Die Bundesligisten müssen im Lizenzierungsverfahren erstmals auch Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Der Verein "FC PlayFair!" hat den Klubs im Rahmen einer Analyse auf den Zahn gefühlt, und wir haben mit dem 1. Vorsitzenden über den nachhaltigen Ist-Zustand der Liga gesprochen.
Für den FC Bayern ist die Tabelle ein ganz neues Bild, ein sehr ungewohntes, und auch ein trauriges. Denn der Rekordmeister ist Letzter. Und das mit deutlichem Abstand. Und dazu auch noch vollkommen verdient. Daran gibt es nichts zu rütteln. Das hat der Nachhaltigkeitsbericht des "FC PlayFair!" (PDF zum Herunterladen) ergeben, ein Verein, der sich seit 2017 für mehr Nachhaltigkeit in der Bundesliga einsetzt.
Eine unbedeutende Spielerei? Mitnichten! Denn die Deutsche Fußball Liga hat die Nachhaltigkeit mit den Themenbereichen "Clubführung und -organisation", "Umwelt und Ressourcen" sowie "Anspruchsgruppen" in die Lizenzierung der 36 Profiklubs mit aufgenommen. Der Bericht des Vereins ist daher ein deutlicher Fingerzeig, wie es um die Nachhaltigkeit in der Bundesliga tatsächlich bestellt ist.
"Das Thema Nachhaltigkeit als Lizenzierungskriterium aufzunehmen, das ist sehr, sehr gut. Das ist etwas, das ich mir vor drei, vier Jahren nicht hätte vorstellen können", sagt Jörn Kleinschmidt, der 1. Vorsitzende des FC PlayFair, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Denn damit hat die DFL im Prinzip das Thema Nachhaltigkeit an die Betriebsgenehmigung gekoppelt. Das heißt, du darfst nur mitspielen, wenn du die Nachhaltigkeitskriterien erfüllst", so Kleinschmidt.
Noch keine hohen Hürden
Auf den ersten Blick und theoretisch allerdings nur. Die Hürden sind aktuell noch nicht hoch. Vieles dreht sich erst einmal um Bürokratisches, was aber einen enormen Aufwand nach sich zieht, denn die Vereine müssen in den kommenden Jahren schrittweise über 100 Mindestkriterien erfüllen, Pläne und Konzepte erarbeiten, eine professionelle Struktur schaffen. Den Status Quo ermitteln - darum ging es zunächst, denn viele Vereine kannten ihren eigenen CO2-Fußabdruck nicht einmal. Für die Lizenzierung zur aktuellen Spielzeit 2023/24 mussten die Klubs zum Beispiel ein Mobilitätskonzept, eine Nachhaltigkeitsstrategie und eine Umweltstrategie nachweisen sowie einen Nachhaltigkeitsverantwortlichen benennen. Viel Theorie, noch nicht allzu viel Praxis. Doch auch soziale Themen wie Diskriminierung, Gleichberechtigung, Diversität und Inklusion gehören zur Nachhaltigkeitsrichtlinie.
Weitreichende Maßnahmen werden noch nicht vorgegeben, umfassende konkrete Ziele sollen sich die Bundesligisten vornehmen, um sie dann in den kommenden Jahren umzusetzen. "Aber so fängt man an", sagt Kleinschmidt. "Es ist die Grundlagenarbeit, nach der man sich dann nachhaltige Ziele setzen, Maßnahmen definieren und sich weiter entwickeln kann." Das soll Schritt für Schritt gehen. Auswirkungen für die Lizenz haben die Nachhaltigkeitsziele in diesem noch jungen Stadium deshalb noch nicht. Welche Strafen es geben könnte, soll im kommenden Jahr festgelegt werden, wenn die Kriterien weiterentwickelt und weitere Kriterien verbindlich werden.
Der ehemalige DFL-Geschäftsführer
Die Liga hat das Problem erkannt
Fest steht: Die Liga hat das Problem zumindest erkannt, sie hat erkannt, wie wichtig das umfangreiche und breit gefasste Thema Nachhaltigkeit in der Gesellschaft inzwischen ist, und sie hat reagiert. Der Start sei insgesamt gelungen, sagt Kleinschmidt. "Es gibt Bundesligisten, die sind sehr weit. Die haben in der Vergangenheit schon viel getan und sind deswegen jetzt weit vorne."
Borussia Dortmund zum Beispiel, mit einem ÖPNV-Konzept, mit Photovoltaik im Stadion und Maßnahmen für Integration, Vielfalt und Menschen mit Benachteiligung. Mehr und mehr Vereine bieten veganes Essen an, fördern klimaneutrale Mobilität, investieren in eine nachhaltige Produktion von Merchandising-Artikeln oder setzen Maßnahmen für Vielfalt, Respekt und Toleranz in der Gesellschaft um. "Wolfsburg macht richtig viel, Mainz macht es sehr gut und Augsburg hat es schon immer sehr gut gemacht", so Kleinschmidt, wobei beim Nachhaltigkeitsbericht des "FC PlayFair!" bewusst auf eine Rangliste verzichtet wird.
Dass der FC Bayern aber so deutlich abfällt, überrascht schon. "Der CO2-Fußabdruck des FC Bayern ist eine Katastrophe. Der FC Bayern ist der Klub, der am meisten tun könnte, der die größten Ressourcen, die größten Mittel hat, und er macht am wenigsten", sagt Kleinschmidt. Der Rekordmeister hat zwar die meisten Fans, die reisefreudigsten Anhänger, doch genau die sorgen für einen enormen CO2-Ausstoß. Das zweite Problem: Der Klub hat kein ÖPNV-Ticket für die Heimspiele, dafür zahlreiche Parkplätze. Hinzu kam beim Thema soziale Verantwortung die jahrelange Kooperation mit Qatar Airways, die allerdings beendet wurde. Ärger beim Thema Mindestlohn im Nachwuchsleistungszentrum sorgte ebenfalls für Negativ-Schlagzeilen und Punktabzüge in den Nachhaltigkeits-Kategorien.
Komplettes Umdenken beim FC Bayern gefordert
Hinzu kommt: Der FC Bayern reagiere auch konsequent nicht auf irgendwelche Interviewanfragen zum Thema Nachhaltigkeit, so Kleinschmidt: "Sie haben einfach auch nicht viel zu berichten. Da muss ein komplettes Umdenken in der Spitze der Vereinsführung von Bayern München stattfinden, damit dieses Thema relevant wird."
Denn das Thema Nachhaltigkeit wird fraglos immer relevanter, auch wenn es nicht allen schnell genug geht. Thomas Fischer, der Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft von der Deutschen Umwelthilfe, moniert beim ZDF fehlendes Tempo und fehlenden Handlungsdruck: "Die DFL und damit auch viele Vereine dürfen sich nicht darauf ausruhen, was vor kurzem angestoßen wurde. Die enthaltenen Kriterien haben aber gar keine Verbindlichkeit. Es gibt momentan keine Sanktionsmechanismen und damit auch keinerlei Druck." Was ihm ebenfalls fehlt: Eine Priorisierung der Handlungsfelder und Maßnahmen.
Fan-Mobilität ist das größte Problem
Tatsächlich gibt es einen Bereich, der ein großes Problem darstellt: die Fan-Mobilität. Sie macht den Großteil des CO2-Fußabdrucks der Bundesliga aus. Die Anhänger fahren im Schnitt 350 Kilometer zum Spiel und ein Großteil davon im Pkw. 2019 ergab eine Rechnung der Klimaberatungsfirma CO2OL, dass Fans für 7.753 Tonnen Kohlenstoffdioxid-Emissionen pro Spieltag sorgen. Der Bundesbürger kommt auf zehn Tonnen – pro Jahr. Die Zahl der Fan-Emissionen dürfte 2023 noch größer sein.
"Das ist ein großes Problem. Und für dieses Problem gibt es keinerlei Lösung oder nicht einmal einen Lösungsansatz bisher, der diskutiert wird. Das muss dringend angegangen werden", so Kleinschmidt. Parallel zeigt sich die Problematik der aktuellen Vorgaben für die Vereine. Sie sollen bei der Fanmobilität zwei Projekte pro Jahr durchführen. "Wenn man dann fünf Fahrradständer baut und einen Fanzug für ein Auswärtsspiel organisiert, hat man die Kriterien pro forma erfüllt, aber ganz sicher nicht das Problem der nachhaltigen Mobilität in der Breite gelöst. Das ist wenig ambitioniert und lässt scheunentorgroße Löcher für Vereine, die nichts oder nur ganz wenig machen wollen und damit trotzdem durchkommen", sagte Fischer.
Klubs sollen Fans motivieren und als gutes Beispiel vorangehen
Die Klubs haben viel nachzuholen, und sie müssen eng zusammenarbeiten. Denn es ist kein leichtes Unterfangen, den klassischen Fußball-Fan für Klimaschutz zu sensibilisieren. Das wird nicht ohne Zutun der Klubs funktionieren. "Man muss kommunikativ immer wieder auf das Thema hinwirken, man muss Aktionen durchführen, um die Fans darauf aufmerksam zu machen: ‚Ändert euer Verhalten, reist klimaneutral an.‘ Das ist ein langer Prozess der Veränderungen, den man kommunikativ begleiten und es erklären muss", betont Kleinschmidt. Und am besten geht man mit gutem Beispiel voran. Wenn also der Fan mit dem Zug zum Auswärtsspiel fährt, können das die Klubs genauso tun.
Doch der Grund dafür, dass viele Vereine das Thema trotz der Implementierung in den Lizenzierungsprozess immer noch stiefmütterlich behandeln, "ist der organisatorische Aufwand, um solche Veränderungen einzuführen", sagt Kleinschmidt. "Dafür sind die Strukturen in den Vereinen heute einfach noch nicht überall vorhanden, oder sie entwickeln sich jetzt erst. Und werden dann hoffentlich Fahrt aufnehmen."
Die Zeit im Kampf gegen den Klimawandel drängt
Denn die Zeit drängt vor allem beim Kampf gegen den Klimawandel, der bei den Nachhaltigkeitskriterien im Fokus steht. Kleinschmidt würde den Vereinen fünf Jahre Zeit geben, um klimaneutral zu werden, sowohl als Klub als auch dann in Summe als Liga. "Dann muss jedes Stadion klimaneutral sein, über eine eigene regenerative Energiequelle verfügen. Die Anzahl der Parkplätze muss mindestens um die Hälfte reduziert werden, dass der ÖPNV unter Druck gesetzt wird. Und in fünf Jahren brauche ich von der DFL als übergreifende Organisation ein nachhaltiges Verkehrsmobilitätskonzept für die Auswärtsfahrer", so Kleinschmidt.
Das ist noch Zukunftsmusik, effektive und schnelle Ergebnisse werden aber auch davon abhängen, wie hart die DFL durchgreifen wird. Es ist zwar nur eine Momentaufnahme, aber wenn die DFL aktuell hohe Hürden einführen würde, "dann wäre Bayern München wahrscheinlich der erste Klub, der die Lizenz für die Bundesliga nicht bekommen würde", sagt Kleinschmidt. "Das wäre eigentlich unvorstellbar." Und ein trauriges Bild - nach jetzigem Stand aber vollkommen verdient.
Über den Experten:
- Jörn Kleinschmidt hat Sportökonomie studiert und arbeitet als Ingenieur und Manager. Er ist der 1. Vorsitzende des "FC PlayFair!".
Verwendete Quellen:
- br.de: Nachhaltigkeit in der Bundesliga – was hat sich getan?
- zdf.de: Klubs bei Nachhaltigkeit noch zu defensiv
- FcPlayFair.org: Situationsanalyse Nachhaltigkeit Bundesliga 2022/23 (PDF zum Herunterladen)
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