Der Wechsel von Serge Gnabry nach München wird nicht überall goutiert. Warnende Beispiele für die Sackgasse FC Bayern gibt es genug - aber bei Gnabry dürfte die Ausgangslage eine etwas andere sein.
Wie undankbar und vielleicht auch ungerecht der Fußball und seine Anhänger sein können, zeigt sich in diesen Tagen wieder einmal am Beispiel von
Gnabry hatte bereits ein paar Stunden zuvor angekündigt, Werder Bremen auf alle Fälle zu verlassen. Als dann aber die Bayern - und nicht wie kolportiert 1899 Hoffenheim - das Rennen machten, war es schnell vorbei mit den guten Wünschen der meisten Bremer Fans für ihren künftigen Ex-Spieler.
Mit Unverständnis und reichlich Unmut wurde der 21-Jährige bedacht, der Schritt ausgerechnet zu den Bayern als größtmöglicher Fehler abgestempelt.
Und natürlich werden - das Internet vergisst schließlich nichts - fünf Jahre alte Tweets eines damals 16-Jährigen hervorgekramt, in denen er sich eher auf die Seite von Borussia Dortmund schlägt und nicht auf jene der Bayern.
Verglichen mit dem Internet vergessen viele Bremer Fans offenbar sehr schnell. Zum Beispiel, dass es Gnabry war, der ihre Mannschaft in der Hinrunde der abgelaufenen Saison mit sieben Toren vor dem kompletten Absturz bewahrte und Werder vor der bärenstarken Rückrunde so überhaupt erst einigermaßen am Leben hielt.
Vielleicht wäre die Wut der Fans auch etwas milder ausgefallen, wenn Gnabry tatsächlich nach Hoffenheim gewechselt wäre, schließlich gelten die Bayern an der Weser immer noch als rotes Tuch - obwohl beide Klubs nicht mehr wie früher ein paar Punkte, sondern mittlerweile eine ganze Galaxie entfernt.
Serge Gnabry hat ein starkes Halbjahr gereicht, um sich von einem bedeutungslosen Bankdrücker beim FC Arsenal in die deutsche Nationalmannschaft und zum FC Bayern München zu spielen.
Es ist wohl einer der wundersamsten Aufstiege der jüngeren Vergangenheit, weshalb die grundsätzliche Frage, ob der gebürtige Stuttgarter tatsächlich das Zeug für den Rekordmeister mitbringt, durchaus gestattet ist.
Einspielzeit für die Post-Robbery-Ära
In Bremen war nach einer Verletzung und der Systemumstellung auf ein 3-1-4-2 für Gnabry plötzlich kein Platz mehr. Werder spielte, anders als in der Vorrunde, ohne echten Flügelspieler.
Genau da fühlte sich der Nationalspieler aber deutlich am wohlsten. Zwar kam er auch ein paar Mal in der Sturmspitze zum Einsatz, seine Qualitäten kommen aber aus einer tieferen Position und auf dem Flügel weit besser zum Tragen.
In München wird Gnabry mehr Ballbesitzfußball spielen dürfen, er wird automatisch mehr Ballaktionen bekommen und bessere Mitspieler. Das sind wichtige Punkte für die Entwicklung eines jungen Spielers, der sein Potenzial zwar angedeutet, aber bei Weitem noch nicht ausgeschöpft hat.
Bayerns Kaderplaner Michael Reschke war bei Olympia in Rio im letzten Sommer vor Ort, als der Aufstieg von Gnabry begann. Reschke war offenbar auch derjenige, der intern auf eine Verpflichtung Gnabrys pochte und diese nun mit einem Jahr Verspätung realisieren konnte.
Für den Fall, dass Gnabry in der kommenden Saison auch bei den Bayern spielen und nicht etwa gleich wieder weiterverliehen wird, dürfte das ein eindeutiges Signal an
Der Brasilianer hat sich mit ein paar ziemlich unvernünftigen Äußerungen zuletzt ins Abseits manövriert und darf die Bayern bei einem entsprechenden Angebot gerne verlassen.
Gnabry bekommt also mindestens ein Jahr Zeit, die Bayern von seinen Qualitäten auf höchstem Niveau zu überzeugen. Dann werden Franck Ribery oder Arjen Robben so langsam ans Aufhören denken und damit die beiden wichtigsten Säulen der Mannschaft wegfallen.
Überschaubares Risiko für Bayern
Bei acht Millionen Euro Ablöse für Gnabry ist das Risiko der Bayern absolut überschaubar, zumal Gnabry auch mehr Torgefahr verspricht als Costa oder Kingsley Coman, die zwar gute Dribbler sind und eine hohe Geschwindigkeit mitbringen, aber längst nicht die Abschlussqualitäten von Gnabry.
Unmittelbar beeinflusst der Transfer wohl auch die Planungen für das Angriffszentrum. Der angebliche Wunschkandidat Alexis Sanchez wäre wegen seiner flexiblen Spielweise im Zentrum oder auf den Außenbahnen eine Option gewesen.
Mit dem Gnabry-Deal verschiebt sich der Fokus der Bayern aber nun wieder klarer Richtung klassischem Keilstürmer als Backup für Robert Lewandowski.
Und: Den Fehler, sich ein Top-Talent des deutschen Fußballs nochmal durch die Lappen gehen zu lassen, wollten die Bayern kein zweites Mal begehen. Bei Leroy Sane zögerten die Bosse, dann wurde der ehemalige Schalker zu teuer und wechselte schließlich nach Manchester.
Natürlich sind die Anforderungen in München enorm und es sind vor Gnabry auch schon andere krachend an der Aufgabe FC Bayern gescheitert. Lukas Podolski, Jan Schlaudraff oder Marcell Jansen versuchten es in München als hoffnungsvolle Talente und gingen desillusioniert nach kurzer Zeit wieder weg.
Leihe nach Hoffenheim?
Aber nur wegen der vergleichsweise spottbilligen Ablöse und der Tatsache, dass Gnabry im Prinzip kaum über internationale Erfahrung verfügt, sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Vielleicht ist Gnabry für das große Ziel Champions League in seiner ersten Saison in München noch zu leicht, auf Sicht kann er sich aber nur im Wettbewerb mit den ganz Großen auch entsprechend entwickeln. Und Spieler, die mit 21 oder 22 Jahren schon die Königsklasse entscheiden geprägt haben, muss man lange suchen.
Serge Gnabry hat den ganz großen Schritt gewagt, zumindest offiziell ist er bald ein Spieler des FC Bayern. Aber vielleicht wollen die Münchener ihre Nachwuchshoffnung ja auch noch eine Weile parken. Gerüchte um eine sofortige Leihe nach Hoffenheim halten sich hartnäckig.
Auch da könnte er womöglich Champions League spielen, bekäme wohl auch in der Bundesliga mehr Spielzeit und hätte mit Julian Nagelsmann einen Trainer, der in der Förderung junger Spieler einen besseren Ruf genießt als Carlo Ancelotti in München.
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