Julian Nagelsmann ist beim FC Bayern Geschichte: Während Leon Goretzka emotionale Worte über seinen Trainer fand, konnte Bundestrainer Hansi Flick die Entlassung nicht so recht wahrhaben.

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Um 16.10 Uhr brauste Julian Nagelsmann in seiner schwarzen Dienst-Limousine davon. Rund 90 Minuten später war die kurze Ära bei seinem Traumverein FC Bayern auch offiziell beendet - und Nachfolger Thomas Tuchel bestätigt. Hasan Salihamidzic sprach von der "schwierigsten Entscheidung" in seiner Zeit als Sportchef, das völlig unerwartete Trainerbeben erschütterte ganz Fußball-Deutschland. Für den früheren Bayern-Spieler Thomas Helmer ist die Entlassung "aus sportlicher Sicht schwer zu verstehen".

Leon Goretzka reagierte mit emotionalen Abschiedsworten auf die Freistellung seines Trainers. "Herzlichen Dank für die Zusammenarbeit. Eine Zusammenarbeit, die jederzeit von Vertrauen, Spaß und gegenseitiger Wertschätzung geprägt war. Du bist ein großartiger Mensch und Trainer, dem wir alle von Herzen nur das Allerbeste wünschen", schrieb der Nationalspieler am Freitagabend auf Instagram.

"Es liegt nun an uns, deine Arbeit erfolgreich zu Ende zu bringen. Danke für Alles!", schrieb Goretzka weiter. Dazu veröffentlichte der 28-Jährige ein Bild, das ihn und seinen ehemaligen Trainer unmittelbar vor einer Umarmung auf dem Platz zeigt. Die Bayern sind in dieser Saison noch in jedem Wettbewerb vertreten und können das Titel-Triple holen.

FC Bayern feuert Nagelsmann - Tuchel erhält Vertrag bis 2025

Zuvor hatte sich Bayern-Boss Oliver Kahn höchstpersönlich gegen Nagelsmann ausgesprochen. Der Rekordmeister sei "zu der Erkenntnis gekommen, dass sich die Qualität unseres Kaders zunehmend seltener gezeigt hat", sagte er und kritisierte die "immer weniger erfolgreichen und attraktiven" Auftritte sowie "die starken Leistungsschwankungen". Man habe die Ziele "auch über diese Saison hinaus" gefährdet gesehen, "deshalb haben wir jetzt reagiert".

Das "Langzeitprojekt" Nagelsmann, beim Amtsantritt 2021 25 Millionen Euro Ablöse schwer und mit einem Vertrag bis 2026 ausgestattet, war nach nur 631 Tagen beendet. Der frühere Dortmund-Coach Tuchel wurde bis 2025 gebunden - und von seinem Ex-Chef freudig begrüßt. "Für die Bundesliga sagen wir: Willkommen zurück, Thomas Tuchel!", sagte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke dem SID in seiner Funktion als DFL-Aufsichtsratschef.

Tuchel (49) wird am Samstag (12.00 Uhr) vorgestellt und soll am Montag erstmals das Training an der Säbener Straße leiten - nur fünf Tage vor dem Klassiker gegen Tabellenführer BVB, von dem er nach dem Pokalsieg 2017 im Unfrieden geschieden war. Die Schockwellen des Bebens waren auch in Frankfurt deutlich zu spüren.

Kimmich von Nagelsmann-Entlassung betroffen

Bundestrainer Hansi Flick war "sehr, sehr überrascht" vom Aus seines Münchner Nachfolgers, dessen wichtigster Spieler Joshua Kimmich wirkte betroffen. "Ich kann nur sagen, dass Julian Nagelsmann ein überragender Trainer ist", sagte Kimmich am DFB-Campus: "Ich hatte schon sehr viele Trainer, sehr viele Top-Trainer, er ist locker Top drei."

Und doch ist Nagelsmann gescheitert. Das Aus, das am Vorabend durchgesickert war, sollte dem 35-Jährigen am Nachmittag noch einmal persönlich mitgeteilt werden. Obwohl es längst überall in den Zeitungen und im Netz stand - inklusive Nachfolgeregelung.

Tuchel, in der Saison 2007/08 beim FC Augsburg II Trainer von Nagelsmann, wohnt seit ein paar Wochen wieder in München und ist der logische Erbe. Bereits 2018 wollten ihn die Bayern, damals als Nachfolger von Jupp Heynckes. Doch die Münchner zögerten zu lange - und Tuchel unterschrieb bei Paris St. Germain. 2020 verlor er das Finale der Champions League gegen die Flick-Bayern, 2021 gewann er den Henkelpott mit dem FC Chelsea.

Bayern-Spieler distanzierten sich immer mehr von Nagelsmann

In München warten sofort die Wochen der Wahrheit: Der Kracher gegen Dortmund, das seit der WM-Pause zehn Punkte mehr holte als die Bayern, die Duelle mit Freiburg im Pokal-Viertelfinale und in der Liga, dann das Gigantentreffen mit Manchester City um Stürmerstar Erling Haaland in der Königsklasse.

Zunächst wird Tuchel die Spieler für sich einnehmen müssen, die immer mehr auf Distanz zu Nagelsmann gegangen waren. "Der Trainer hat die Kabine verloren" - das ist von jeher das klassische Trennungsmotiv, vor allem im Münchner "Haifischbecken". So ging es Carlo Ancelotti oder Niko Kovac - und jetzt Nagelsmann.

Zweifel am von den Bossen einst so betitelten "Trainertalent" gab es seit der Vorsaison mit den peinlichen Pleiten gegen Borussia Mönchengladbach im Pokal (0:5) oder in der Champions League gegen Außenseiter Villarreal. Jetzt fürchteten Kahn und Salihamidzic ein böses Deja-vu.

Treueschwüre der Bayern-Verantwortlichen plötzlich nichtig

Rund um das Duell mit PSG in der Königsklasse (1:0/2:0) gab es zwar mehrere Treueschwüre aller Führungskräfte. Doch die ernüchternde 1:2-Niederlage am vergangenen Sonntag in Leverkusen brachte neue Dynamik.

Zumal die Bayern fürchten mussten, dass ihnen ihr Traumtrainer Tuchel erneut durch die Lappen gehen würde. Tottenham war an ihm dran, bei Real Madrid war er perspektivisch als Ancelotti-Erbe im Gespräch.

Die Umstände der Nagelsmann-Freistellung, wie die Trennung aus vertragsrechtlichen Gründen genannt wird, führten im Fanlager zu Kritik. Wie Nagelsmann, der mit seiner Freundin Lena im Skiurlaub weilte, wurden auch die Spieler kalt erwischt. Spätestens am Freitagnachmittag hatten auch sie Klarheit. (mt/dpa/SID)

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