Borussia Dortmunds Finaleinzug in der Champions League ist an Dramatik und Kitsch kaum zu überbieten. Nun wartet in Wembley die einmalige Gelegenheit für den BVB und seine scheidende Ikone. Für Marco Reus schließt sich in London ein Kreis, mit allen Chancen und Risiken.
Natürlich haben sie danach ihr Lied angestimmt. Nicht vor ihren Fans, wie bisher immer üblich - sondern dieses eine Mal sogar mittendrin. Die Spieler von Borussia Dortmund und ein Teil ihrer Anhänger verschmolzen im Pariser Prinzenpark spät in der Nacht zu einem schwarz-gelben Knäuel und irgendwann grölten alle nur noch.
Mit Leidenschaft, Resilienz und viel Glück
Der Einzug ins Champions-League-Finale gleicht nach dieser bemerkenswert wechselhaften Saison einem kleinen Fußballwunder. Wieder einmal konnte Dortmunds Mannschaft in der Königsklasse im krassen Kontrast zu den Leistungen in der Bundesliga alles das in 90 Minuten packen, was eine Spitzenmannschaft auszeichnet.
Mit einem klaren Plan, mit Leidenschaft und Widerstandsfähigkeit, einem echten Kollektiv und auch einer sagenhaften Portion Glück siegte der BVB nach dem 1:0 aus dem Hinspiel auch im Rückspiel mit demselben Ergebnis und steht damit zum dritten Mal nach 1997 und 2013 im Endspiel des wichtigsten Klubwettbewerbs der Welt.
"Es wird noch etwas dauern, bis wir das realisieren. Aber die Freude ist jetzt schon extrem groß", sagte Edin Terzic nach dem Spiel bei Amazon Prime. Wie beseelt stand der Trainer da, als er erzählte und der Champions-League-Saison seiner Mannschaft schon ein vorläufiges Fazit verpasste: "Wir sind mit jedem Spiel gewachsen. Wir wollten die Mannschaft sein, die man nicht unbedingt auf dem Schirm hat. Der Weg bisher war unglaublich."
Und dieser Weg hat
"Es freut mich unglaublich für Edin. Letztes Jahr waren wir haarscharf vor der Meisterschaft, jetzt sind wir im Champions-League-Finale. Es ist klasse, was er leistet. Er arbeitet extrem akribisch. Was willst du mehr leisten in zweieinhalb Jahren?", schwärmte Hans-Joachim Watzke nach dem Spiel. Wenige Momente davor waren sich der BVB-Geschäftsführer und sein Trainer in die Arme gefallen.
Reus: "Was für eine Woche für mich!"
Helden wurden einige geboren in dieser magischen Nacht von Paris: Der erneut eiskalte Gregor Kobel im Tor, das beinahe unüberwindbare Duo Nico Schlotterbeck und
Der hatte vor wenigen Tagen seinen Abschied von der Borussia zum Saisonende bekannt gegeben und eben dieses Saisonende und damit sein letztes Pflichtspiel für den BVB nun noch einmal um zwei Wochen nach hinten verschoben.
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"Was für eine Woche für mich! Wir haben sehr viel leiden müssen heute. Aber wir haben es geschafft! Morgen fragt niemand mehr nach dem Wie, sondern da steht nur noch der Name Borussia Dortmund - und nur noch das zählt. Keiner hätte nach der Gruppenauslosung damit gerechnet, dass wir wieder nach Wembley fahren", sagte er nach dem Spiel.
Reus wurde von seinem Trainer schon vergleichsweise früh nach der Halbzeit ins Rennen geschickt und zwar mit einer etwas anderen Mission als gewöhnlich: Nicht als Ankerpunkt in der Dortmunder Offensive, als Zehner oder Spielgestalter, sondern als eine Art zweiter Linksverteidiger, der zusammen mit Julian Ryerson die wütenden Attacken der starken Pariser Angriffsseite abwehren sollte. Und das auch tat.
Reus zwischen maximaler Chance und drohender Tragödie
Am Tag vor dem Finale in Wembley am 1. Juni wird Reus 35 Jahre alt, für die scheidende Ikone wird die Reise nach London auch zu einer Reise in die Vergangenheit und zurück an den Startpunkt seiner Profilaufbahn beim BVB.
Vor elf Jahren, in seiner ersten Saison bei den Schwarz-Gelben als Lizenzspieler, stand Reus schon einmal im Champions-League-Finale von Wembley – wie auch Hummels und die beiden Co-Trainer Sven Bender und Nuri Sahin. Damals schlichen die Dortmunder Spieler am Ende am Henkelpott vorbei, die Bayern schnappten kurz vor Schluss doch noch zu und verwehrten dem BVB und Reus die Heiligsprechung.
Nun ist die Zeit der Revanche gekommen, wenn es eventuell erneut gegen die Münchener geht. Oder aber die Zeit für das nächste große Wunder, sollten die Dauergewinner von Real Madrid der Gegner sein. Aber ob München oder Madrid - Hauptsache, Henkelpott. "Jetzt müssen wir den Pokal auch holen, sonst wäre es scheiße …", sagt Marco Reus dazu.
Für den Routinier ist es die maximale Chance und eine Geschichte, die fast schon zu kitschig wäre, um wahr zu sein. Er, dem abgesehen von zwei Pokalsiegen mit dem BVB die großen Titel in der Bundesliga und im Europapokal ebenso verwehrt blieben wie jene mit der deutschen Nationalmannschaft, könnte im dann wohl 429. und letzten Spiel für den BVB doch noch alle Ketten sprengen. Oder aber - und das ist die Kehrseite der Medaille - für immer auch der Unvollendete bleiben.
Verwendete Quellen
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