Der DFB hat ein Jugend-Problem. Viele Jugendliche verlassen ab der B-Jugend ihre Vereine, doch das will Nachwuchskoordinator Hannes Wolf nicht weiter zulassen. Seine geplanten Reformen dürften jedoch auch auf Widerstand stoßen.
Eine Zahl aus dem Nachwuchs schreckt auf beim Deutschen Fußball-Bund. 5.487. So viele männliche A- und B-Jugendteams hat der DFB seit der Heim-WM 2006 verloren. Kontinuierlich geht es bergab. Von 19.112 auf unter 18.000 (im Jahr 2011), unter 17.000 (2013), unter 16.000 (2015), unter 15.000 (2018), unter 14.000 (2020). Bis auf 13.625 (2024). Nun sollen Reformen her. Damit dem Volkssport die Jugend nicht weiter wegbricht.
Den Ton gibt DFB-Nachwuchskoordinator Hannes Wolf vor. Der 44-Jährige findet, dass es im alten System "auch nicht so viel zu beschützen" gibt. "Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht eine Scheinpartizipation gibt, sondern dass die Jugendlichen auch wirklich involviert sind." Dazu brauche es ein flexibleres Regelwerk und kleinteilige Formate, die mehr Nettospielzeit und weniger Bankdrücker garantieren. So ähnlich also, wie es der Verband auf Wolfs Bestreben hin schon bis zur E-Jugend praktizieren lässt.
Ab der D-Jugend wird es kritisch
Vor allem zwischen der D- und A-Jugend würden sich viele Fußballer aus den Vereinen verabschieden, heißt es beim DFB. Vorläufige Zahlen einzelner Landesverbände würden dies belegen. Konkrete Daten soll eine vom Verband in Auftrag gegebene Jugendstudie für 14- bis 21-Jährige liefern, die bis zum DFB-Bundesjugendtag im September veröffentlicht werde.
"Fußballvereine haben weniger Probleme bei der Gewinnung von Kindern, sondern vielmehr in der dauerhaften Bindung der vorwiegend männlichen Jugendlichen zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr", erklärt Sportwissenschaftler Torsten Schlesinger von der TU Chemnitz auf dpa-Anfrage.
Eines der vorläufigen Ergebnisse aus der DFB-Studie bestätigt: Ein Drittel der befragten 18- und 19-Jährigen denkt verstärkt über einen Vereinsaustritt nach. Bei Mädchen sieht es über alle Altersklassen hinweg ähnlich aus. "Drop-out" heißt es in der Fachsprache, wenn Mitglieder aus dem Verein aussteigen. Zeitmangel, eine veränderte Interessenlage, neue Lebensumstände sowie sportliche Gründe seien ausschlaggebend.
"Drop-out-Verhalten ist komplex", sagt Schlesinger, der zum Thema Mitgliederbindung und Drop-out in Sportvereinen geforscht hat. Es gebe viele Gründe, die sich gegenseitig verstärken könnten. Aus sportlicher Sicht würden sich "vor allem eine geringe Attraktivität in der Trainingsgestaltung und das Trainerverhalten drop-out-fördernd" auswirken.
Wenn du dann in der D-Jugend schon auf der Bank sitzt und vermeintlich nicht gut genug bist, bei deinem Hobby dabei zu sein, dann würde ich meinen Kindern auch sagen: 'Da vorne ist doch die Kletterhalle, lass mal was anderes machen.'
An diesem Punkt will Wolf ansetzen. Mehr Zweikämpfe, Ballaktionen und Tore wünscht er sich - und einen Stammplatz für alle. "Wenn du dann in der D-Jugend schon auf der Bank sitzt und vermeintlich nicht gut genug bist, bei deinem Hobby dabei zu sein, dann würde ich meinen Kindern auch sagen: 'Da vorne ist doch die Kletterhalle, lass mal was anderes machen.'"
Einer seiner Vorschläge: Statt eine Partie über ein ganzes Feld im neun gegen neun und je fünf Auswechselspielern auszutragen, könnte man den Platz teilen und dann auf zwei Hälften jeweils sieben gegen sieben spielen. Wolfs Rechnung: Statt 18 Kinder würden 28 spielen. Niemand müsste draußen sitzen, alle hätten mehr Spaß, somit mehr Teilhabe. Und am Ende gäbe es weniger Frust und weniger Aussteiger.

Wolf: "Der Sportplatz im Ort muss Bolzplatz sein"
Er werbe zudem dafür, Trainingskonzepte zu öffnen, sagt Wolf. So könnten D-Jugendliche auch mal bei der C-Jugend mittrainieren, Mädchen bei den Jungs – und wer eben mag: gern vier- statt zweimal. "Der Sportplatz im Ort muss Bolzplatz sein", fordert Wolf.
Für seine Vorhaben, die vor etwaigen Beschlüssen alle erst noch in Pilotprojekten erprobt werden sollen, sucht Wolf den Dialog mit der Basis. Ende März warb er beim erstmals veranstalteten Jugendkongress am DFB-Campus mit seinen Punkten, stellte sich den kritischen Fragen von rund 220 Amateurvertretern, darunter viele jugendliche Kicker aus dem gesamten Bundesgebiet.
Eine Frage lautete, wie zweimal sieben gegen sieben möglich wäre, wenn der eigene Kader aus weniger als 14 Spielern besteht. Dann solle man eben ein flexibles zweites Feld ermöglichen, meinte Wolf, etwa für ein fünf gegen fünf. Auch die klassische Bolzplatz-Variante "fliegender Torwart" könne eine Lösung sein, ebenso ein Wechsel zwischen Überzahl- und Unterzahlspiel. Und Schiedsrichter? Brauche es dann vielleicht gar nicht mehr.
Die Proficlubs dürfte Wolf schon auf seiner Seite haben. "Was gerade passiert, ist, dass wir unsere Denke aufbrechen", sagte der ebenfalls beim Jugendkongress weilende Ex-Profi Thomas Broich, der bei Borussia Dortmund als Sportlicher Leiter im Nachwuchsleistungszentrum die Stars von morgen mitformen soll. "Es geht darum, dass jeder so oft wie möglich an der Murmel ist", plädierte der 44-Jährige für die Doppelspielfelder. "Der Fußball wird von der Qualität ein ganz anderer."
Broich prophezeit "ein Riesen-Kulturthema"
Broich prophezeite allerdings auch: "Es wird ein Riesen-Kulturthema werden, es wird ein Haltungsthema werden." Gerade das Dortmunder Lager hatte Wolfs erste Kinderfußball-Reform scharf kommentiert. "Es gab ja auch die Diskussion, nicht mehr auf Tore zu spielen. Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball", hatte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke gespottet: "Ich glaube, dass das grundsätzlich der falsche Ansatz ist."
Und Bald-Kanzler Friedrich Merz, bekennender BVB-Fan, unkte: "Ich werde den Deutschen Fußball-Bund bitten, in der E- und F-Jugend wieder Fußballspiele stattfinden zu lassen, wo Tore geschossen werden dürfen." (dpa/David Joram/bearbeitet von ska)