Die frühere Bayern-Spielerin und heutige Sky-Expertin Julia Simic spricht im Interview über das Top-Spiel zwischen Bayern München und Borussia Dortmund, den Umgang mit Thomas Müller und das Ranking im deutschen Fußball.
Bayern München gegen Borussia Dortmund gilt noch immer als das Top-Duell des deutschen Fußballs. Tatsächlich allerdings sind die Grundvoraussetzungen diesmal sehr unterschiedlich. Während Bayern auf dem 1. Tabellenplatz steht, hängt Borussia Dortmund im Tabellenmittelfeld fest.
Beide Mannschaften kassierten unter der Woche eine Niederlage im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League. Bayern verlor mit 1:2 gegen Inter Mailand, Dortmund mit 0:4 gegen den FC Barcelona.
Julia Simic spielte in ihrer aktiven Zeit selber für den FC Bayern München. Heute ist sie als Expertin von "Sky" im Einsatz. Die 35-Jährige wird am Samstag um 18:30 Uhr vor Ort sein, wenn der FC Bayern den BVB empfängt. Im Interview mit unserer Redaktion blickt sie auf diese Partie.
Frau Simic, welche Mannschaft ist nach der Niederlage in der Champions League angeschlagener?
Julia Simic: Ich denke, Dortmund. Bayern hat gegen Inter zwar verloren. Trotzdem war das ein richtig gutes Fußballspiel. Zwischen Dortmund und Barcelona war der Unterschied größer. Dortmund hatte viel weniger Chancen. Sie bekamen ihre Grenzen aufgezeigt. Daher dürfte es für sie schwerer sein, sich davon zu erholen. Ich glaube, sie sind mental angeschlagen.
Wer steht nun beim Bundesligaspiel mehr unter Druck?
Ich glaube, für Dortmund geht es um mehr. Natürlich möchte auch Bayern möglichst früh die Meisterschaft perfekt machen. Aber es wäre keine Katastrophe, wenn sie nur einen Punkt holen oder sogar verlieren. Sie haben die Meisterschaft trotzdem in der eigenen Hand. Dortmund hat erst zum zweiten Mal in dieser Saison zwei Bundesligaspiele hintereinander gewonnen. Sie haben es geschafft, den Rückstand auf die Champions-League-Plätze zu verkürzen. Umso wichtiger wäre es, dass sie in München mit dem nächsten Sieg nachlegen.
Der FC Bayern München hat entschieden, den Vertrag mit Thomas Müller nicht zu verlängern. Wie bewerten Sie diese Entscheidung als ehemalige Bayern-Spielerin?
Es hat irgendwie ein Geschmäckle. Ich denke, man hätte den Abschied aus Vereinssicht besser hinbekommen müssen.
"Es wäre gut gewesen, wenn Müller seine Entscheidung hätte selber treffen können."
Wie hätte der FC Bayern sich stattdessen verhalten sollen?
Eine gewisse Brisanz ist dadurch entstanden, dass Max Eberl noch im Januar sagte, dass Müller einen neuen Vertrag bekäme. Es wäre gut gewesen, wenn Müller seine Entscheidung hätte selber treffen können. Man hätte ihm ein deutlich geringeres Angebot machen können, sodass er vielleicht über die Hälfte weniger verdient hätte. Dann hätte Müller selber entscheiden können, ob er dafür bleiben möchte oder nicht. So tut es dem Bayern-Fan weh, weil ihm einfach mitgeteilt wurde, keine Zukunft in München zu haben.
Auffällig ist allerdings, dass Müller unter Trainer
Schlussendlich muss der Trainer solche Entscheidungen treffen. Er sieht die Jungs täglich im Training, hat ein Bauchgefühl und entwirft einen Matchplan. Das können wir als Außenstehende nur zu einem gewissen Teil bewerten. Dass Müller trotz der Verletzungsausfälle nicht in der Startelf stand, zeigt allerdings, dass er beim Trainer nur ein geringes Standing hat. Daher wollte der Verein seinen Vertrag wohl auch nicht verlängern.
Aber…?
Aber ich persönlich bin der Meinung, dass Thomas Müller ein Spieler ist, der immer Energie in eine Mannschaft bringt. Gerade gegen eine italienische Mannschaft wie Inter Mailand, die auf eine defensive Struktur bedacht ist, hätte ein Thomas Müller gutgetan, weil er ein gewisses Chaos und eine Unberechenbarkeit ins Spiel gebracht hätte. Außerdem ist er noch immer torgefährlich. Aber Kompany hatte eben einen anderen Plan. Grundsätzlich finde ich es auch richtig, dass er sich von den Nebengeräuschen nicht beeinflussen lässt. Er trifft die Entscheidungen, die seiner Ansicht nach für die Mannschaft am besten sind.
"Wenn Harry Kane nicht trifft und Musiala nicht auf dem Platz steht, wird es mit dem Toreschießen eng."
Jamal Musial wird dem FC Bayern verletzungsbedingt weiterhin fehlen. Ist die Mannschaft ohne ihn nur halb so gut?
Halb so gut wären 50 Prozent. Ein bisschen besser sind sie auch ohne Musiala. Aber Musiala ist mit seiner Qualität der Unterschiedsspieler – ähnlich wie
In der Verteidigung fehlen beim FC Bayern mit
Ja, das kann auf jeden Fall ein Schlüssel sein – gerade, wenn Dortmund auf diesen Positionen ein bisschen rotiert. Das hat auch Inter Mailand sehr gut gemacht. Dadurch lässt sich die Abwehr und das Pressing des FC Bayern auseinanderziehen, sodass man die eigenen Spieler in die Tiefe schicken kann. Der FC Bayern hat bei tiefen Bällen große Probleme, gerade bei Umschaltsituationen oder wenn sie hoch pressen. Dieses Problem bestand auch mit Upamecano und Davies. Allerdings sind das zwei Sprinter, die mit ihrer Geschwindigkeit Angriffe entschärfen können. Diese Qualität fehlt dem FC Bayern nun. Daher könnte tatsächlich ein Erfolgsschlüssel darin liegen, Adeyemi, Gittens oder auch Serhou Guirassy in die Tiefe zu schicken.
Wie wird das Spiel Ihrer Einschätzung nach enden?
Ich glaube, es wird enger als viele annehmen. Aber Bayern wird am Ende gewinnen.
Borussia Dortmund war über viele Jahre der Konkurrent Nummer eins des FC Bayern München. Momentan scheinen sie den Anschluss verloren zu haben. Glauben Sie, dass der BVB bald wieder zur alten Stärke zurückfinden wird?
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, Leverkusen hat mit Florian Wirtz noch eine andere Qualität. Wenn er in Leverkusen bleibt, ist das weiterhin die zweitbeste Mannschaft in Deutschland. Außerdem glaube ich, dass Stuttgart sich nach dieser Saison wieder fangen wird und in der Tabelle höher eingliedert. RB Leipzig darf man ebenfalls nicht vergessen. Aber ich schätze Dortmund stärker ein als sie momentan dastehen. An Leverkusen kommen sie vermutlich nicht so schnell vorbei, weil Bayer kadertechnisch besser aufgestellt ist und von der Struktur im Verein deutlich stimmiger agiert. Das tut Dortmund natürlich weh. Aber aktuell gehören sie maximal zu den Top-3 in Deutschland.
Über die Gesprächspartnerin
- Julia Simic (Jahrgang 1989) spielte in ihrer aktiven Zeit unter anderem für den FC Bayern München, den VfL Wolfsburg, West Ham United und den AC Mailand, absolvierte außerdem zwei Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft. Im Mai 2021 beendete sie ihre Karriere. Heute arbeitet sie als TV-Expertin bei "Sky". Zudem ist Simic Co-Trainerin der U-20 Frauen von Eintracht Frankfurt.