Kein Fußballspiel läuft wie das andere. Was sich aber am 26. Mai 1999 im Camp Nou in Barcelona zwischen dem FC Bayern München und Manchester United abspielt, sprengt jede Vorstellungskraft. Der Sieg in der Champions League geht nach einem Doppelschlag in der Nachspielzeit nach England. Der unterlegene Trainer Ottmar Hitzfeld erinnert sich.

Ein Interview

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Seit 1976 wartete der FC Bayern München auf den Gewinn der Champions League, als er am 26. Mai 1999 - wie zuvor schon in der Gruppenphase - auf Manchester United traf. Da waren beide Duelle unentschieden ausgegangen.

Nun hatten sie sich die Chance erarbeitet, erstmals das seltene Triple aus Meisterschaft, nationalem Pokal und Europapokal zu realisieren. ManUnited indes träumte von der gleichen Ausbeute. Im Gegensatz zu den Bayern sollte sich Manchesters Traum erfüllen.

Im Endspiel der Champions League aber gingen die Bayern durch einen Freistoß von Mario Basler schon nach sechs Minuten in Führung und hätten sie in den 84 Minuten danach mehrmals ausbauen müssen. Sie waren die bessere Mannschaft.

Was dann aber in Barcelonas Fußball-Kathedrale Camp Nou passiert, lässt auch 20 Jahre danach niemanden los, der es verfolgt hat. Zuallerletzt den damaligen Trainer des FC Bayern, Ottmar Hitzfeld.

Herr Hitzfeld, wenn Sie heute das Datum 26. Mai 1999 hören, was kommt Ihnen da in den Sinn?

Ottmar Hitzfeld: Mir kommen die Schrecksekunden der letzten zwei Minuten des Finales in den Sinn. Wir sahen aus wie der sichere Sieger und wurden durch diese beiden Tore geschockt.

Überdecken also diese letzten zwei Minuten alles, was vorher in diesem Spiel passiert ist?

Ja, natürlich, weil wir keine Chance mehr hatten. Als das Spiel abgepfiffen wurde, standen wir mit leeren Händen da. Wir haben damals Ohnmacht empfunden.

Welche Fehler hat damals die Mannschaft gemacht, und welche Fehler haben Sie gemacht?

Es bringt nichts, darüber zu diskutieren, was wir hätten anders machen können. Wir mussten die Umstände so nehmen, wie sie passiert sind.

Sie haben diese Niederlage mit einer Größe hingenommen, für die Sie gelobt wurden. Sie haben sich nicht beschwert oder nach Entschuldigungen gesucht. Wo sind denn Ihr Frust und Ihre Enttäuschung gelandet?

Ich bin es gewohnt, so etwas selbst zu verarbeiten. Ich war selbst Spieler und habe Torchancen vergeben oder Elfmeter verschossen. Als Trainer muss man in der Niederlage ruhig bleiben und versuchen, die Weichen für die Zukunft zu stellen.

Sie haben das getan, indem Sie die bis dahin längste Ansprache Ihrer Trainer-Karriere an die Mannschaft gerichtet haben. Wie haben Sie sich auf diese Ansprache vorbereitet?

Da waren viele Emotionen drin, wir mussten alle Kräfte mobilisieren. Ich wollte gleich wieder neue Ziele setzen. Damit mussten wir sofort beginnen. Das Wichtigste in dieser Situation war, dass wir als Mannschaft zusammenhalten und nicht auseinanderfallen.

Welche Reaktionen kamen denn während dieser Ansprache aus der Mannschaft? Haben sich Spieler geäußert?

Nein.

Welcher Spieler war denn direkt nach dem Spiel für Sie als Erster ansprechbar? Die Lähmung in der Kabine muss ja mit Händen zu greifen gewesen sein.

Es bringt nichts, nachher in der Kabine mit jedem einzelnen Spieler zu sprechen. Wichtig ist, dass man wieder ein Zeichen setzt und der Mannschaft wieder Vertrauen schenkt. Die Niederlage musste jeder für sich verarbeiten.

War diese Niederlage gegen Manchester United für Sie ein anderer Schock als jener, 1992 mit Borussia Dortmund in Ihrer ersten Saison als Bundesligatrainer die Meisterschaft um ein paar Minuten verpasst zu haben?

Diese beiden Momente kann man nicht miteinander vergleichen. Wir hatten unser Spiel in Duisburg gewonnen, Stuttgart aber hat in Leverkusen dieses eine Tor geschossen. Das war auch ein Schock, denn ich dachte: "Jetzt werde ich nicht mehr Deutscher Meister." So nah, wie wir dran waren. Aber 1999 war natürlich ein Drama. Denn damals ging es nicht nur um die Deutsche Meisterschaft, sondern mit der Champions League um den höchsten Titel im Vereinsfußball.

Den hatten Sie zum Glück ja mit Borussia Dortmund 1997 schon mal gewonnen [Anm.d.Red.: durch ein 3:1 in München über Juventus Turin]. In einem solchen Moment aber spielt das wahrscheinlich keine Rolle.

Ja, natürlich, denn man lebt ja im Jetzt und nicht in der Vergangenheit.

Hat diese schmerzhafte Niederlage 1999 Ihren Blick auf den Fußball verändert?

Nein, ich hatte viel Erfahrung, schon als Spieler, und auch als Trainer erlebt man so etwas immer wieder. Niederlagen, nach denen man schlaflose Nächte hat. Das gehört zum Job.

Sie haben erlebt, wie das Schicksal sich einem wieder zuwendet, indem Sie 2001 mit dem FC Bayern München gegen Schalke das bisher dramatischste Meisterschaftsfinale der Bundesliga gewonnen haben.

Dafür arbeitet man als Trainer, dass man den Optimismus nicht verliert und immer davon überzeugt ist, es in der nächsten Saison wieder zu packen.

Es gab 1999 in Barcelona diese obszöne Geste Ihres Kapitäns Thomas Helmer während Manchesters Siegesfeier. Er war enttäuscht, dass Sie ihn nicht eingesetzt hatten. Sie haben ihn daraufhin suspendiert. Haben Sie mit Thomas Helmer diese Szene irgendwann besprochen? Hatten Sie die Szene überhaupt wahrgenommen?

Ich hatte sie nicht richtig wahrgenommen, wurde aber nachher darauf angesprochen. Ich habe die Bilder im Nachhinein gesehen [Anm.d.Red.: Helmer hatte den doppelten Stinkefinger Richtung Tribüne gezeigt]. Ich habe mit ihm zwischenzeitlich gesprochen. Das ist aus dem Weg geräumt. Es war der Frust.

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