Vor einem Jahr verwandelte Benjamin Henrichs im DFB-Pokalfinale den entscheidenden Elfmeter und verhalf RB Leipzig zum ersten Titel der Vereinsgeschichte. Nun steht er erneut im Endspiel (Samstag, 20 Uhr). Im Interview mit unserer Redaktion spricht der 26-Jährige über das Endspiel, die Herangehensweise an einen Elfmeter und den steinigen Weg in den Profifußball.
Herr
Benjamin Henrichs: Ja, auf jeden Fall. Das Pokalfinale ist ein sehr spezielles Spiel. Ich habe das vor einem Jahr zum ersten Mal vor Zuschauern erlebt. Es war eines der emotionalsten Spiele meiner Karriere – die Familie und viele Freunde waren im Stadion. Ich wünsche jedem Fußballspieler, dass er einmal im Leben so ein Spiel erlebt.
Wie lange hält dieses Kribbeln vor einem Spiel an?
Wenn das Spiel erst einmal begonnen hat, ist das ein ganz normales Fußballspiel. Man spürt das eher, wenn man ins Stadion kommt und sich warmmacht oder vor dem Anpfiff einläuft. Das Stadion ist ausverkauft, auf der einen Seite stehen deine Fans, auf der anderen Seite die gegnerischen Fans. Das gibt auch von der Farbkombination ein tolles Bild ab.
Der Gegner ist diesmal Eintracht Frankfurt. In der zurückliegenden Saison erlebten Sie zwei sehr unterschiedliche Spiele gegen Frankfurt. In der Hinrunde verloren Sie mit 0:4, in der Rückrunde gewannen Sie mit 2:1. Wie schätzen Sie die Eintracht ein?
Frankfurt ist eine sehr starke Mannschaft, auch wenn sie in der Bundesliga zuletzt nicht in absoluter Topform waren und dort etwas Unruhe war. Frankfurt hat sehr viele individuell gute Spieler, die in dieser Saison gezeigt haben, dass sie viel Qualität haben. Das wird ein sehr schwieriges Spiel für uns.
RB Leipzig gewann 2022 erstmals den DFB-Pokal
Vor einem Jahr gewannen Sie mit RB Leipzig den DFB-Pokal, obwohl Sie im Finale gegen den SC Freiburg 0:1 zurücklagen und ab der 58. Minute in Unterzahl agieren mussten. Hatten Sie bei der Roten Karte für Ihren Mitspieler
Ja, durchaus. Im ersten Moment dachte ich natürlich: Das darf jetzt nicht wahr sein! Aber wir haben nicht aufgegeben. Das hat man bei der ganzen Mannschaft gesehen. Auch von der Bank kam viel Input und Motivation. Wir haben daran geglaubt, dass wir das Spiel noch drehen können.
Sie haben damals im Elfmeterschießen den letzten Elfmeter verwandelt, ehe der Freiburger Ermedin Demirovic verschoss und Sie Pokalsieger wurden. Was geht einem durch den Kopf, wenn man den möglicherweise entscheidenden Elfmeter schießt?
In dem Moment war ich wirklich voll fokussiert auf den Elfmeter. Wenn ich mir den Strafstoß heute noch einmal anschaue – ich habe mir das Spiel natürlich noch ein paar Mal angeguckt – dann ist das schon etwas Anderes. Da wird mir noch einmal bewusst, wie viele Menschen im Stadion waren und wie viele Menschen zu Hause vor dem Fernseher gesessen haben. Aber in dem Moment ist man fokussiert.
Wissen Sie auf dem Wege zum Elfmeterpunkt bereits, wohin Sie schießen möchten?
Das kommt immer drauf an und ist bei jedem Spieler anders. Es gibt Spieler, die verzögern beim Anlaufen, schauen noch einmal hoch und warten auf eine Bewegung vom Torwart. Andere Spieler suchen sich schon vorher eine Ecke aus. Das ist bei jedem Spieler individuell.
Und wie ist es bei Ihnen?
Das kann ich jetzt natürlich nicht sagen. Falls Trappo (Frankfurt-Torwart Kevin Trapp, Anm.d.Red.) das lesen sollte, wüsste er sonst Bescheid (lacht).
Lesen Sie auch: Leipzig mit Offensivspektakel ins Finale: 5:1 in Freiburg
RB Leipzig belegte in der Bundesliga den 3. Tabellenplatz und hatte lediglich fünf Punkte Rückstand auf Bayern München und Borussia Dortmund. Gegen beide Mannschaften haben Sie jeweils einmal gewonnen. Was stimmt Sie zuversichtlich, kommende Saison bis zum Saisonende um die Meisterschaft spielen zu können?
Wir haben in dieser Saison gesehen, was möglich wäre. Wir werden mit noch mehr Konstanz in die neue Saison gehen und noch mehr punkten. Ich glaube, dass wir diese fünf Punkte unnötig liegengelassen haben. Es wäre wahrscheinlich mehr möglich gewesen. Aber dass wir uns nach dem schwachen Saisonstart einen Spieltag vor Saisonende für die Champions League qualifiziert haben, spricht für uns.
Henrichs: "Vertrauen, dass guter Ersatz gefunden wird"
Laut Medienberichten sind die Abgänge von Konrad Laimer und Christopher Nkunku wohl zu erwarten. Könnten Sie ohne diese beiden Top-Spieler in der Bundesliga ganz vorne mitspielen?
Grundsätzlich glaube ich, dass RB Leipzig dies in den letzten Jahren immer sehr gut kompensieren konnte. Vor zwei Jahren haben wir Dayot Upamecano und Ibrahima Konate verloren. Dafür wurde dann Josko Gvardiol geholt, der mindestens das gleiche Niveau hat. Ich glaube, dass hier im Verein einfach sehr gut gearbeitet wird. Falls sich im Kader etwas verändert, habe ich immer das Vertrauen, dass guter Ersatz gefunden wird.
Auch Borussia Dortmund verlor vor einem Jahr Erling Haaland, jetzt möglicherweise Jude Bellingham. Ist es das große Problem der Bundesliga, dass lediglich Bayern München Ihre Top-Spieler halten kann?
Das ist schwer zu sagen. Es hängt ja auch immer davon ab, wie lange der jeweilige Spieler bei dem Verein gespielt hat und ob er selber bereit für einen Wechsel ist. Ich glaube, dass bei solchen Abgängen viele Faktoren eine Rolle spielen. Es gibt Vereine, die denjenigen reizen – vor allem im Ausland, aber auch in Deutschland. Es hängt davon ab, wo sich der Spieler sieht und was er vorhat.
Wird in der Kabine darüber gesprochen, was die Spieler vorhaben? Oder erfahren Sie von dem Transfer eines Mitspielers erst, wenn dieser offiziell vollzogen ist?
Man bekommt über die Presse natürlich einiges mit. Ob das stimmt oder nicht, sieht man dann später. Aber innerhalb der Mannschaft wird nicht groß darüber gesprochen. Es wäre auch nicht gut, wenn man zu viel darüber redet und sich nur mit der Zukunft beschäftigt.
Henrichs über Hassbotschaften: "Manchmal wird eine gewisse Linie überschritten"
In der Vergangenheit haben mehrere Fußballspieler gegen sie gerichtete Hassbotschaften im Internet veröffentlicht, auch Sie haben das kürzlich gemacht. Was macht das mit Ihnen persönlich?
Ich weiß, dass es so etwas bis zu einem gewissen Maße gibt. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, gibt es immer Menschen, die einen nicht mögen. Aber manchmal wird eine gewisse Linie überschritten. Es gibt Fans, die vor allem nach einer Niederlage ihres Vereins getroffen sind und Ihre Emotionen nicht im Griff haben.
Bei einer Nachricht, die Sie besonders getroffen hat, machten Sie den Absender ausfindig und haben dessen Vater telefonisch zur Rede gestellt. Was war das für ein Gespräch?
Der Vater hat sich dafür entschuldigt. Danach hat auch der Absender mich angerufen und sich entschuldigt. Er meinte, er wisse selber nicht, warum er das gemacht hat. Er war in dem Moment einfach sauer und die Emotionen seien mit ihm durchgebrannt.
Themawechsel: Als Fußballprofi und Nationalspieler leben Sie das Leben, von dem Millionen Kinder und Jugendliche träumen. Welche Opfer muss man bringen, um Fußballprofi zu werden?
Was mir vor allem gefehlt hat, ist die Zeit mit der Familie und mit Freunden. Das ist auch heute noch so. Wenn beispielsweise meine ganze Familie in meiner Heimat Nordrhein-Westfalen ist, und ich nicht dabei sein kann, weil ich in Leipzig Training habe, fehlt einem das. Mit meinen Freunden ist das genauso. Wenn man Fußballprofi wird, muss man aber nicht nur jetzt auf einiges verzichten, sondern vor allem auch in der Jugend.
Henrichs: "Das Gute ist, dass ich ohnehin keinen Alkohol trinke"
Haben Sie das Gefühl, dass Sie damals etwas verpasst haben, weil Sie auf Partys und so weiter verzichten mussten?
Das Gute ist, dass ich ohnehin keinen Alkohol trinke. Das hat mir also nie gefehlt. Aber gerade in der Schulzeit hat man sehr, sehr lange Tage. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, als ich 15 Jahre alt war: Damals habe ich noch in Köln gewohnt und bin in Leverkusen zur Schule gegangen. Ich bin morgens mit der Bahn zur Schule gefahren, am Mittag zur Anlage, habe Mittag gegessen und Hausaufgaben gemacht, abends trainiert und danach ging es mit der Bahn wieder zurück.
Ich bin also um etwa 6:30 Uhr aus dem Haus gegangen, war den ganzen Tag mit meiner Tasche und meinem Schulranzen unterwegs und kam um 21 Uhr wieder zurück – und das jeden Tag. Andere in meinem Alter sind zum Eis essen gegangen, ich war beim Training. Aber man muss dazu sagen, dass auch viele andere junge Fußballspieler den gleichen Tagesablauf hatten und es nicht in den Profifußball geschafft haben. Daher bin ich sehr glücklich, dass ich heute in dieser Position bin.
Sie haben einmal erzählt, dass Sie der einzige von Ihrer damaligen U19-Mannschaft von Bayer Leverkusen sind, der heute in der Bundesliga spielt. Was haben Sie vielleicht besser gemacht als andere?
Es kommt vieles zusammen, um Bundesligaprofi zu werden. Man muss natürlich die Leistung und das Talent mitbringen, aber auch die Disziplin. Vor allem braucht man Trainer, die auf einen setzen. Ich habe mit vielen Spielern zusammengespielt, die vom Potenzial her auf jeden Fall in der 1. Liga spielen könnten, das bislang aber nicht geschafft haben.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.