Der Fußball steckt wegen der ausbleibenden Zuschauereinnahmen in einer wirtschaftlichen Krise. Dies könnte die Chance für Investoren sein, die Macht über die Bundesliga zu übernehmen – zum Leidwesen vieler Fans.

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Corona hat auch den Fußball in eine Krise gestürzt. Die Zeiten ständiger Umsatzrekorde sind Vergangenheit. Die wegfallenden Zuschauereinnahmen stellen die Bundesligisten vor große Probleme.

Sven Mislinat, der Sportdirektor des VfB Stuttgart, schlägt Alarm. "Wir werden über alle Budget-Töpfe hinweg bis zu 30 Millionen Euro verlieren im Vergleich zur Pre-Corona-Zeit", sagte er im Interview mit Spox. "Wir leben in Zeiten, in denen es plötzlich vorstellbar erscheint, dass es nicht nur sportliche, sondern auch wirtschaftliche Absteiger aus der Bundesliga geben könnte."

Auch Hans Joachim Watzke, Geschäftsführer von Borussia Dortmund, ist besorgt. Jedes Spiel, das ohne Zuschauer ausgetragen werden muss, kostet die Dortmunder rund eine Million Euro. Ein Verein wie der BVB könne eine Saison ohne Zuschauer durchstehen, aber nicht länger. "Zwei, drei Jahre hält das keiner durch", sagte Watzke im Gespräch mit dem ZDF.

Bundesligisten beantragen Kredite oder planen Ausgliederung

Andere Vereine stecken bereits jetzt in Geldnot. Werder Bremen beispielsweise hat gemäß dem Werder-Portal "Deichstube" einen Kredit bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau beantragt, um einen Verlust von 30 Millionen Euro auszugleichen.

Der FC Schalke 04 hingegen, der ohnehin rund 200 Millionen Euro Schulden hat, soll laut "Sport Bild" bereits einen Kredit über 30 Millionen Euro erhalten haben, denkt zudem öffentlich über eine Ausgliederung nach.

Kurzum: Die Vereine bangen um ihre Existenz.

"Ich erwarte trotzdem keine Pleitewelle", sagt der Sportökonom Andreas Parensen von der Ruhr-Universität Bochum im Gespräch mit unserer Redaktion. "Die meisten Vereine haben sich auf die geringeren Einnahmen eingestellt. Der Transfermarkt hat sich deutlich abgekühlt. Zudem haben die meisten Clubs noch finanzielle Puffer."

Kriselnde Vereine sind empfänglich für Investoren

Doch was ist mit den Vereinen, die nicht über entsprechende Rücklagen verfügen? Bei Vereinen mit kurzfristigen Liquiditätsengpässen werde sicherlich intensiver darüber diskutiert, ob man sich für Investoren öffnen sollte, sagt Parensen.

Allerdings müsse dies gut durchdacht sein: "Der Verkauf von Anteilen ist eine strategische Entscheidung. Hat man erst einmal einen Investor, wird man ihn nicht so schnell wieder los."

Ein weiteres Problem: Da die Vereine derzeit weniger Geld erwirtschaften, sind die Vereinsanteile weniger wert. "Der Wert einer Fußball-Kapitalgesellschaft beträgt normalerweise etwa 150 oder 200 Prozent vom Jahresumsatz", nennt Parensen als Faustregel. "Für Investoren haben wir ein relativ günstiges Klima, da der Wert gesunken ist und der liquide Engpass der Vereine ein Verhandlungsvorteil für die Investoren ist."

Heißt: Investoren könnten sich günstig in die Bundesliga einkaufen.

Finanzielle Nöte sind aber nicht der einzige Grund, warum sich Vereine gegenüber Investoren öffnen könnten. In Zeiten von Corona könnte es auch darum gehen, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, erklärt Parensen: "Durch den weitestgehenden Wegfall der Zuschauereinnahmen gewinnen Sponsoring- und TV-Einnahmen an Bedeutung."

Das könnte bedeuten: "Für all die Vereine, die nicht zumindest gelegentlich international spielen, geht es dann nur noch darum, in der Bundesliga zu bleiben."

Gibt sich ein Verein damit nicht zufrieden, müssen anderweitig Gelder akquiriert werden. "Auch das könnte Vereine dazu antreiben, Investoren zuzulassen oder weitere Anteile an Kapitalgesellschaften zu verkaufen", glaubt Parensen.

Viele Fußball-Fans lehnen Investoren ab

Doch wie würden die Fans darauf reagieren? Fanforscher Jonas Gabler, ein Mitbegründer der "Kompetenzgruppe Fankulturen & Sport bezogene soziale Arbeit" in Hannover, weiß um deren Abneigung gegen Kommerzialisierung.

"Seit Anfang der 1990er-Jahre fand mit dem Privatfernsehen und der Einführung der Champions League eine beschleunigte Ökonomisierung des Fußballs statt. Dies führte bei den Fans zu einer Gegenbewegung, vor allem bei den Ultras", erklärt Gabler im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Der Grundkonflikt ist, dass die Menschen für ihre Unterstützung im Verein und im Stadion eine Wertschätzung erfahren möchten. Stattdessen aber nahm die Wertschätzung immer weiter ab. Die Interessen der Medien, Sponsoren und Investoren steht vermehrt im Vordergrund."

Investoren werden in Deutschland besonders kritisch gesehen, weil sie der Vereinskultur im Wege stehen. "Viele Fans wollen als Mitglied die Zukunft des Vereins mitgestalten. Wird ein Profiverein ausgegliedert oder von einem Investor übernommen, wird ihnen diese Möglichkeit genommen", erzählt Gabler.

Zudem glaube man in Fankreisen nicht, dass der Einstieg von Investoren ein Allheilmittel sei. "Fans verweisen darauf, dass die anfänglichen Versprechen oftmals nicht eingehalten wurden. Der HSV wollte nach der Ausgliederung zum Beispiel oben angreifen und spielt nun in der 2. Liga. Beim VfB Stuttgart war es ähnlich", sagt Gabler.

Er glaubt, dass der Einstieg weiterer Investoren das Verhältnis zwischen Fans und Vereinen weiter belasten würde. "Erst einmal freuen sich vielleicht viele Anhänger über die starken Neuzugänge. Aber wenn die Mannschaft dann nicht gut spielt und das Geld ausgegeben ist, wird die Kritik laut."

Wenn sich plötzlich die Vereinsfarben ändern

Zumal die Investoren ihren Einfluss geltend machen könnten. "In Österreich gibt es das Beispiel Red Bull Salzburg. Hier hat Red Bull nicht nur den Vereinsnamen geändert, sondern auch noch das Logo und die Vereinsfarben. Dabei haben gerade diese Dinge für die Anhänger eine große Bedeutung."

Doch wird das die Vereine davon abhalten, sich Investoren zu öffnen? Gabler hat seine Zweifel: "Die Vereine könnten sich sagen, dass sie den Verlust einiger Fans einfach in Kauf nehmen, dafür aber junge Fans hinzubekommen, die damit weniger Probleme haben. Auch wenn die Gewinnung neuer Fans in Zeiten von Corona schwieriger wird."

Auch Sportökonom Parensen glaubt, dass sich die Entwicklung nicht aufhalten lässt: "Seitdem die Möglichkeit besteht, haben wir eine kontinuierliche Zunahme von Investoren. Dieser Trend wird sich fortsetzen."

Über die Experten:
Jonas Gabler ist studierter Diplom-Politologe und Mitgründer der Kompetenzgruppe Fankulturen & Sport bezogene soziale Arbeit. Fußballfankulturen, insbesondere Ultras, zählen zu seinen Schwerpunkten. Zudem ist er Autor des Buches "Die Ultras: Fußballfans und Fußballkulturen in Deutschland."
Andreas Parensen ist Diplom-Kaufmann und Diplom-Sportwissenschaftler. Seit 2007 ist er im Studienschwerpunkt Sportmanagement des Bachelor-Studiengangs Sportwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum tätig, seit 2010 als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er unterrichtet unter anderem Seminare zum Bereich Finanzierung und Investition im Sport.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Jonas Gabler
  • Interview mit Andreas Parensen
  • spox.com: "VfB-Sportdirektor Sven Mislintat im Interview: 'Rino hat als Trainer alle Waffen, die man braucht'"
  • zdf.de: "BVB-Chef Watzke kritisiert die Kanzlerin"
  • deichstube.de: "Werder Bremen verneint Insolvenzgefahr – und ein grün-weißer Appell von Kohfeldt"
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