Drama gab es schon immer beim FC Bayern. Der Spitzname "FC Hollywood" ist nicht umsonst fast 30 Jahre alt. Doch was sich in den letzten Monaten rund um den Klub abspielte, hatte eine neue Dimension.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Neuer-Interview zum Jahreswechsel, ein Rauswurf des Torwart-Trainers, der Rauswurf des Trainers. Monatelange Diskussionen um ein bevorstehendes Ende von Oliver Kahn als CEO, die komplett unwidersprochen blieben, Durchstechereien aus der Kabine, teilweise unterirdische sportliche Auftritte – es war so viel zusammengekommen, dass man kaum noch hinterherkam.

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Das vergangene Wochenende war aber der negative Höhepunkt. Der sportlich fragwürdige und kommunikativ völlig verkorkste Rauswurf von Julian Nagelsmann wirkte im Vergleich fast wie eine Lappalie gegen das, was sich rund um die sensationell gewonnene Meisterschaft am letzten Spieltag im Klub abspielte.

FC Bayern: Chaotisches Wochenende als Krönung einer chaotischen Saison

Selbst für Insider war am Wochenende kaum noch nachvollziehbar, wer da jetzt eigentlich wann, wen, wie, worüber informiert hat oder nicht. Fakt ist: Es ist unheimlich viel Porzellan zerschlagen. Oliver Kahn und Hassan Salihamidzic sind Geschichte. Und eine neue Bayern-Führung rund um den neuen Vorstandsvorsitzenden Jan-Christian Dreesen muss den Verein in eine ruhigere Zukunft führen.

Als Fan des Klubs konnte man zuletzt nur ungläubig den Kopf schütteln. Das war nicht Bayern-like. Weder auf noch neben dem Platz. Wie gesagt: Unruhig war es häufig, doch Bayern-Fans und Mitglieder konnten sich auf zwei Dinge eigentlich immer verlassen. Die Mannschaft war sportlich exzellent und der Klub wurde langfristig, professionell und familiär geführt. Darauf konnte man sich als Bayern-Fan verlassen. Darauf konnte man als Bayern-Fan sogar stolz sein. Aktuell fragt man sich, ob das noch gilt.

Der Verein muss es schaffen, wieder nachvollziehbare, vernünftig begründete Entscheidungen zu treffen und dabei seine treuen Fans mitzunehmen. Egal ob bei Personalentscheidungen, Vertragsverlängerungen oder kritischen Themen wie dem Streit um ein umstrittenes Sponsoring aus Katar. Eine klare Linie. Gut begründet und von der gesamten Führung getragen.

Also von Vorstand und Aufsichtsrat. Viel mehr wünscht man sich als Fan eigentlich nicht. Auch für die Mannschaft und Trainer Thomas Tuchel, die fünf Minuten nach der emotionalen Meisterschaft vor allem Fragen zu internen Querelen beantworten mussten, ist das eine wichtige Basis für den zukünftigen Erfolg.

Kaderplanung muss erstmal ohne Sportchef weitergehen

Denn auch sportlich gibt es Nachholbedarf. Es ist ungünstig, dass die Kaderplanung nun erstmal ohne einen Sportchef fortgesetzt werden muss. Thomas Tuchel, der einem ob der chaotischen Zustände um ihn herum fast ein wenig leidtun kann, braucht einen verlässlichen Ansprechpartner, um die Mannschaft nach seinen Vorstellungen zusammenzustellen.

Die Lücke im Sturm. Der fehlende zweikampfstarke Sechser. Mögliche Abgänge von unzufriedenen Spielern. Offene Vertragsverlängerungen von Leistungsträgern wie Benjamin Pavard. Der Kader, der zudem noch auf Julian Nagelsmann ausgerichtet ist, steht vor einem Umbruch.

Ja, der Markt ist kompliziert und das echte Leben ist kein Kicker-Managerspiel. Doch es wurde offensichtlich, dass die Mannschaft zuletzt etwas schief zusammengesetzt war. Der FC Bayern wird vermutlich nie deshalb die Champions League gewinnen, weil er die besten Einzelspieler zusammenkauft. Er kann und will im Spiel der Milliarden-Klubs aus Paris oder Manchester gar nicht mitspielen.

Das erwartet übrigens auch niemand aus der Fanszene. Im Gegenteil. Der FC Bayern will und soll seinen eigenen Weg finden, um erfolgreich zu sein. Wirtschaftlich solide und mit geschickter Transferpolitik, die darauf ausgerichtet ist, ein Team zu formen. Team im wahrsten Wortsinn.

"FC Bayern Deutschland" war mal ein Schlagwort

Auch hier geht es wieder um Nachvollziehbarkeit. "FC Bayern Deutschland" war mal ein Schlagwort, das eine Idee umschrieb. Der FC Bayern sollte den Kern einer erfolgreichen deutschen Nationalmannschaft bilden und die besten deutschen Spieler im Kader vereinen, ergänzt um einige herausragende Einzelspieler.

Zu Beginn der 2010er Jahre war der FC Bayern zurecht stolz, dass der Kern der Mannschaft sogar aus Spielern aus der eigenen Jugend bestand. Beides sind legitime Ansätze. Vor allem aber waren es Wege, die viele Fans nachvollziehen und mitgehen konnten.

Es gibt sicher weitere Ansätze. Zum Beispiel die beste Mannschaft für den Spielstil von Thomas Tuchel zu finden, der die Mannschaft hoffentlich längerfristig prägen soll. Oder Spieler zu verpflichten, deren Spielweise besonders gut zu den Werten und Prinzipien des FC Bayern passt. Wie auch immer der Ansatz ist: Er muss nachvollziehbar sein und erklärt werden, damit der spürbare Graben zwischen Fans und Klub wieder kleiner wird und der Verein insgesamt wieder zusammenwächst.

Jamal Musiala als Hoffnungsträger

Das Meisterfinale kann so auch ein Startpunkt sein, denn blendet man die Nebengeräusche für einen Moment aus, war das ein großer Moment. Die Mannschaft hat sich aufgebäumt und trotz einer sehr durchwachsenen Leistung am Ende einen Weg gefunden, erfolgreich zu sein. Das war dann ganz zum Schluss doch noch Bayern-like.

Dass ausgerechnet Jamal Musiala dabei in herausragender Manier den entscheidenden Treffer erzielte, passt ins Bild. Er ist einer, der vielen Bayern-Fans ans Herz gewachsen ist. Weil er den Siegeswillen, die Identifikation mit dem Klub und herausragende individuelle Qualitäten vereint. Um Spieler wie ihn sollte jetzt eine neue Mannschaft wachsen.

Und vielleicht kann man dann auch als Fan wieder guten Gewissens sagen: Auf diesen FC Bayern kann man stolz sein.

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