Die Doku zum Fall Youssoufa Moukoko, die am Sonntagabend auf ProSieben ausgestrahlt wurde, hatte sich bereits im Vorfeld mit zahlreichen Schlagzeilen angekündigt. Die 50 Minuten konnten Brisanz und Spannung halten. Es wurde aber Potenzial verschenkt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Andreas Reiners dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Eine Bombe platzte nochmal gegen Ende der ProSieben-Doku "Tricksen, Schummeln, Täuschen – Das Millionengeschäft mit den Fußball-Talenten": "Die wussten das. Lars Ricken wusste davon", sagt Joseph Moukoko. Er wird dabei mit versteckter Kamera gefilmt, die Aussagen entstammen einem Gedächtnisprotokoll. Der Effekt ist trotzdem beachtlich, in diesen beiden Sätzen steckt die gesamte Wucht dieser Doku, wenn man so will. Ein Film, der viele Stärken hat, unter diesen aber auch leidet.

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Denn die Geschichte, die die Macher am Sonntagabend auf ProSieben erzählen, ist im Grunde wie eine Mischung aus Sportler-Drama, Krimi und Agenten-Thriller. Die stark heruntergebrochene Kurzfassung: Das aktuell vom BVB an OGC Nizza ausgeliehene Supertalent Moukoko ist offenbar vier Jahre älter als gedacht und demnach nicht 20, sondern bereits 24. Joseph Moukoko ist zudem nicht sein leiblicher Vater. Das bestätigt dieser mit einer eidesstattlichen Versicherung. Und Moukokos Klub Borussia Dortmund soll wie erwähnt von allem gewusst haben. Was der Klub in einer Stellungnahme bereits als "völlig unzutreffend" dementiert hat.

Die Doku ist in ihrer Tiefe durch verschiedene Erzählstränge vielschichtig, stellenweise auch kompliziert und vor allem mit vielen Spekulationen behaftet, was jede Menge Raum für Interpretationen lässt. Der Zuschauer wird von der Erzählerin zwar an die Hand genommen, allerdings trotz vieler Erklärungen streckenweise etwas stolpernd durch die rund 50 Minuten gezerrt.

Sahin klagt: "Sauer und enttäuscht"

Nach dem ernüchternden letzten Heimspiel des Jahres sparte BVB-Trainer Nuri Sahin nicht mit Kritik und sprach von der "vielleicht schwächsten Leistung in dieser Saison". Nach dem 1:1 gegen die TSG Hoffenheim gab es aber auch Lob für Nico Schlotterbeck und Emre Can.

Der Film, für den die Journalisten Udo Ludwig und Martin Heidemanns sowie die Produzenten Diana Löbl und Peter Onneken zwei Jahre lang recherchiert haben, liefert viel Inhalt, zahlreiche wissenswerte, interessante Fakten, dazu spannende Hintergründe und Einblicke aus erster Hand, die zum Beispiel ehemalige Mitspieler wie Felix Schlüsselburg oder Nico Gerber liefern.

So schnell kommt man an eine Geburtsurkunde

Wer sich für das Thema interessiert, kann sich den Schilderungen, den Eindrücken aus Moukokos Heimat, den Wendungen und Interviews kaum entziehen. Stark ist die Doku, wenn die Macher zwar nicht nachweisen können, dass die Geburtsurkunde von Moukoko in seiner Heimat Kamerun gefälscht wurde, aber zeigen, wie leicht man dort an eine herankommt. Oder wenn ein anonymer Profifußballer aus dem Mittleren Osten oder Spielerberater Emmanuel Nyugap über die Gründe für die Altersreduktion in Afrika sprechen. Insgesamt schaffen es die Macher, bei allen offenen Fragen, die sich in einem solchen Fall automatisch ergeben, zumindest ein paar Antworten und auch neue Indizien zu liefern.

Eine Stärke des Films ist gleichzeitig aber auch seine Schwäche. Längen gibt es kaum welche, die Spannung wird thematisch und inhaltlich stets hochgehalten, das Tempo bleibt anspruchsvoll, auch weil die Machart unterhaltsam und die unterlegte Musik dramaturgisch passend ist.

Immer wieder kommen Weggefährten, Experten oder aber die verantwortlichen Journalisten zu Wort, um Vorgänge zu erklären. Freunde aus der Heimat unterfüttern mit ihren Aussagen die Annahme, dass Moukoko tatsächlich älter sein könnte. Dass der angebliche leibliche Vater die Journalisten bei deren Besuch mehrmals bedroht, zeigt, wie brisant das Thema ist.

Zé Roberto altert einfach nicht

Zé Roberto, der ehemalige Fußballprofi, beeindruckt auch Jahre nach seiner aktiven Karriere mit unglaublicher Fitness. Auf Instagram zeigt er in Trainingsvideos, wie er mit Disziplin und harter Arbeit die Zeit scheinbar zurückdreht. (Bildcredit: imago/photoarena/Thomas Eisenhuth)

Zu überfrachtet, zu schnell

An einigen Stellen wirkt das Ganze dann aber überfrachtet und unübersichtlich, wenn man bedenkt, dass es sicher Zuschauer gibt, die mit der Geschichte nicht vertraut sind. Für sie ist die Fülle an Informationen möglicherweise anstrengend. Denn hier und da wird die Doku förmlich durchgepeitscht.

Das zeigt sich auch in den Interviews. Bei dem früheren ZDF-Kommentator Bela Rethy, Ex-Manager Reiner Calmund oder Julia Porath, der Ex-Leiterin des BVB-Internats, wird man das Gefühl nicht los, dass sie zum Gesamtkontext deutlich mehr hätten beitragen können. Manche Punkte werden nur im Ansatz aufgegriffen. Die begrenzte Zeit nimmt der Doku eine an diversen Stellen die nötige Tiefe. Hier wurde Potenzial liegengelassen.

Starke Einblicke in Verträge

Stark ist die Doku wieder dann, wenn sie die Querverbindung zum Fußball-Geschäft zieht und zeigt, dass Moukoko kein Einzelfall ist. Außerdem punkten die Macher zum Beispiel mit Einblicken in die angeblichen Verträge mit Borussia Dortmund, zeigen konkrete Summen, die Moukoko verdient haben soll.

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Besonders pikant: Anfangs, als Moukoko noch minderjährig war, soll das Toptalent durch Scheinverträge mit den angeblichen Eltern an den Verein gebunden worden sein. "Das ist schlicht illegal, was die hier machen. Die Gegenleistung ist: Man verkauft das Kind, wenn man es drastisch formulieren möchte. Das ist relativ skandalös", sagt Christof Kleinmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, in der Doku.

Dann lieber zwei Folgen?

Doch auch hier wird wieder eine Schwäche deutlich: Beide Themen sind untrennbar miteinander verbunden, beide Aspekte sind hochinteressant und spannend zu erzählen, aber eben auch in sich selbst schon komplex. Womöglich wären zwei Doku-Teile besser geeignet gewesen, um dem Umfang gerecht zu werden. Denn dass nicht nur der Fall Moukoko, sondern das gesamte Geschäft mit dem Fußball-Nachwuchs Stoff für kritische Geschichten bietet, hat die Doku eindrucksvoll gezeigt.

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