Nach den überzogenen Arien zu Saisonbeginn gilt Borussia Dortmund nach den jüngsten Rückschlägen bei einigen als schon nahezu abgeschrieben. Vermutlich ist der Mittelweg in der Betrachtungsweise der richtige - der BVB muss dennoch seine Probleme in den Griff bekommen, wenn er sein überragendes Potenzial auch ausschöpfen mag.

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Ist das jetzt ein kleines Tief oder eine mittelschwere Krise? In der Moderation der angespannten Lage bei Borussia Dortmund sind sich nicht nur die Experten und Fans nicht einig, sondern auch die Protagonisten. Zwischen Aufrütteln und Beschwichtigen pendelten seit dem blamablen 2:4 bei Aufsteiger Hannover 96 die Ausführungen und momentan weiß offenbar niemand so genau, wo dieser BVB mit seinem neuen Trainer Peter Bosz denn nun wirklich zu verorten wäre.

Um Borussia Dortmund entwickelte sich ein Hype

Nach dem sagenhaften Start in der Bundesliga entwickelte sich ein regelrechter Hype um die Borussia, die Niederlagen in der Champions League wurden dem Format der Gegner und ein paar widrigen Umständen während der Spiele zugeschrieben. Dass beides nicht richtig war, dürfte aber spätestens jetzt ersichtlich sein.

In der Königsklasse ist nach der Hälfte der absolvierten Partien ein Weiterkommen nahezu ausgeschlossen. Das Rückspiel gegen APOEL Nikosia könnte zwar durchaus im ersten Sieg der Mannschaft in diesem Wettbewerb enden, Real Madrid und die Tottenham Hotspur sind aber schon zu weit enteilt, so dass die Chancen auf die K.o.-Runde allenfalls noch im einstelligen Prozentbereich liegen dürften.

Probleme im Spiel ohne Ball

Die große Aufregung um die angeblich so fantastische Frühform der Mannschaft mit einem neuen Trainer und dessen neuem System ist verflogen. Und abgesehen von den verlorenen Punkten in Liga und Königsklasse hätte dem BVB fast gar nichts Besseres passieren können.

"In den ersten Wochen sind wir extrem gelobt worden, auch weil vieles schon rund lief. Aber auch da war mir klar, dass wir noch Zeit brauchen. Und die muss man der Mannschaft für ihre Entwicklung auch geben. Dass es auch mal Rückschläge geben würde, war uns nicht nur bewusst. Das haben wir auch immer wieder betont", sagt Bosz, der nach den letzten Spielen wegen seiner offensiv-mutigen Verteidigungsstrategie immer mehr in den Fokus rückt.

Dabei war Dortmund auch in den ersten Spielen der Saison schon sehr angreifbar in der Defensive. Nur schlug sich das eben (noch) nicht in entsprechend vielen Gegentoren nieder. Natürlich hat die Mannschaft viele verletzte Spieler zu beklagen und natürlich sehen die Abwehrspieler wegen ihrer fehlenden Grundschnelligkeit vielleicht das eine oder andere Mal nicht besonders gut aus, wenn ihnen mal wieder die Gegenspieler enteilen.

Das Problem beginnt in der Spitze

Das eigentliche Problem beginnt aber nicht an der Mittellinie, sondern ganz vorne in der Spitze. Dortmunds Pressing und Gegenpressing funktionieren derzeit nicht, die Leidtragenden sind die Spieler in der letzten Verteidigungslinie und Torhüter Roman Bürki.

"Dass immer wieder nach dem System und den Räumen hinter unserer Viererkette gefragt wird, kann ich verstehen. Das macht es aber nicht richtiger. Jedes System ist anfällig, wenn man es nicht perfekt ausführt und selbst Fehler macht. Wir müssen uns darin verbessern, unser System richtig auszuführen", sagt Trainer Bosz. "Es ist zu einfach, alles auf die Viererabwehrkette plus Sechser und Torwart zu schieben. Wir müssen uns als Mannschaft hinterfragen", sagt Kapitän Marcel Schmelzer.

Sorge um Pierre-Emerick Aubameyang

In der Umsetzung der einstudierten Abläufe mangelt es an Disziplin und Aufmerksamkeit. Das ist auf der einen Seite natürlich einigermaßen erstaunlich für eine Profimannschaft, andererseits aber auch ein Umstand, der vergleichsweise schnell und ohne den ganz großen Aufwand wieder abgestellt werden kann.

Weniger medienwirksam, dafür aber etwas besorgniserregender, ist die derzeitige Verfassung von Pierre-Emerick Aubameyang. Der zeigte zuletzt kein besonders großes Engagement im Spiel gegen den Ball und war damit im wahrsten Sinne des Wortes die Speerspitze jener Schlamper, die die Defensive erst in so arge Bedrängnis brachten.

Michael Zorc fordert: "Mehr tun"

Mindestens so wichtig ist aber auch Aubameyangs Wirken vor dem gegnerischen Tor. Dass er zuletzt in Hannover kaum eine Torchance hatte, ist dabei noch das kleinste Problem. "Auba hatte auch in den letzten Jahren immer mal Phasen, in denen er nicht getroffen hat. In Hannover war es jetzt aber auch nicht so, dass er große Chancen ausgelassen hat", sagt Sportdirektor Michael Zorc, der seinen Star zudem daran erinnert, "mehr tun zu müssen, um aus dieser Situation herauszukommen".

Das eigentliche Problem bei Aubameyang wird von seinen immerhin schon wieder 14 Saisontoren in allen Wettbewerben ein wenig überlagert: Der Gabuner benötigt einfach zu viele Torchancen, um erfolgreich zu sein. Abgesehen vom Hannover-Spiel hat der Torjäger zuletzt gegen Leipzig, in Frankfurt und in Nikosia Großchancen liegen lassen, die der Mannschaft problemlos den einen oder anderen Punkt mehr hätten sichern können. Aubameyang ist derzeit nicht unbedingt ein Killer vor dem Tor. Auch das ist ein Teil der Wahrheit.

Es bleibt genug Potenzial

Trotzdem wäre ein Abgesang, wie er in Teilen einiger Medien schon vom BVB zu lesen und hören ist, ziemlicher Unfug. Die Mannschaft hat genug Potenzial und gerade auch Offensivpower, um mit den Bayern und vielleicht auch Leipzig bis zum Schluss einen spannenden Meisterschaftskampf auszufechten. Gegen Nikosia geht es am Mittwoch wohl nur noch um Platz drei und die Trostrunde Europa League im kommenden Frühjahr.

Und wer weiß, vielleicht wäre die verstärkte Konzentration auf die Liga und den DFB-Pokal ja gar nicht so verkehrt. Man darf gespannt sein, in welcher Formation und wie sich die Mannschaft gegen den Underdog aus Zypern präsentieren wird. Am Wochenende steigt schließlich ein mindestens genauso wichtiges Spiel: Dann kommen die Bayern zum Kampf um die Tabellenspitze der Bundesliga nach Dortmund.

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