Richard Kitzbichler ist als Übergangskoordinator des FC Bayern München für die Nachwuchsspieler und die Leihspieler zuständig. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über die Entwicklung von Paul Wanner, Mathys Tel, Bryan Zaragoza & Co, außerdem über die UEFA Youth League und die Zusammenarbeit mit Max Eberl.

Ein Interview

Herr Kitzbichler, was genau macht eigentlich ein Übergangskoordinator?

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Richard Kitzbichler: Ich bin ein Bindeglied zwischen dem Campus und der Profiabteilung. Wenn die Profis und unsere U23 eher am Vormittag an der Säbener Straße trainieren, bin ich dort von Ort. Am Nachmittag und Abend bin ich am Campus, weil dann alle unsere Jugendmannschaften trainieren. Ich stehe mit den Trainern, der Campus-Leitung und Sportdirektor Christoph Freund in einem ständigen Austausch. Gleichzeitig bin ich auch für unsere Leihspieler zuständig.

Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Spieler des FC Bayern München verliehen werden?

Es sind vor allem Spieler, die eine Saison oder mehr für unsere 2. Mannschaft in der Regionalliga Bayern gespielt haben und höhere Aufgaben brauchen, allerdings noch nicht bereit sind, direkt bei den Profis mitzuwirken. Sie brauchen einfach Spielzeit. Wir verleihen diese Spieler an Clubs, wo die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie viel Spielzeit bekommen. Das ist ein entscheidendes Kriterium, um sich weiterzuentwickeln.

Wie bewerten Sie allgemein die Nachwuchsarbeit beim FC Bayern?

Im Campus wird insgesamt sehr gute Arbeit geleistet. Das läuft manchmal unter dem Radar, weil in der Öffentlichkeit vor allem darauf geschaut wird, wie viele Spieler bei unserer Profimannschaft ankommen. Das gelang in der jüngeren Vergangenheit mit Jamal Musial, Aleks Pavlovic und Josip Stanisic sehr gut. Aber der Sprung ist natürlich sehr groß, weil der FC Bayern einfach sehr hohe Anforderungen an die Spieler stellt. Man muss schon besondere Fähigkeiten haben, um dort Fuß zu fassen. Das ist natürlich unser Ziel. Aber wir wollen auch Spieler ausbilden, die es vielleicht nicht bei uns in die 1. Mannschaft schaffen, aber trotzdem im Profifußball ihren Weg gehen. Dadurch lassen sich teilweise Ablösen einnehmen, sodass sich die Gelder wieder reinvestieren lassen.

Sie haben eben bereits die Zusammenarbeit mit Christoph Freund erwähnt. Stehen Sie auch mit Sportvorstand Max Eberl im Austausch?

Max Eberl und ich haben unser Büro auf der gleichen Etage, sodass wir uns regelmäßig sehen. Es gibt regelmäßige Jour Fixe, bei denen unter anderem Max Eberl, Christoph Freund, Jochen Sauer und Markus Weinzierl (Leitung der Nachwuchsabteilung, Anm.d.Red) oder auch unser Scouting-Chef Nils Schmadtke sowie Nachwuchs-Kaderplaner Florian Zahn zusammenkommen. Dabei wird besprochen, wie die Situation der einzelnen Spieler ist und wie es mit ihnen weitergeht.

Sie haben im Campus viele Top-Talente. Dennoch sind Spieler wie Jamal Musiala, Josip Stanisic oder Aleksandar Pavlović, die sich bei den Profis durchsetzen, natürlich die Ausnahme. Wo liegt beim Sprung zu den Profis die größte Herausforderung?

Das Schwierigste ist, dass man Spielzeit bekommt. Es gibt immer wieder junge Spieler, die bei den Profis im Training mitmischen. Es ist natürlich ein besonderes Erlebnis, im Kreise solcher Top-Spieler zu trainieren. Aber im Alter von 18 bis 20 Jahren ist es fast das Wichtigste, regelmäßig zu spielen, weil dabei die größte Entwicklung geschieht. Daher können Ausleihen sehr sinnvoll sein.

Mit Paul Wanner und Frans Krätzig wurden gleich zwei Spieler an den 1. FC Heidenheim verliehen. Gibt es bestimmte Vereine, mit denen Sie besonders gerne zusammenarbeiten?

Natürlich hat man seine Verbindungen und kennt die Trainer sowie Sportdirektoren. In erster Linie geht es darum, dass die Vereine die Spieler haben wollen. Dann schauen wir, ob das auch von der Philosophie her passt. Der 1. FC Heidenheim wollte Paul unbedingt haben und hatte sich sehr um ihn bemüht. Trainer Frank Schmidt setzt auf ihn. Und das mit Frans Krätzig ergab sich dann kürzlich, weil Heidenheim ihn ebenfalls gerne in der Mannschaft haben wollte.

Wie bewerten Sie bislang die Ausleihen von Wanner und Krätzig?

Es läuft sehr gut. Natürlich ist das für Heidenheim eine schwierige Saison, weil sie in der Tabelle hinten stehen und voll gefordert sind. Sie waren in der Conference League gut unterwegs und haben einen guten Saisonstart gehabt. Aber das war natürlich mit einer hohen Belastung verbunden. Dadurch gelangten sie in der Bundesliga in eine Abwärtsspirale. Aber nun ist die Conference League vorbei, sodass der Fokus voll auf der Bundesliga liegt. Paul Wanner ist erst 19, Frans ist auch noch sehr jung. Bereits jetzt in solchen Situationen zu sein, prägt Spieler in jungen Jahren, weil sie natürlich einem großen Druck im Abstiegskampf ausgesetzt sind.

Das heißt, diese Spieler lernen den Leistungsdruck kennen, mit dem Sie später auch beim FC Bayern konfrontiert sind, wenn jedes Spiel gewonnen werden soll…

Das ist es, was wir wollen. Wir haben zum Beispiel auch den Lovro Zvonarek bei Sturm Graz oder Matteo Pérez bei Austria Wien, die in Österreich um die Meisterschaft spielen. Dadurch haben sie noch einmal einen anderen Druck. Das ist eine gute Vorbereitung, denn bei einem Club wie dem FC Bayern München ist der Druck des Gewinnens immer vorhanden.

Der 19-jährige Offensivspieler Arijon Ibrahimovic wurde nach Italien an Lazio Rom verliehen und kam dort anfangs nicht zum Einsatz, ehe er nun zumindest im Pokal debütierte. Ist dies das Risiko, wenn man an ein Top-Club verliehen wird?

Ja. Das war ja auch bei Frans Krätzig so, der zunächst an den VfB Stuttgart verliehen wurde. Das sind Clubs, die um die Champions-League-Plätze spielen. Dadurch kann es länger dauern, bis man möglicherweise seine Einsätze bekommt. Geschieht das gar nicht, muss man sich eventuell neu orientieren. Wir zwingen niemanden, zu einem bestimmten Verein zu gehen. Das geschieht immer in Abstimmung. Arijon hat in Italien ja bereits seine Geschichte. Er war in der vergangenen Saison bei Frosinone Calcio und hatte dort bis zum Winter eine gute Zeit. Nun ist er bei Lazio Rom, die in der Europa League spielen und in die Champions League wollen. Solche Mannschaften haben einen Kader von 25 Spielern oder mehr, jeder kämpft um seinen Platz. Diese Situation muss man annehmen.

Eher selten ist der Fall, dass eine Ausleihe vorzeitig beendet wird. Dies war nun allerdings bei Gabriel Vidovic der Fall. Er wurde an den 1. FSV Mainz 05 verliehen, hatte dort allerdings nur zwei kurze Einsätze und wurde nun zurückgeholt. Warum wurde diese Entscheidung getroffen?

Er kam erst nach Saisonstart nach Mainz, hatte sich dann verletzt und ist eine ganze Zeit lang ausgefallen. Nachdem wir Mathys Tel nach Tottenham Hotspur verliehen hatten, wurde ein Platz im Profikader frei. Daher wurde entschieden, dass Gabriel wieder zurück nach München kommt, sodass er wieder voll fit wird und Bestandteil unseres Kaders ist. Die Trainer fanden diesen Plan auch gut.

Der 18-jährige Außenverteidiger Adam Aznou wurde in die 1. Liga von Spanien an Real Valladolid verliehen und hatte dort bereits seine ersten Einsätze…

Genau. Er spielte ja bereits in der A-Nationalmannschaft von Marokko mit sehr guten Spielern zusammen, hat hier beim FC Bayern aber große Konkurrenz. Nun spielt er mit seinen 18 Jahren in der 1. Liga von Spanien. Real Valladolid wollte ihn unbedingt haben. Das ist dort keine einfache Situation, weil sie in der Liga hinten stehen. Aber sie setzen auf Adam und geben ihm Spielzeit. Daher macht die Ausleihe auch für uns viel Sinn.

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All die genannten Spieler kommen aus dem Nachwuchs des FC Bayern. Wie ist es mit den Leihspielern Alexander Nübel, Mathys Tel und Bryan Zaragoza, die nicht aus dem eigenen Nachwuchs kommen. Sind Sie auch für diese Spieler zuständig?

Die Torhüter haben eine eigene Betreuung. Ansonsten liegt mein Fokus zwar mehr auf den Leihspielern, die vom Campus kommen. Aber bei Zaragoza und Tel bin ich auch schon mal vor Ort.

Der ehemalige Bayern-Trainer Thomas Tuchel erklärte in der vergangenen Saison, dass die Kommunikation mit Zaragoza schwierig ist, weil er weder Deutsch noch Englisch spricht. Wie kommunizieren sie mit ihm?

Im Fußball läuft natürlich viel über Dolmetscher. Wir haben auch Teambetreuer bei uns, die sehr gut Spanisch sprechen. Von daher können wir schon gut kommunizieren. Ich glaube, das Thema mit der Sprache wurde etwas hochgekocht. Zaragoza ist in Spanien wieder gut in Tritt gekommen. Er hat außergewöhnliche Fähigkeiten. Das zeigt er immer wieder – auch von den Statistiken her. Er entwickelt sich dort wirklich gut. Nach wie vor ist er ein Spieler von uns. Und zwar ein sehr guter Spieler.

Und wie bewerten Sie die ersten Wochen von Tel bei Tottenham?

Tel spielt in der Premier League auf allerhöchstem Niveau und kann sich weiterentwickeln. Für jeden Spieler ist es so, dass man am Wochenende spielen will, wenn man die ganze Woche trainiert hat. Aber es können eben nur elf Spieler auf dem Platz stehen, und die Kader sind groß.

Wie sieht Ihre Betreuung der Leihspieler aus, während diese für andere Vereine aktiv sind?

Wir sind regelmäßig im Austausch per Telefon oder WhatsApp. Außerdem schaue ich, dass ich so regelmäßig wie möglich vor Ort bin. Natürlich ist das von München aus etwas einfacher in Heidenheim als in London. Dort bin ich dann mindestens bei sieben bis acht Spielen vor Ort. Hinterher trifft man sich. Auf Video schaue ich mir sowieso alle Spiele an. Ich bin auch mit den Clubs im Austausch. Die Spieler sollen wissen, dass sie nicht einfach irgendwohin verliehen werden und sich selbst überlassen sind. Sie sind weiterhin Spieler des FC Bayern und werden von uns wertgeschätzt.

Bevor der FC Bayern München am Mittwochabend um 21 Uhr in der Champions League auf Bayer Leverkusen trifft, ist der Bayern-Nachwuchs bereits fünf Stunden zuvor in der UEFA Youth League gegen Inter Mailand gefordert. Welchen Wert hat dieser europäische Wettbewerb für Nachwuchsspieler?

Das ist ein super Wettbewerb für die Jungs. Ich sehe das als einen ersten Schritt in den Profifußball, weil eben auch internationale Auswärtsspiele dazugehören. Der Ablauf mit der Anreise und der Übernachtung im Hotel ist ähnlich wie bei den Profis. Und aus Vereinssicht kann man den Campus über die Youth League sehr gut präsentieren, weil wir auf hochkarätige Gegner treffen.

In der Youth League treten sowohl Spieler aus der U19 wie auch aus der 2. Mannschaft in der Regionalliga an. Wie wird der Kader zusammengestellt?

Das ist tatsächlich gemischt. Wir spielen ohnehin immer mit sehr jungen Mannschaften. Wir haben in der U19 eigentlich eine U18-Mannschaft. Und unsere U23 in der Regionalliga ist eigentlich eine U19-Mannschaft, die nur durch ein paar ältere Spieler ergänzt wird. Wir tauschen zwischen den Mannschaften viel durch, damit alle Spieler regelmäßig Spielminuten bekommen. Es gibt natürlich junge Spieler, die körperlich und von den fußballerischen Fähigkeiten schon weiter sind und eine Mannschaft überspringen. Vor den Spielen in der Youth League ist es wichtig, dass wir einen Kader zusammenhaben, der zumindest drei Tage zusammen trainiert und sich gemeinsam vorbereitet. Das erfordert viel Abstimmung, weil einige junge Spieler auch schon bei den Profis mittrainieren.

Wir haben zu Beginn des Interviews darüber gesprochen, dass nur wenige Nachwuchsspieler den Durchbruch beim FC Bayern schaffen, dafür aber vielleicht bei anderen Vereinen. Wie groß schätzen Sie die Chance ein, dass die elf Spieler, die nun am Mittwoch in der Youth League gegen Inter auf dem Spielfeld stehen, in den nächsten Jahren vom Fußball leben können?

Jamal (Musiala), Aleks (Pavlovic), Josip (Stanisic), Gabriel (Vidovic) und auch Tarek Buchmann – ich würde nicht sagen, dass es aktuell wenige sind. Dazu noch Ari (Ibrahimovic), Paul (Wanner) und Frans (Krätzig) als Leihspieler. Wir haben statistische Untersuchungen durchgeführt, um herauszufinden, wie viele Spieler aus unserem Campus später in einer Profiliga – in Deutschland wären das die ersten drei Ligen – aktiv sind. Wir kamen dabei auf eine Quote von fast 40 Prozent. Das ist ein überragender Wert. Und die Jungs, die nun in der Youth League spielen, sind schon in einem spannenden Altersbereich angekommen. Daher denke ich, dass wir viele von ihnen später auch im Profifußball sehen werden, vielleicht auch in der Champions League.

Über den Gesprächspartner

  • Richard Kitzbichler (Jahrgang 1974) spielte als Profi unter anderem für den Hamburger SV und den FC Tirol Innsbruck. Später war er Co-Trainer beim FC Red Bull Salzburg, Beijing Guoan und dem FC Southampton. Seit September 2023 ist der Österreicher als Übergangskoordinator beim FC Bayern München aktiv.