Das Spitzenspiel zwischen dem FC Bayern und RB Leipzig leitet der Unparteiische souverän, auch sonst stehen die Schiedsrichter nicht im Fokus. Ein ehemaliger Referee ist dennoch unzufrieden. Dabei schießt er jedoch übers Ziel hinaus.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eigentlich standen die Unparteiischen an diesem vorletzten Bundesliga-Spieltag nicht übermäßig mit strittigen Entscheidungen im Fokus. Im Topspiel zwischen dem FC Bayern München und RB Leipzig (1:3) gab es zwar gleich zwei Strafstöße gegen den Noch-Meister, die die Gäste zum Sieg nutzten.

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Doch beide Entscheidungen des aufmerksam und sicher leitenden Schiedsrichters Deniz Aytekin akzeptierten die Münchner vollauf, der Referee war bei den Teams nach dem Schlusspfiff kein Gesprächsthema. Seine großzügige Linie bei der Zweikampfbewertung nahmen die Mannschaften dankend an, Konflikte moderierte Aytekin gekonnt ab.

Auch im Abstiegskampf gab es nur wenige Diskussionen über die Unparteiischen, trotz der Tragweite mancher Entscheidung. Felix Brych erkannte in der Begegnung zwischen Hertha BSC und dem VfL Bochum (1:1) nach 20 Minuten nach einem On-Field-Review ein Tor von Dodi Lukebakio ab, weil Stevan Jovetić zuvor im Mittelfeld den Bochumer Ivan Ordets zu Boden gezogen hatte.

Referee Christian Dingert sprach der TSG 1899 Hoffenheim im Spiel gegen den 1. FC Union Berlin (4:2) in der 35. Minute beim Stand von 1:0 einen Elfmeter zu, nachdem er in der Review Area gesehen hatte, dass Diogo Leite im Zweikampf mit Christoph Baumgartner zwar erst den Ball geblockt, dann aber seinen Gegner mit den Stollen empfindlich am Fuß getroffen hatte.

In der Partie des FC Schalke 04 gegen Eintracht Frankfurt (1:1) blieb Schiedsrichter Daniel Schlager auch nach Ansicht der Bilder am Monitor dabei, dass der Oberkörpereinsatz von Christopher Lenz gegen den Schalker Cedric Brunner im Vorfeld des Frankfurter Ausgleichstreffers zum 1:1 nach 21 Minuten noch im Rahmen des Zulässigen war. Eine vertretbare Entscheidung.

Auf der anderen Seite bewertete er auch das Tackling von Henning Matriciani gegen den Frankfurter Buta im Schalker Strafraum in der 77. Minute nicht als regelwidrig, obwohl der Schalker nicht den Ball gespielt hatte und Buta über ihn gefallen war. Das war schon diskussionswürdiger.

Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe vermisst die Linie

Mit allen diesen Entscheidungen konnten die Teams gleichwohl leben, auch nach dem Schlusspfiff standen die Spielleiter nicht im Zentrum der Debatten. Ausgerechnet ein ehemaliger Schiedsrichter war trotzdem mit ihnen unzufrieden und rückte sie in den Mittelpunkt: Manuel Gräfe kritisierte sowohl im ZDF als auch auf seinem Twitter-Account seine früheren Kollegen einmal mehr deutlich.

Ihm fehlt vor allem spielübergreifend die Linie bei manchen Entscheidungen. "In der Bundesliga wird aktuell in einem Spiel so und leider im nächsten komplett anders entschieden", twitterte er. Daher komme auch die Unzufriedenheit von Spielern und Fans.

Gräfe verglich etwa das Halten von Jovetić gegen Ordets, das zur Annullierung des Tores für Hertha BSC führte, mit dem nicht geahndeten Griff des Leipzigers Amadou Haidara an das Trikot von Leon Goretzka, kurz bevor jener Eckstoß für die Münchner ausgeführt wurde, nach dem die Bayern sich auskontern ließen und das erste Gegentor hinnehmen mussten.

Nach Ansicht des Ex-Fifa-Referees hätten diese Szenen gleich bewertet werden müssen, nämlich entweder als Foulspiel oder als Einsatz, der im Rahmen des Ermessensspielraums des Schiedsrichters noch als regelkonform durchgeht. Der 49-Jährige ergänzte seinen Vergleich noch um zwei weitere Szenen aus den Spielen VfB Stuttgart – Bayer 04 Leverkusen und 1. FSV Mainz 05 – FC Schalke 04.

Auch die Bewertung von Handspielen ist aus Gräfes Sicht nicht einheitlich. So sei ein Handspiel des Stuttgarters Tiago Tomás im eigenen Strafraum im Spiel gegen Bayer 04 Leverkusen am 32. Spieltag nicht bestraft worden, obwohl die "Hand in die Flugbahn" gehalten worden sei.

Beim Handspiel des Münchners Noussair Mazraoui in der Partie gegen RB Leipzig dagegen sei auf Strafstoß erkannt worden, obwohl keine Absicht vorgelegen habe und der Arm nahe am Körper gewesen sei. "Fehler passieren, aber in Zeiten das VAR sollte es möglich sein, Vorgänge zu Halten und Handspiel nach klaren Vorgaben abzuarbeiten", schrieb der frühere Unparteiische.

Was die Entscheidungen in Berlin und München unterscheidet

Eine möglichst berechenbare und einheitliche Regelauslegung ist wohl im Sinne aller und erst Recht des Fußballs. Doch das ist bei einem Regelwerk, dessen Anwendung in der Praxis große Graubereiche und Ermessensspielräume umfasst, eine Herkulesaufgabe. Zurecht wies Schiedsrichter Felix Brych in der Sendung "Doppelpass" am Sonntag darauf hin, dass es oft schwierig ist, Szenen miteinander zu vergleichen, "weil sie immer unterschiedlich sind".

Manchmal sind es lediglich Nuancen, die etwa bei der Bewertung von Handspielen oder Zweikämpfen den Ausschlag in die eine oder andere Richtung geben. Nicht selten hängt das auch von der Linie des Schiedsrichters im jeweiligen Spiel ab, die sich wiederum am Spielcharakter und an der Spielweise der Teams orientieren sollte.

Dennoch gibt es Grundsätze und Vorgaben in der Regelauslegung, die unabhängig davon gelten. So wird beispielsweise der Tatsache, dass es im Vorfeld von Spielfortsetzungen in Tornähe häufig zu Positionskämpfen auch mit den Händen und Armen kommt und der Schiedsrichter zudem unmöglich alle Spielerpärchen gleichzeitig im Auge haben kann, in der Praxis Rechnung getragen.

Was sich fernab des Balles abspielt, ist weniger von Bedeutung als das, was dort geschieht, wo der Ball ist oder hinkommt. Zudem ist nicht jeder kurze Griff ans Trikot des Gegners automatisch strafbar – es kommt vor allem auf die Folgen an: Wird dieser Gegner dadurch zu Fall gebracht, am Weiterlaufen gehindert oder zum Ballverlust gezwungen?

Gräfes Vergleich der Szenen in Berlin und München ist insoweit nicht gut gewählt. Jovetić zog Ordets in einer dynamischen Situation deutlich sichtbar am Trikot und hielt ihn an der Schulter, dadurch brachte er ihn zu Boden und nahm ihn somit aus dem Spiel. Das war entscheidend dafür, dass Lukebakio danach freie Bahn hatte und traf.

Dass Ordets ebenfalls mit einem Arm "arbeitete", wie Gräfe geltend machte, stimmt zwar – nur hatte dieser Einsatz eine deutlich geringere Intensität und Dauer, er war deshalb nicht mit Jovetićs Vorgehen gleichzusetzen. Haidara wiederum zupfte Goretzka vor dem Eckstoß nur kurz am Trikot, und man darf bezweifeln, dass das ursächlich dafür war, dass der Münchner zu Boden ging. Der Ball kam zudem nicht in die Nähe der beiden.

Warum Gräfes Kritik überzogen ist

Verständlich und mindestens vertretbar war es deshalb, dass Deniz Aytekin anders entschied als sein Kollege Felix Brych, wiewohl dieser ebenfalls zunächst weiterspielen lassen hatte. Doch die Bilder im On-Field-Review stimmten ihn zu Recht um.

Manuel Gräfe liegt zwar richtig, wenn er sagt, dass in beiden Fällen jeweils eine andere Entscheidung möglich und vom Regelwerk gedeckt gewesen wäre. Aber die Situationen sind nicht gleichzusetzen, weil sie in wesentlichen Merkmalen anders gelagert sind. Deshalb taugt der Vergleich hier nicht dazu, in diesem Punkt eine uneinheitliche Regelauslegung festzustellen.

Die Handspiele von Tomás und Mazraoui weisen da schon mehr Ähnlichkeiten auf: Der jeweilige Arm war nahe am Körper – was ein sehr wichtiges Kriterium ist –, wurde aber gleichzeitig zum Ball geführt. Hier besteht die Problematik darin, dass regeltechnisch zwei Entscheidungen vertretbar sind, was entsprechend die jeweils andere nicht klar und offensichtlich falsch macht.

Dass unterschiedliche Entscheidungen herausgekommen sind, mag man kritisieren. Aber der VAR ist nicht dazu da, für eine Vereinheitlichung in der Regelauslegung zu sorgen, sondern er soll bei eindeutigen Fehlern und schwerwiegenden übersehenen Vorfällen eingreifen. Also in Situationen, in denen es keinen Ermessensspielraum gibt.

Dass es in puncto Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit bei der Regelauslegung etwas zu verbessern gibt, ist nicht ernsthaft zu bestreiten. Gleichzeitig mutet es überzogen an, wenn ein ehemaliger Bundesliga-Schiedsrichter an einem Spieltag mit insgesamt zufriedenstellenden Leistungen der Unparteiischen – und einem besonders souveränen Auftritt des Referees im Topspiel – erneut zur Generalkritik ansetzt. Fachlich hat er die Argumente jedenfalls nicht unbedingt auf seiner Seite.

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