Franz Beckenbauer ist in seinem Leben sehr viel gelungen; was er anfasste, wurde lange zu Gold. Doch der WM-Skandal lastet auf seiner Lebensleistung. Die ARD-Doku "Beckenbauer" zeichnet die faszinierende Karriere des "Kaisers" in 90 Minuten nach. Sie ist am 8. Januar ab 20:15 Uhr im Ersten zu sehen und seit dem 2. Januar in der ARD-Mediathek abrufbar.

Eine Kritik
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Das Negative kommt geballt. Und auch mit voller Wucht. Womöglich wird der eine oder andere Zuschauer der ARD-Doku "Beckenbauer" deshalb auch auf dem falschen Fuß erwischt, auch wenn die Begebenheiten ja keine Geheimnisse sind.

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Doch die Autoren Philipp Grüll und Christoph Nahr haben sich bei ihrem 90-minütigen Film über das Leben des Fußball-Kaisers für Chronologie entschieden – und das Schlimmste kommt dabei nun mal zum Schluss. Oder wie die Doku eine Aussage aus einer TV-Sendung zitiert: "Nun entpuppt sich die Überfigur Beckenbauer mehr und mehr als traurige Gestalt."

Die letzten 15 Minuten, die wohl am eindringlichsten sind und nachdenklich machen, beginnen mit Beckenbauers Spruch zur WM 2022 in Katar, er habe keine Sklaven gesehen. Natürlich steht der Skandal um das Sommermärchen im Mittelpunkt, dazu die 5,5 Millionen Euro, die er für seine Rolle als angeblich ehrenamtlicher WM-Macher bekam. Dabei liefert die Doku, die auf einen Erzähler verzichtet und in der Beckenbauer selbst nicht mit neuen Aussagen zu Wort kommt, keine neuen Erkenntnisse. Das will sie als Story seines Lebens aber auch gar nicht.

Humorvoll-pointierte Kommentare

Stattdessen zeichnet sie nach dem Studium und der Auswertung unzähliger Stunden an Archivmaterial und zigtausender Fotos eine einzigartige sportliche Karriere nach, mit Wegbegleitern, Gegnern, ehemaligen Lebenspartnerinnen oder Teamkollegen wie Sepp Maier, Paul Breitner oder Günter Netzer, die zu Wort kommen.

Vor allem Netzer unterhält immer wieder mit pointierten und humorvoll-süffisanten Kommentaren zu Beckenbauers Spiel- und Lebensstil. "Er hat sich sehr schonen können", so Netzer: "Er hat da hinten gestanden und die anderen laufen und kämpfen lassen. Wir haben den Ärger gehabt und er war die Lichtgestalt und hat das gefeiert. Sehr, sehr schlau. Die Position hätte ich auch gerne gehabt."

Natürlich kann die Doku angesichts der begrenzten Zeit nur ein relativ oberflächliches Bild des Spielers und des Menschen Beckenbauer zeichnen. Doch das schmälert die Qualität nicht. Bayern- und Beckenbauer-Fans dürften gut unterhalten, aber dafür kaum überrascht werden.

Jüngere Generationen erhalten dafür einen faszinierenden Einblick in eine längst vergangene Fußball-Welt, mit einem singenden Werbe-Kaiser, einer einkasernierten Nationalmannschaft, dem Berater Robert Schwan als einflussreichem Schattenmann und einem Bruder, der Schwierigkeiten hatte, an den vielbeschäftigten "Popstar" Beckenbauer heranzukommen. Was der heute 78-Jährige im Fußball anfasste, wurde zu Gold. "Er war der Beste zu seiner Zeit und es ist kein Besserer nachgekommen", sagte Netzer.

Der Film, der am 8. Januar ab 20.15 Uhr im Ersten gesendet wird und seit dem 2. Januar in der ARD-Mediathek zu sehen ist, lässt allerdings auch Beckenbauers Frauen-Geschichten ebenso wenig aus wie Ärger mit dem Finanzamt. So verließ er 1977 seine Familie und ging mit der Fotografin Diana Sandmann in die USA. Sie hilft in der Doku dabei, den Lebemann Beckenbauer näher zu beleuchten. Der moralische Zeigefinger bleibt allerdings überwiegend in der Tasche. Das mit den Steuern, "das hat er anders gemacht", beschrieb es der ehemalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der am 26. Dezember verstarb.

Schmerzvolle 15 Minuten

"Anders gemacht": Es ist die Grundtonalität des Großteils der Doku, die à la Beckenbauer kaiserlich charmant-augenzwinkernd eine Karriere nonchalant nacherzählt, die noch heute fasziniert. Es sind seine Aura und sein Charme, womit er auch die WM 2006 nach Deutschland holte. Der wohl größte Erfolg seiner Laufbahn, der aufgrund der Vorwürfe der Bestechlichkeit und Vorteilsnahme in seiner Rolle als Fifa-Funktionär sowie als WM-Macher 2006 aber zunehmend Risse bekam.

Wie heftig der Gegenwind in den letzten Jahren war, wird durch Bilder und Aussagen von Beteiligten wie dem Spiegel-Journalisten Gunther Latsch oder Beckenbauers Manager Marcus Höfl deutlich. Das moralische Dilemma ebenfalls. Vor allem die Politik fordert Milde.

"Die Deutschen wollten die WM, inklusive mir selbst, und wir waren froh, dass wir einen Franz Beckenbauer hatten."

Joschka Fischer

Man könne da keine Illusionen haben, sagte der ehemalige Außenminister Joschka Fischer, und es sei naiv, darüber schockiert zu sein, dass Geld im Spiel gewesen sei: "Die Deutschen wollten die WM, inklusive mir selbst, und wir waren froh, dass wir einen Franz Beckenbauer hatten. Insofern ist es ein Stück weit auch Heuchelei. Wir müssten uns auch selbst bezichtigen", erklärte Fischer. "Wie sich da viele abgewandt haben, wie Beckenbauer plötzlich der Buhmann war, obwohl er so Großes geleistet hat für unser Land, das konnte ich nicht nachvollziehen", fügte er hinzu.

Auch Schäuble nahm Beckenbauer in Schutz. "Diese Skandalisierung, die wir heute darum machen, scheint mir irgendwie übertrieben", kritisierte er: "Er hat sicher auch Fehler gemacht, ich meine, jeder Mensch macht ja nicht alles richtig. Insofern ist er auch ein Mensch". Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily beklagte mangelnde Fairness im Umgang mit Beckenbauer. "Ich glaube, dass er das als sehr schmerzlich empfunden hat. Er hatte in dem Punkt auch keinen Panzer. Es ist sehr nahe an ihn herangegangen." Für Schily ist Beckenbauer bis heute "eine Ikone".

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Auf Beckenbauers Lebensleistung liegt ein Schatten

Die WM-Vorwürfe wurden zwar nie bewiesen, jedoch ist die Bestimmung der 6,7 Millionen Euro in Richtung Katar rund um die deutsche WM-Bewerbung weiterhin ungeklärt. Was wie ein Schatten auf Beckenbauers Lebensleistung lastet – der letzte Eindruck bleibt eben oft nachhaltig hängen.

Hier entsteht dramaturgisch passend das Bild eines offenbar gebrochenen Mannes, dem vor allem seine gesundheitlichen Probleme, derentwegen er fast völlig von der Bildfläche verschwand und zuletzt zurückgezogen in Salzburg lebte, zu schaffen machten. Zudem wird nachdrücklich gezeigt, wie sehr ihn der Tod seines Sohnes Stephan im Jahr 2015 traf.

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"Wenn ich jetzt sagen würde, es geht ihm gut, dann würde ich lügen, und ich lüge ungern. Es geht ihm nicht gut. Es ist ein ständiges Auf und Ab", verriet Bruder Walter Beckenbauer. Die Sorge ist ihm deutlich anzusehen: "Es ist jammerschade im Grunde genommen", sagte er traurig.

Und bringt dann die gesamte Faszination Beckenbauer auf den Punkt, als er seine eigenen Gefühle beschreibt, aber gleichzeitig im Grunde auch für Millionen Fans spricht: "Es ist eine Zuneigung, die kann man nicht erklären. Und die wird sich auch nie ändern. Und das weiß er auch."

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