Deutschland zittert vor dem Viertelfinale der EM 2016 gegen Italien. Der ewige Angstgegner gilt als schwerster Brocken überhaupt und hat sich im Turnier in einen kleinen Lauf gespielt. Was sind die Stärken dieser Mannschaft - und wo könnte Deutschland doch ein paar Ansätze finden, Italien endlich mal zu schlagen?

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Italien, immer wieder Italien. Am Samstag kommt es zum neunten Aufeinandertreffen zwischen Deutschland und der "Squadra Azzurra" (21:00 Uhr, LIVE bei uns im Ticker) bei einem großen Turnier. Und bis heute wartet Deutschland dabei auf seinen ersten Sieg überhaupt.

Auch bei dieser EM hätte das Los nicht härter sein können. Italien präsentiert sich auf den Punkt konzentriert, hat Geheimfavorit Belgien die Grenzen aufgezeigt und Titelverteidiger Spanien hochverdient nach Hause geschickt.

Die Mannschaft von Antonio Conte ist wohl der undankbarste aller Gegner. Aber was macht Italien so einzigartig gut? Wer sind die Köpfe des Teams? Und gibt es vielleicht doch ein paar Schwächen bei dieser abgezockten Mannschaft?

Wer sind die Stars des Teams?

Schon mal von Angelo Ogbonna gehört? Oder von Federico Bernardeschi? Oder Marco Parolo? Italien hat eine homogene Mannschaft beisammen, mit einer handvoll bekannten, aber eben auch relativ unbekannten Spielern. Natürlich sind diese keine unumstrittenen Stammspieler, aber der notwendige Mix deutet schon an, dass die Zeit der ganz großen Stars in Blau vorerst vorüber ist.

Italien stellt bei der EM die älteste Mannschaft des Turniers, beim Auftaktspiel gegen Belgien (2:0) waren die eingesetzten Spieler im Schnitt 31,5 Jahre alt. Kein Team, das jemals bei einer EM angetreten ist, war älter. Mateo Darmian war an diesem Abend mit 26 Jahren noch der jüngste.

Viele Talente in gutem Team

Die Suche nach den ganz großen Stars verläuft ergebnislos. Gigi Buffon ist der Methusalem und gleichzeitig auch der klangvollste Name im Kader. Der Keeper hat jetzt 162 Länderspiele auf dem Buckel und ist nicht für wenige Experten immer noch der beste Torhüter der Welt. Leonardo Bonucci gilt als Innenverteidiger modernster Prägung, verkörpert die klassische italienische Defensivschule in Kombination mit einem sensationell sauberen Aufbauspiel und auch Offensivdrang.

Und im defensiven Mittelfeld räumt der ewige Daniele de Rossi ab. Eigentlich, denn der Einsatz des Routiniers ist für die Partie gegen Deutschland wegen einer Oberschenkelverletzung fraglich. Er selbst hofft weiter auf einen Einsatz.

Ansonsten hat Coach Antonio Conte eine Mannschaft der B-Prominenz zusammengestellt. Der einzige Spieler mit dem Potenzial zum Welt-Star sitzt zu Hause vor dem Fernseher: Marco Verratti verpasst die EM wegen einer kürzlich erforderlichen Leistenoperation.

Italien hat bisher die fehlende individuelle Klasse aber im Kollektiv überragend gut auffangen können. Und dass es keine echten Stars im Team gibt, muss ja auch nicht zwangsläufig ein Nachteil sein. So ist die Mannschaft schwerer auszurechnen.

Wie kompensiert Italien die (möglichen) Ausfälle?

Wie abgebrüht Italien selbst in heiklen Momenten Fußball spielt, konnte man im Achtelfinale gegen Spanien einmal mehr sehen. Gleich zehn Akteure waren vor der Partie bereits mit einer gelben Karte vorbelastet, darunter die komplette Dreier-Abwehrreihe und Torhüter Buffon. Aber nur einen einzigen Spieler erwischte es dann mit dem zweiten gelben Karton: Thiago Motta, der in den wichtigen Spieler lediglich Ergänzungsspieler war.

Nichtsdestotrotz tut der Ausfall des Routiniers weh, da er Contes Alternativen im defensiven Mittelfeld einschränkt. Sollte nun auch noch De Rossi nicht rechtzeitig fit werden, hat Italien in der Zentrale ein veritables Problem. Denn auch Antonio Candreva fällt mit einer Adduktorenverletzung sicher aus.

Marco Parolo von Lazio oder Allrounder Alessandro Florenzi von der Roma stünden bereit. Beide können die wichtige Position bekleiden. Aber im Zusammenspiel gerade mit der Dreierkette dahinter und als Verbindung zur Offensive wäre eine Neubesetzung des defensiven Mittelfelds eine schwierige Aufgabe.

Dass Trainer Conte von seinem bisher praktizierten 3-5-2-System abrückt, ist eher unwahrscheinlich. Damit fühlt sich die Mannschaft am wohlsten und Conte wird sehr wahrscheinlich eher versuchen, die entsprechenden Spieler in das System zu pressen, als das System an den einsatzfähigen Spielern auszurichten. Oder am Gegner.

Wo liegen die größten Stärken?

Italien funktioniert als Mannschaft. Das alleine ist im Vergleich zu vielen anderen Teams, die längst wieder die Heimreise antreten mussten, ein großer Unterschied. Es gibt keine Stars und damit auch keine Allüren im Team. Coach Conte ist mal väterlicher Ansprechpartner für seine Spieler, mal ein kleiner General. Und er ist ein Taktikfuchs von absolutem Weltformat.

Conte hat das System, mit dem er Juventus dreimal in Folge zum Scudetto geführt hat, in der Nationalmannschaft implementiert. Italien spielt bevorzugt aus einer Dreierkette heraus, mit zwei Flügelverteidigern, die bei Ballverlust die Dreier- zu einer Vierer- oder sogar Fünferkette auffüllen. Dazu ist Italien die einzige im Turnier verbliebene Mannschaft, die mit zwei klaren Angreifern im Zentrum agiert.

Das Verschieben im Block der gesamten Mannschaft bei gegnerischem Ballbesitz funktioniert nahezu perfekt. Buffon und der Dreierblock in der Abwehr spielen genau so auch bei Juventus zusammen. Besser kann man kaum aufeinander abgestimmt sein. Das Pressing greift erst ab der Mittellinie, danach finden sich für die Gegner kaum noch Räume für ein flüssiges Kombinationsspiel - und Zuspiele hinter die Kette sind durch den engen Abstand zum Torhüter auch kaum möglich.

Kontersituationen gegen Italien fast unmöglich

Im Offensivspiel hat Italien bisher immer dann überzeugt, wenn die Zuspiele direkt auf Graziano Pellè durchgesteckt wurden, der dann auf seinen Partner Eder ablegen kann und die Flügelspieler sofort und mit Tempo einlaufen. So entstand unter anderem der Führungstreffer gegen Belgien. Italien minimiert das Risiko bei einem eigenen Ballbesitzspieler und hat immer genügend Spieler hinter dem Ball, sollte dieser im Mittelfeld verloren gehen. Gegen diese Mannschaft in eine eigene Kontersituation zu kommen, erscheint nahezu unmöglich.

Und dann besticht die Squadra einmal mehr durch die typisch italienischen Qualitäten: Robustheit und Cleverness in der Defensive, konzentriertes Passspiel und eine brutale Abgezocktheit in der Offensive. Die Mannschaft, die kaum jemand auf dem Zettel hatte vor dem Turnier, hat sich jenen Spirit erarbeitet, der große Teams ausmacht - und der schon zwei andere, eher belächelte italienische Nationalteams der Vergangenheit ausgezeichnet hat: die Weltmeister von 1982 und 2006.

Was sind die Schwächen der Mannschaft?

Man muss lange suchen, um so etwas wie eine echte Schwäche bei den Italienern auszumachen. Ein Problem könnte der Sechserraum werden. Und das nicht nur wegen der Ausfälle von Motta und womöglich auch De Rossi. Greift das deutsche Angriffspressing, sind die Italiener schnell gezwungen auf die Flügelspieler zu spielen und können dort gut vom Rest des Teams isoliert werden.

Und beherrscht Deutschland so wie in den bisherigen Spielen auch das Zentrum mit Sami Khedira, Toni Kroos und einem offensiven Mittelfeldspieler, werden die durchgeschossenen Flachpässe direkt in die Spitze auf Pelle auch sauber verteidigt. Dann fehlte bisher ein Plan B im Offensivspiel. Hohe Bälle hinter die deutsche Abwehrkette dürften ebenso kein probates Mittel sein wie hohe Zuspiele auf Pelle - dafür sind Mats Hummels und Jerome Boateng wohl zu stark im Kopfballspiel.

Chance, wenn den Alten die Puste ausgeht

Vielleicht wird die Bank ja den entscheidenden Ausschlag geben. Italien kann mit Lorenzo Isigne im Sturm noch voll nachlegen. Ansonsten dürfte der deutsche Kader dem italienischen in der Breite überlegen sein. Und gegen Belgien und Spanien hatte Italien den Vorteil, die Partien nach einer eigenen Führung jeweils von vorneweg diktieren zu können. Gegen Ende beider Spiele machten sich dann doch einige läuferische Probleme bemerkbar. Aber was soll das schon heißen - schließlich geriet Italien bisher nur im unwichtigen Spiel gegen Irland selbst in Rückstand.

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