Uli Hoeneß bemängelt, dass der FC Bayern München zu viele einfache Gegentore zulässt. Vincent Kompany hat offenbar eine andere Sicht auf die Dinge und verweist auf die wenigen Gegentreffer in der Bundesliga. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Eine Analyse
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Drei Gegentore am vergangenen Samstag gegen Holstein Kiel, drei Gegentore im Januar bei Feyenoord Rotterdam. Die Abwehr bleibt beim FC Bayern München ein großes Diskussionsthema. Ehrenpräsident Uli Hoeneß ist grundsätzlich ein Befürworter von Trainer Vincent Kompany und seiner offensiven Spielweise. Dennoch kündigte er beim "Sonntags-Stammtisch" des Bayerischen Fernsehens an: "Wenn ich ihn demnächst mal sehe, werde ich ihn auch fragen, warum wir so viele leichte Tore kriegen."

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Noch hat dieses Gespräch offenbar nicht stattgefunden. Als Kompany am Donnerstag bei der Pressekonferenz auf die Aussage von Hoeneß angesprochen wurde, wich er aus: "Das ist ein Verein, bei dem es natürlich sehr viele Führungsleute gibt. Alle haben eine Meinung. Aber ich kann nicht zu jeder Meinung eine Antwort geben. Meine einzige Priorität sind die Jungs."

Und doch ließ Kompany durchblicken, dass ihn die Kritik an der Defensive des FC Bayern stört. "Ich kann Ihnen jede Mannschaft in Deutschland nennen, die mehr Gegentore kassiert hat als wir – nämlich alle", sagte der Belgier auf Nachfrage eines Journalisten.

Kompany will den Fokus aufs Positive lenken

Tatsächlich sind die 19 Gegentore noch immer der beste Wert der Bundesliga. Auch in der 2. Bundesliga und der 3. Liga gibt es keine Mannschaft, die so wenige Gegentore kassiert hat wie der FC Bayern. "Wir hatten bereits eine Phase mit sieben Spielen ohne Gegentor. Wir haben gezeigt, dass wir das können. Auch in den ersten zwei Spielen dieses Jahres haben wir kein Gegentor kassiert", erinnerte Kompany.

Es entspricht nicht seiner Herangehensweise, den Fokus zu sehr auf vermeintliche Schwächen zu legen. Zwar sei es die Aufgabe von ihm und den Spielern, immer besser zu werden. Aber: "Dafür braucht man auch Energie. Und diese Energie bekommst du nicht, wenn du nur darauf schaust, was nicht klappt. Manchmal sollte man auch darauf schauen, was man richtig macht, das schützen und beibehalten."

Viele Gegentore in der Champions League

Einerseits hat Kompany recht, wenn er auf die wenigen Gegentore in der Bundesliga hinweist. Andererseits gerät dadurch in Vergessenheit, dass der FC Bayern in der Champions League zwölf Gegentore in acht Spielen kassierte. Ein Schnitt von 1,5 Gegentoren pro Spiel ist keineswegs ein Top-Wert. 13 Mannschaften in der Champions League ließen in der Ligaphase weniger Gegentreffer zu.

Jeder Trainer in Europa dürfte mittlerweile wissen, wie sich Tore gegen den FC Bayern erzielen lassen. Weil die Innenverteidiger sehr hoch verteidigen, genügt nach Ballgewinnen oftmals ein schneller tiefer Pass in die Spitze, um die Abwehrkette zu überlisten. Es ist offensichtlich, dass in solchen Spielsituationen die Abstimmung unter den Verteidigern nicht stimmt.

Matthäus: Dem FC Bayern fehlt ein Abwehrchef

Der frühere Bayern-Spieler und heutige TV-Experte Lothar Matthäus führt das darauf zurück, dass es keinen Abwehrchef in der Mannschaft gibt. "Bayern braucht in der Abwehr einen Leader. Einen, der den Nebenmann führt. Denn das sind weder Kim noch Upamecano. Sie sind beide talentiert, gute Spieler, aber vom Naturell keine Anführer", sagte er gegenüber der "Sport Bild".

Demzufolge hätte der FC Bayern im vergangenen Sommer einen großen Fehler gemacht, als Innenverteidiger Matthijs de Ligt nach England an Manchester United abgegeben wurde. "Matthijs de Ligt hätte es sein können, er war im Team anerkannt. Auch wenn er bei Manchester United nicht diese Leistung bringt – bei Bayern hätte man ihn aufbauen können", glaubt Matthäus.

Kim von Problemen an der Achillessehne geplagt

Der FC Bayern setzt mit Dayot Upamecano und Min-jae Kim auf zwei Innenverteidiger, die einerseits Zweikampfstärke und viel Qualität im Aufbauspiel mitbringen. Aber: Beide sind fehleranfällig. Kim beispielsweise unterliefen bei den Niederlagen im Dezember gegen den 1. FSV Mainz 05 und in Rotterdam mehrere Patzer.

Ein Grund dafür könnte sein, dass der Südkoreaner seit Monaten von Schmerzen an der Achillessehne geplagt ist. "Seit dem Spiel in Frankfurt (6. Oktober, Anm.d.Red.) habe ich Probleme", verriet er. Laut der "Sport Bild" hätte es daher ein Gespräch mit Kompany gegeben. Doch der Trainer bat ihn offenbar darum, weiterzuspielen. In vielen Spielen funktioniert Kim trotzdem gut – aber eben nicht immer.

Wenn der FC Bayern Chancen zulässt, sind es Hochkaräter

Der frühere Stürmer Fredi Bobic stellte im "Sport1 Doppelpass" fest: "Wenn sie etwas zulassen, sind es Hochkaräter – aber richtige Hochkaräter. Da kann selbst Manuel Neuer nichts mehr machen. Das müssen sie wegkriegen. Denn gegen richtig gute Mannschaften, wenn es in die Champions-League-Phase kommt, wirst du bestraft."

So lange der FC Bayern in der Offensive funktioniert, lässt sich das verschmerzen. Daher wurde auch das Spiel gegen Kiel mit 4:3 gewonnen. Doch selbst Harry Kane und Co. können nicht immer vier Tore schießen.

Das 0:3 gegen Feyenoord war laut Bobic ein gutes Beispiel dafür: "In Rotterdam hat man überlegen gespielt, viele Torchancen gehabt, aber den Ball nicht reinbekommen – und der Gegner hat gefühlt aus vier Torschüssen drei Tore gemacht."

Solche Spiele sollten sich aus Sicht des FC Bayern nicht wiederholen. Ansonsten dürfte Hoeneß tatsächlich noch einmal bei Kompany nachfragen.

Verwendete Quellen

  • Pressekonferenz des FC Bayern München, 06.02.2025
  • Sport Bild (6/2025): Bayern braucht einen Abwehr-Leader
  • Sport1: Doppelpass (02.02.2025)
  • BR: Sonntags-Stammtisch (02.02.2025)
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