Im Achtelfinale der Champions League kommt es zum Bundesliga-Kracher zwischen Bayer Leverkusen und dem FC Bayern. Borussia Dortmund muss gegen den OSC Lille ran. Wir haben mit dem Dazn-Experten Tobias Schweinsteiger über die Paarungen gesprochen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Humor ist der wohl beste Weg, um ein Hammer-Los in der Champions League anzunehmen. Simon Rolfes entschied sich dann auch genau dafür. "Andy Möller hätte wahrscheinlich gesagt: München oder Madrid, Hauptsache Italien", meinte der Sport-Geschäftsführer von Bayer Leverkusen. Im Achtelfinale (4./5. und 11./12. März) geht es für den amtierenden Meister gegen den FC Bayern. Da Real Madrid die Alternative gewesen wäre, hatte Rolfes sowieso keine Wahl, eine gewisse Gelassenheit mitzubringen.

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Ein Vorteil des Bundesliga-Duells: Man kennt sich, man hat sich gegenseitig bis zum Erbrechen analysiert und studiert. Die Bayern seien "mit Sicherheit eine Mannschaft, die wir gut kennen", bestätigte Rolfes. "München kennt uns aber auch gut. Es ist ein Achtelfinale auf hohem Niveau." Erst am 15. Februar standen sich beide im Bundesliga-Spitzenspiel gegenüber, das die Leverkusener nahezu nach Belieben dominierten. Beim 0:0 zeigten sich die Münchner historisch einfallslos und harmlos, waren aufgrund der Wahrung des Acht-Punkte-Vorsprungs aber der moralische Sieger.

"Diese Partie sehe ich komplett offen, da wird es eng zugehen", sagt Ex-Profi Tobias Schweinsteiger im Gespräch mit unserer Redaktion. "Was spannend ist: Wie reagieren die Bayern darauf, dass Leverkusen zuletzt in den direkten Duellen etwas anders gemacht hat und dass sie damit wenig zurechtgekommen sind? Xabi Alonso hat aus dem ersten Spiel und aus der neuen Spielidee von Vincent Kompany sehr gute Schlüsse gezogen."

Alonso der stärkere, innovativere Trainer für solche Duelle

Überhaupt ist der Spanier in seinen direkten Duellen mit den Bayern als Bayer-Coach noch ungeschlagen, bei drei Siegen, drei Remis und 9:4 Toren. Wer ist der stärkere, innovativere Trainer für solche Duelle? "Ich glaube, dass es Alonso ist", meint Schweinsteiger. Alonso bringe noch mal mehr Erfahrung mit, weil er als aktiver Spieler schon mit mehr Mannschaften international gespielt habe als Kompany, so der Dazn-Experte. "Er hat ein paar Champions-League-Spiele mehr gemacht, ein paar Titel mehr geholt als Kompany. Da sehe ich ihn im Vorteil. Außerdem ist er mit Leverkusen in der Europa League schon einmal ins Finale gekommen, was sicherlich ein weiterer Pluspunkt ist."

Außerdem sieht Schweinsteiger Leverkusen im Moment ähnlich stark wie im Vorjahr. Allerdings kommt es gegen Top-Mannschaften in der Champions League nicht immer nur auf den perfekten Matchplan an, sondern auch auf den Kopf, auf das Mentale. Bei der 1:2-Niederlage in der Ligaphase bei Atletico hat Bayer in der Hinsicht eine Menge gelernt, das auch in der Königsklasse gegen erfahrene und ausgebuffte Mannschaften wie die Bayern helfen kann.

Schweinsteiger betont den mentalen Aspekt

Denn so ein direktes Duell in einer K.o.-Phase ist noch einmal etwas anderes als ein Bundesliga-Spitzenspiel. Da kann eine Niederlage über die Saison hinweg ausgebügelt werden, Patzer haben nicht zwingend katastrophale Auswirkungen. In 180 (oder mehr) Minuten geht es um alles oder nichts, was eine spezielle Mentalität erfordert, eine andere Herangehensweise und besondere Form der Abgezocktheit. Fehler oder Unkonzentriertheiten können dann besonders teuer werden.

Ob der bisherige Lernfaktor auf hohem internationalem Niveau aus den Spielen wie gegen Atletico so groß ist, "dass sie gegen die Top-Mannschaften mithalten können, ist noch unklar. Wenn sie das mitgenommen haben und es schnell umsetzen können, dann befinden sie sich auf einem guten Weg, denn fußballerisch gehören sie zu den Top 5", sagt Schweinsteiger.

Es bleibe aber noch eine Frage des mentalen Aspekts, so der 41-Jährige, "weil sie wenige Spieler haben, die auf dem Niveau viele Champions-League-Halbfinals und -Finals gespielt haben. Das ist eine nicht zu unterschätzende Variable". Nicht nur gegen die Bayern, sondern auch im möglichen weiteren Verlauf des Wettbewerbs.

FC Bayern offensiv schwächer, aber defensiv stärker als in der Hinrunde

Aktuell dürfte Bayer leicht favorisiert in die Duelle mit den Bayern gehen, auch weil man im Rückspiel Heimrecht hat. Die Ergebnisse der Münchner stimmen zwar, allerdings befindet sich der Rekordmeister in einer Art Schaffenskrise. Die Auftritte haben längst nicht mehr die offensive und kreative Wucht aus der Hinrunde. "Da haben sie offensiv deutlich überperformt, aktuell lassen sie mehr Chancen liegen. Das kann sich aber aufgrund der individuellen Qualität auch wieder schnell ändern", glaubt Schweinsteiger. "Dafür sind sie defensiv deutlich verbessert."

Doch der intensive Februar geht nicht spurlos an den Bayern vorbei, auch wenn Kompany personell aus dem Vollen schöpfen kann. Doch man merke vom Mentalen, vom Körperlichen her, dass es eine lange Saison werde, betont Schweinsteiger. Klar ist aber: Im Moment geht es nicht um Schönheitspreise, sondern darum, Ergebnisse zu erzielen.

"Es handelt sich nicht um eine Krise", stellt Schweinsteiger klar, auch wenn es im Moment "nur eine befriedigende Champions-League-Saison mit Luft nach oben" ist. Dabei ist das Ziel klar formuliert: Es soll beim Finale in München der "Titel Dahoam" werden. "Ich persönlich traue Ihnen den Titel nicht zu, weil ich im Moment ein paar Mannschaften über Ihnen sehe", stellt Schweinsteiger klar.

Lille ein leichtes Los? Das trügt!

Von einer Final-Teilnahme wie im Vorjahr ist auch Borussia Dortmund weit weg, auch wenn der BVB auch in dieser Saison oft sein strahlendes Königsklasse-Gesicht zeigt. Ein Viertelfinal-Einzug ist trotz der Fortsetzung der Bundesliga-Krise unter dem neuen Trainer Niko Kovac gegen den OSC Lille fraglos machbar. Durchaus ein Duell auf Augenhöhe, mit leichten Vorteilen für den BVB.

Der BVB hat zunächst ein Heimspiel und tritt dann in Frankreich an. Lille, fünfmaliger französischer Meister (zuletzt 2021) hat in der Königsklasse mit dem direkten Einzug in das Achtelfinale überrascht, vor allem mit der Art und Weise, denn sie gewannen unter anderem gegen Real und bei Atletico Madrid. "Sie haben die Top-Teams zwar in Phasen erwischt, in denen es für diese nicht so gut lief, aber das haben sie ausgenutzt und sich nicht zu Unrecht qualifiziert", sagt Schweinsteiger.

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Nur ein Gegentor pro Spiel

Auf den ersten Blick mag es ein vergleichsweise leichtes Los gegen den aktuell Fünften der Ligue 1 sein, doch "sie sind eine sehr gefestigte Mannschaft, die die auch schon länger zusammenspielt. Sie zeichnet eine extreme Kompaktheit aus", erklärt Schweinsteiger. So kassiert Lille in der Ligue 1 im Schnitt nur ein Gegentor pro Spiel. "Trotzdem handelt es sich um eine sehr spielstarke Mannschaft, die viel individuelles Potenzial hat, mit vielen Spielern, die wir die nächsten Jahre noch bei Spitzenteams sehen werden", sagt Schweinsteiger.

So gehört zum Beispiel Ethan Mbappé (18), der jüngere Bruder von Real-Superstar Kylian Mbappé, zum Kader. Hinzu kommen erfahrene Akteure wie der Ex-Dortmunder Thomas Meunier oder der Ex-Schalker Nabil Bentaleb, der zuletzt nach einem im vergangenen Sommer erlittenen Herzstillstand ein traumhaftes Comeback inklusive Treffer feierte. Top-Torjäger ist der kanadische Nationalspieler Jonathan David, der laut "transfermarkt.de" einen Marktwert von 45 Millionen Euro hat. Der 25-Jährige ist aufgrund seines im Sommer auslaufenden Vertrags einer der Spieler, die es wohl zu einem Top-Team ziehen wird.

"Ein bisschen erinnert mich Lille an Leverkusen im letzten Jahr. Sie erleben eine wahnsinnige Euphorie", betont Schweinsteiger. "Der Vorteil ist, dass keiner sie auf der Rechnung hat. Das macht sie umso gefährlicher", so der 42-Jährige weiter. Beim BVB sind sie sich darüber im Klaren. Trotzdem gibt es für Sportdirektor Sebastian Kehl keine Ausreden. "Unser Anspruch und klares Ziel ist, uns für das Viertelfinale zu qualifizieren." Funfact: Im Halbfinale wäre dann das nächste deutsche Duell möglich.

Über den Gesprächspartner

  • Tobias Schweinsteiger (42) ist ein ehemaliger Profi, der unter anderem für Eintracht Braunschweig, die SpVgg Unterhaching und den FC Bayern München II gespielt hat. Nach seiner aktiven Karriere arbeitete er als Trainer, zuletzt beim VfL Osnabrück, wo er im November 2023 entlassen wurde. Er ist der ältere Bruder von Bastian Schweinsteiger.
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