Bei Borussia Dortmund hat man nach wie vor das Gefühl, dass es hinten und vorne nicht stimmt. Der BVB braucht deshalb dringend einen Neuanfang auf allen Ebenen. Doch das scheint leichter gesagt als getan.
Spät am Dienstagabend hat
Cans ehrliche - oder naive, je nach Lesart - Ausführung hat danach ein paar Wellen geschlagen, sein Trainer
"Was ist denn das für ein Ansatz", fragte Weidenfeller in einem Fußball-Talk bei "Sky". "Ich finde es fahrlässig, dass der Kapitän von Borussia Dortmund das sagt. Bei einem Champions-League-Abend im Signal Iduna Park muss die Luft und der Platz brennen!"
Eine nichtige Episode, möchten man meinen. Im Grunde spiegelt sich darin aber tatsächlich sehr viel von dem, was Borussia Dortmund in dieser Saison anbietet und wofür es steht. Und das ist in diesem Fall nicht als Qualitätsmerkmal zu verstehen.
Platz elf entspricht den Leistungen
Gegen Sporting blieben zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit Plätze im Stadion frei, die Partie war nicht ausverkauft oder ein kleiner Teil der Fans verzichtetet freiwillig auf einen Besuch. Nun könnte man das mit den besonderen Vorzeichen erklären, unter denen die Partie stand: Das Duell gegen den portugiesischen Meister schien nach dem 3:0-Erfolg aus dem Hinspiel bereits entschieden, außerdem war es lausig kalt.
In "normalen" Zeiten wären die Fans trotzdem ins Westfalenstadion gepilgert und hätten sich darauf gefreut, dass dann "die Luft und der Rasen brennt". Aber "normal" im Sinne von "geregelt" scheint bei Borussia Dortmund schon lange nichts mehr.
Vielmehr wird BVB seit Monaten nur so durch diese Saison geschleudert, vereinzelten Highlights folgen immer noch schlimmere Tiefpunkte. Zuletzt beim 0:2 in Bochum, samt indiskutabler Leistung. Es war die fünfte Bundesliga-Niederlage im siebten Spiel in diesem Kalenderjahr, Tabellenplatz elf ist deshalb längst keine flüchtige Bestandsaufnahme mehr, sondern entspricht exakt der Leistungsfähigkeit der Mannschaft.
Kovac und die Standard-Rezepte
Dies zu ändern, wurde vor wenigen Wochen Niko Kovac als Aufgabe aufgetragen. Die große Euphorie versprühte Kovac‘ Berufung von Anfang an nicht, eher das Gefühl einer zweckdienlichen Entscheidung. Eine gute Halbzeit gegen Sporting ist der Mannschaft mit ihrem neuen Trainer aus den ersten vier Spielen geglückt. Der Rest war genau das, was man schon in den Wochen und Monaten davor sehen konnte.
Mit Kovac holten sich die Verantwortlichen um Lars Ricken und dem immer noch omnipräsenten Hans-Joachim Watzke so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner ins Haus. Und zeigten damit bei der Besetzung der Trainerstelle, welche Art Lösungsansätze für den BVB definiert sind.
Im offenkundigen Irrglauben, doch noch irgendwie auf Platz vier in der Tabelle und damit erneut in die Königsklasse zu springen, sollte es ein Trainer sein, der schnell die soften Faktoren anspricht und verbessert: Leidenschaft und Kampfgeist, "den Kopf frei machen", Selbstvertrauen tanken, Gras fressen beim selbst ernannten Malocher-Klub. Und - als inhaltlichen Aspekt - die Stärkung der Defensivleistung der Mannschaft.
Jeder einzelne Punkt für sich genommen ist eine wichtige Zutat erfolgreicher Mannschaften. Die eigentlichen Kernprobleme der Mannschaft werden dabei aber geflissentlich immer noch übersehen.
Der Ballbesitz als größtes Problem
Kovac versucht sich in seinen ersten Tagen beim BVB mit dem Patentrezept für abstiegsbedrohte Teams: Eine defensive Grundordnung zuerst, ein großer Fokus auf die viel zitierten Basics und Disziplin, ausgeführt von einem kleinen Stamm an Startspielern. Das ist nicht falsch, für die Ansprüche und die Ziele von Borussia Dortmund aber vermutlich auch zu wenig. Der BVB muss jetzt Spiele gewinnen, und das in Serie.
Wie das mit den gravierenden Problemen im eigenen Ballbesitz, im tiefen Aufbau und vor allen Dingen im letzten Drittel funktionieren soll, ist schleierhaft. Dafür hat Kovac noch keine Ideen entwickelt oder aber eine gewisse Rotation innerhalb der Mannschaft gefunden, die wichtige Spieler in die für sie besten Positionen bringt.
Yan Couto als Sinnbild
Yan Couto ist als Rechtsverteidiger von Manchester City ausgeliehen, in wenigen Monaten soll eine Kaufoption für den Brasilianer greifen. Kolportiert wird eine Summe von 25 Millionen Euro, inklusive der rund fünf Millionen Leihgebühr wäre Couto damit einer der teuersten Transfers der Dortmunder Klubgeschichte.
Aktuell steht Couto bei 14 Einsätzen in der Bundesliga, rund die Hälfte davon als Einwechselspieler. Unter Kovac hat Couto bisher 27 Minuten spielen dürfen, gegen Sporting saß er in beiden Partien 90 Minuten lang nur auf der Bank. Eingekauft wurde Couto als offensivstarker Rechtsverteidiger, der im eigenen Ballbesitz in die letzte Linie hochschiebt – ganz so, wie es sich Ex-Trainer Nuri Sahin vorgestellt hatte und wie Couto bei seinem vorherigen Klub in Girona auf sich aufmerksam machen konnte.
Mit den Trainerwechseln zu Interimslösung Mike Tullberg und nun zu Kovac wurde Coutos Spielerprofil quasi wegrationalisiert: Den Job übernehmen nun auf der anderen Seite Groß und Winter-Zugang Daniel Svensson - während Coutos Planstelle auf rechts mit dem Kämpfertyp Julian Ryerson besetzt ist.
Kaum etwas könnte die Dortmunder Malaise besser zusammenfassen als Coutos momentanes Schicksal: Ein Spieler mit reichlich Potenzial und einem sehr spielerischen Ansatz wird zum Opfer mehrerer Trainer- und damit auch Philosophiewechsel, findet sich vorerst lediglich auf der Bank wieder und "muss" im Sommer womöglich doch für sehr viel Geld fest verpflichtet werden.
Dortmunds Ideen greifen einfach nicht
Das Problem eines krumm und schief geplanten Kaders drängt sich wegen Geschichten wie dieser immer mehr auf. Wobei da weder Niko Kovac noch Yan Couto eine Schuld trifft. Die Zusammensetzung der Mannschaft erfolgte auf Grund einer gründlichen Analyse im Sommer nach einer holprigen letzten Saison, der Kern und der Charakter der Mannschaft wurden dafür aber offenbar außer Acht gelassen.
Can bleibt Kapitän, das hat auch Neu-Trainer Kovac noch einmal mit Nachdruck bestätigt. Ein Stellvertreter ist Julian Brandt. Beide, Can und Brandt, galten vor nicht einmal zwei Jahren als Verkaufskandidaten Nummer eins und zwei - nun führen sie eine Mannschaft an, der es mehr denn je an Führung fehlt. Und an Charakteren, an der sich andere aufrichten können.
Die Idee, auf Spielern der Vergangenheit die Basis zu bauen für eine erfolgreiche Zukunft, mit Zukäufen von in der Regel ligabekannten und -erprobten Spielern hat sich zum wiederholten Mal als Trugschluss erwiesen und die Frage wird sein, wann der BVB diese Strategie mit erfahrenen, teilweise (zu) satten Spielern wieder zu den Akten legt.
Mit deutlich über 200 Millionen Euro unterhält der BVB immerhin den zweitteuersten Kader der Liga nach dem der Bayern. Aufwand und Ertrag passen da nun schon seit Jahren nicht mehr zusammen und es wird mehr als "nur" eine Transferperiode brauchen, die Fehleinschätzungen der letzten Jahre wieder zu kassieren.
Watzke und die gespielte Lässigkeit
Der BVB steht unter den besten 16 Mannschaften Europas, das ist nicht nur fürs Renommee, sondern auch aus finanzieller Sicht eine gute Nachricht. Nicht nur die Teilnahme an der Champions League in der kommenden Saison steht auf dem Spiel, womöglich haben die Dortmunder Spieler dann ganz grundsätzlich unter der Woche frei, wenn es nicht mal für die Trostpreise Europa League oder Conference League reicht.
Möglich ist das allemal, die gespielte Gelassenheit von Klub-Boss Watzke, der seinem Klub auch zwei Jahre ohne Königsklasse zutrauen würde, mag in finanzieller Dimension stimmen. "Dann macht der BVB wieder ein oder zwei Transfers, dann ist wieder alles im Lot", sagt Watzke. Dass dann aus einer mittelmäßigen Mannschaft ein oder zwei herausragende Spieler gerissen würden, sagt er nicht.
Der fest beanspruchte Platz zwei hinter den Bayern, der Beste vom Rest quasi, ist an Bayer Leverkusen übergegangen, hinter der Borussia scharrt Eintracht Frankfurt schon mächtig mit den Hufen.
Intern dürfte sich die Unruhe auch nach der Demission von Sven Mislintat und der Beschneidung von Matthias Sammers TV-Eskapaden nur geringfügig legen, so lange die Mannschaft nicht in die Spur findet. Wer ab sofort den Kader für welche Wettbewerbe planen wird, steht allenfalls auf dem Papier fest - ob Niko Kovac je nach Abschneiden noch über den Sommer hinaus Trainer bleiben kann, muss sich erst noch zeigen.
Dazu kommt die zwar finanziell lukrative, aus sportlicher Sicht aber fragwürdige Klub-WM, die im Sommer eine gezielte Vorbereitung torpediert. Für den BVB und seine Ambitionen sind die Aussichten nicht gerade rosig. Eigentlich müsste eine komplette Neuausrichtung des Klubs her - das ist aber leichter gesagt als getan.
Verwendete Quellen
- sport.sky.de: Weidenfeller versteht Can nach BVB gegen Sporting nicht nicht
- kicker.de: Watzke: "Der BVB hält auch zwei Jahre ohne Champions League aus"


"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.