Bayerns Trainer und seine Methoden stehen nach der siebten Muskelverletzung eines seiner Spieler in dieser Saison mal wieder im Fokus. Es gibt ein paar Fakten und jede Menge Spekulationen. So richtig erklären kann das Mysterium aber trotzdem niemand.

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Karl-Heinz Rummenigge trotte wortlos von dannen, im Gepäck den Rest der Vorstands-Entourage des FC Bayern. Matthias Sammer wollte zwar ein wenig vor den Kameras, nicht mehr aber in der Mixed Zone des Volksparkstadions in Hamburg reden.

Und Pep Guardiola? Der formulierte einen jener lakonischen Sätze, die so wenig transportieren sollen und doch so verräterisch sind.

"Wenn wir Jerome für längere Zeit verlieren sollten, werden wir weiter mit elf Mann spielen", sagte der Trainer also.

Die Verletzung von Jerome Boateng überschattet den Rückrundenauftakt der Bayern. Zum einen, weil der Innenverteidiger auf unbestimmte Zeit ausfallen wird; und zum anderen, weil nun wieder jene Debatten losgetreten werden, die es in München seit rund zwei Jahren schon gibt.

Die Debatten also, die immer im Hintergrund schwelen und bei der nächsten Verletzung eines Spielers hervorgekramt werden.

Guardiolas wenig emotionale Antwort auf die Frage, was der Ausfall seines wichtigsten Abwehrspielers bedeute, zeigt ganz deutlich, wie sehr den Trainer diese neuerliche Verletzung beschäftigt.

Es ist bereits die siebte muskuläre Blessur, die sich ein Bayern-Spieler in dieser Saison zuzieht.

Sieben Muskelverletzungen bisher

Mario Götze (Muskelsehnen-Ausriss in den Adduktoren), Juan Bernat (Bündelriss und Adduktorenprobleme), Franck Ribery (Muskelbündelriss im linken Oberschenkel) und Medhi Benatia (Muskelbündelriss im Oberschenkel) sind derzeit noch außer Gefecht, immerhin steht eine Rückkehr Bernats im Raum.

Dazu hatte es vorher die Verletzungen von Arjen Robben (muskuläre Probleme) und von Holger Badstuber (Muskelriss im Oberschenkel) zu beklagen gegeben.

Und nun also Boateng, die Nummer sieben.

"Das ist normal, wenn Spieler alle Wettbewerbe spielen und zu ihren Nationalmannschaften gehen", meint Guardiola dazu.

Die defensive Kommunikationspolitik der Bayern in Bezug auf verletzte Spieler lässt den Schluss zu, dass sich im Klub alle der Sprengkraft der Ereignisse bewusst sind und das Thema besser kleinhalten.

Aber spätestens seit dem Zerwürfnis mit Ex-Klub-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt im letzten Frühjahr und dessen Demission bei den Bayern nach rund vier Jahrzehnten der Zusammenarbeit stehen die Bayern, steht ihr Trainer bei jeder neuerlichen Verletzung noch mehr im Fokus.

Es steht die Schuldfrage im Raum - und keiner kann oder mag sie beantworten. Vielleicht lässt es sich rational auch gar nicht erklären, wie Thomas Müller vermutet.

"Irgendwie haben wir da die Seuche am Stiefel. Ich weiß auch nicht, warum. Das ist schwierig zu erklären, ob wir da was falsch machen. Keine Ahnung."

Das mag ein Ansatz sein. In einem Geschäft, in dem man auf Gedeih und Verderb auf die Unversehrtheit seines Personals angewiesen ist, reicht diese Erklärung aber nicht.

Spekulationen machen die Runde

Rund fünf Millionen Euro sollen die Bayern pro Saison in ihre medizinische Abteilung investieren.

Drei Ärzte, zehn Physiotherapeuten, Athletik- und Reha-Trainer stehen fix auf der Gehaltsliste, dazu kommen freie Mitarbeiter auf Honorarbasis.

Auch die Infrastruktur an der Säbener Straße wurde modernisiert. Die Bayern sind so üppig ausgestattet wie keine andere Mannschaft der Bundesliga und haben doch seit Monaten die häufigsten Verletzten zu beklagen.

Bereits in der vergangenen Saison hatten die Münchener neben Borussia Dortmund die meisten Verletzungstage zu verkraften.

Von 27 eingesetzten Spielern blieben da nur sieben die ganze Saison über unverletzt. Darunter die Weltmeister Jerome Boateng, Thomas Müller, Manuel Neuer und Mario Götze.

Das ist insofern verwunderlich, da in einer Saison nach einem Großereignis eigentlich besonders die Nationalspieler zu leiden haben.

Macht Guardiola Fehler?

Was dann wiederum gegen die These spräche, Guardiola würde in der Belastungssteuerung Fehler begehen.

Die Trainingsbelastung und -inhalte des Spaniers sind ebenfalls Gegenstand der Diskussionen.

Nur der Trainerstab und die Mediziner kennen alle Fakten und Hintergründe, der Rest sind Vermutungen und Spekulationen. Wie jene, die die "Bild" nun ins Gespräch bringt.

Die Zeitung zitiert einen namentlich nicht genannten Insider wie folgt: "Es gibt nicht die eine Ursache, es ist ein Zusammenspiel von mehreren Gründen: Der neue Hybridrasen-Trainingsplatz ist extrem hart.

Dazu kommt das Zusammenspiel zwischen Trainer und Medizinern und die Trainingssteuerung. Viel Tempo, wenig Ausdauer, Regeneration und Prävention, also Vorbeugung von Verletzungen."

Selbst das im Vergleich zu Spanien regnerische und kühlere Wetter in Deutschland soll schuld sein.

Es mache die Plätze in der Bundesliga tiefer und schwerer, Guardiola hätte dies unterschätzt.

Das alles sind vage Behauptungen wie auch jene, dass Boateng der klimatischen Umstellung vom Trainingslager im sonnigen Katar ins kalte Deutschland zum Opfer gefallen sei.

Werden die Bayern öfter gefoult?

Tatsächlich hat sich der Spieler aber in einem handelsüblichen Zweikampf verletzt. Und Zweikämpfe sind nun mal eine signifikante Komponente des Spiels.

Dass es besonders die Ballbesitz-Bayern von den Gegner immer noch härter abbekommen würden, ist ebenfalls eine haltlose These.

In der Bundesliga werden die Münchener trotz ihres überproportional hohen Ballbesitzanteils pro Partie am wenigsten gefoult.

Lediglich 221 verbotene Aktionen haben sich die gegnerischen Mannschaften nach 18 Spieltagen gegen die Bayern geleistet, das macht nur rund zwölf Fouls pro Partie.

Das hat in erster Linie mit der Spielanlage zu tun: Die Bayern sind anders als etwa Ingolstadt (293) oder Darmstadt (285), die am meisten gefoult werden, nicht darauf angewiesen, ein Spiel grundsätzlich über den Faktor Zweikampfführung zu definieren.

Die bayerische Misere ist ein kleines Mysterium, das kann man wohl getrost behaupten.

In Barcelona war alles anders

Guardiola trägt als Cheftrainer die Verantwortung, seine Rolle in der Causa ist aber schwer zu definieren. Und eine Schuld ist dem 45-Jäöhrige schon gar nicht nachzuweisen.

Als Guardiola noch beim FC Barcelona coachte, waren die Parameter im Prinzip dieselben wie in München: Da war eine dominante Ballbesitz-Mannschaft, die sogar noch mehr Spiele pro Saison spielen musste als die Bayern in der Bundesliga und im Pokal und eigentlich nur aus Nationalspielern bestand.

Die Spielidee war dieselbe, die Rekord und Erfolge ebenso historisch wie bisher in München. Nur eine Sache war ganz anders: Barca wurde in vier Jahren unter Guardiola nie von dieser Flut an Muskelverletzungen heimgesucht wie die Bayern jetzt.

Das kann Zufall sein. Muss es aber nicht. Vielleicht müssen sich auch noch andere hinterfragen als nur der Cheftrainer.

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