarz-rot-gold. Einige Franzosen mischen sich unter das Fanvolk, die Italiener füllen ihre Kurve, mehr aber eigentlich nicht. Als der Ball endlich rollt, gehen die deutschen Gesänge weiter.
Bangen nach Bonuccis Ausgleich
Über etwas mehr als 75 Minuten ist die Atmosphäre blendend. Mesut Özils Führungstreffer tut sein Übriges. Doch dann bleibt den Deutschen der Gesang im Hals stecken. Jerome Boateng geht mit der Hand zum Ball: Elfmeter. Bonucci läuft an und verwandelt sicher. Den Fans schießt nur ein Gedanke durch den Kopf: "Oh nein, nicht schon wieder die Italiener!" Das Horrorszenario bahnt sich an. Bis zum Elfmeterschießen ist die Spannung auf der Spitze. Die Deutschen verlieren den Münzwurf, es wird auf die italienische Kurve geschossen. Auch das noch.
Manuel-Neuer-Sprechchöre
Italien patzt zuerst. Von nun an sind im ganzen Stadion nur noch "Manuel-Neuer-Sprechchöre" zu hören. Doch das Blatt wendet sich, Deutschland gerät ins Hintertreffen. Niemand will mehr so richtig hinsehen. Mit dem Mute der Verzweiflung grölen die deutschen Anhänger einfach weiter den Namen des Hoffnungsträgers, der deutschen Nummer eins. Und tatsächlich. Die deutschen Elferschützen Nummer sechs bis neun bleiben cool. Und Manuel Neuer sowieso. Für die deutschen gibt es kein Halten mehr. Die Ankündigung vom Vorabend wird von nun an in der Altstadt von Bordeaux in die Tat umgesetzt: "Please don't take me home. I just don't wanna go to work, I wanna stay here and drink all ya beer! Please don't, please don't take me home!"
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