Kaum mehr als eine echte Trainingseinheit hatte der neue Bayern-Trainer Thomas Tuchel vor dem Bundesliga-Spitzenspiel Zeit, seine Mannschaft einzustellen. Der 4:2-Sieg war ein Auftakt nach Maß und Tuchels Plan und Handschrift schon etwas deutlicher zu erkennen als man es nach so wenig gemeinsamer Trainingsarbeit erwarten durfte.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
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Der Druck war gewaltig. Für Thomas Tuchel. Für die Bosse des FC Bayern und am Ende auch für jeden einzelnen Spieler. 13 Minuten lang war das im Bundesliga-Spitzenspiel auch auf dem Platz zu spüren. Dann trat Dortmund-Keeper Gregor Kobel an einem langen Ball von Dayot Upamecano vorbei und ließ einen völlig ungefährlichen Ball ins Tor trudeln. Zehn Minuten später stand es 3:0 und das Spiel war damit im Prinzip entschieden. Am Ende stand es 4:2. Kollektives Aufatmen in München und auch bei Coach Tuchel, der nach dem Spiel deutlich machte, dass auch er extrem nervös ins Spiel gegangen war.

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Noch eine Nagelsmann-Mannschaft

Nach etwas mehr als einer Trainingseinheit war klar, dass Tuchel noch nichts Bahnbrechendes in der Ausrichtung verändern würde. Es steckt natürlich noch sehr viel Nagelsmann in dieser Mannschaft. Kritiker machten das vor allem auch an den zwei späten Gegentoren der Münchner fest. In der Tat war das ein Stück Sinnbild für die manchmal sogar innerhalb eines Spiels schwankenden Leistungen der Münchner. Doch wer genau hinsah und hinhörte konnte schon am Samstag erkennen, worauf Tuchel Wert legt und wie er der Mannschaft für den Rest der Saison helfen will.

"Weniger ist mehr", sagte 49-Jährige bei seiner Vorstellungspressekonferenz. Gemeint waren damit zu erwartende taktische Umstellungen und Anpassungen. Doch es hätte auch die Überschrift über dem Spiel der Bayern gegen Dortmund sein können. Weniger Offensivdrang der Außenverteidiger. Weniger riskantes Gegenpressing. Weniger Positionswechsel. Weniger direktes Spiel in die Spitze. Am Ende sogar weniger Ballbesitz als der BVB.

Spiel soll für die Spieler einfacher werden

Gegen den Ball spielte Bayern ein recht simples 4-4-1-1 und ließ Dortmund im eigenen Defensivdrittel sogar teilweise in Ruhe. Erst ab der Mittellinie wurde das Pressing griffiger und direkter. Dortmund schien mit so viel Ballbesitz in München sogar etwas überrascht worden zu sein. Die Gegentore nach Kobel-Fehler und Eckball hatten damit zwar nichts zu tun, aber es wurde sichtbar, dass die Dortmunder permanent grübelten, wie viel Risiko sie eigentlich gehen können, ohne in schnelle Gegenstöße zu laufen.

Offensiv schaltete sich vor allem Linksverteidiger Alphonso Davies deutlich seltener in die Angriffsbemühungen ein. Unter Nagelsmann spielte der FC Bayern auch mit Viererkette häufig ein asymmetrisches System, in dem einer der Außenverteidiger weit vorschiebt oder sogar in den 8er-Raum einrückte. So bildete sich dann aus den verbleibenden Abwehrspielern eine Dreierkette. Das bietet viele Vorteile durch eine zusätzliche offensive Anspielstation, offenbart aber auch gewaltige Lücken nach Ballverlust und erfordert eine extrem hohe Konzentration, um immer die richtigen Abstände einzuhalten. Tuchel schien sehr viel Wert darauf zu legen, es für den FC Bayern zum Start vor allem erst einmal einfacher zu machen.

Mehr Spielkontrolle statt Hin und Her

Klare Positionsbindungen und weniger Rochaden ‒ zum Beispiel auch zwischen Thomas Müller und Leroy Sané waren die Folge. Man wolle die Spieler in Positionen bringen, in denen sie sich wohlfühlen und ihre Stärken ausspielen können, sagte Tuchel nach dem Spiel. Weniger ist mehr.

Nicht gefallen haben dürfte Tuchel deshalb vor allem, wie der FC Bayern es nach der klaren 3:0-Führung gegen den BVB nicht schaffte, dauerhaft Kontrolle über das Spiel zu erlangen. Bayern spielte weiter schnell und direkt in die Spitze, statt den Gegner mit höherem Ballbesitz erst einmal laufen zu lassen. Schnelle Ballgewinne und Verluste, hektisches Hin und Her. All das soll weniger werden. Wenn Tuchel gegen den BVB an der Seitenlinie Emotionen zeigte, dann vor allem in solchen Momenten, wenn der FC Bayern unnötig hohes Risiko im Spielaufbau ging, anstatt den Ball länger in den eigenen Reihen zu halten. Tuchel deutete auf der Pressekonferenz nach dem Spiel an, dass er hier ansetzen will, um die Mannschaft Stück für Stück zu stärken. Mehr Kontrolle. Mehr Dominanz. Weniger vergeudete Energie und Spektakel.

Sané profitiert von klarer Positionierung

Tuchel ist dafür bekannt eine Mannschaft über Prinzipien zu führen. Prinzipien in der Zusammenarbeit, aber auch Prinzipien auf dem Platz. Das soll kein Korsett sein, sondern eine Grundorientierung, die als Anker dienen soll. Davon könnte vor allem Leroy Sané profitieren, der in der Vergangenheit mit Formschwankungen, aber auch komplexen Rollen auf dem Feld zu kämpfen hatte. Gegen Dortmund spielte er einen recht klassischen rechten Flügelspieler, der mit seinem starken linken Fuß zwar immer wieder in die Mitte ziehen durfte, aber sich durch die breite Positionierung auch dem hohen Druck im Zentrum immer wieder entziehen konnte. Zudem konnte er auf der Abseitskante wartend auch immer wieder seine Schnelligkeit bei Steilpässen ausspielen. Sané war an zwei Toren direkt beteiligt und machte auch sonst sein bestes Spiel in der Rückrunde. Auch hier ist es viel zu früh von einer Trendwende zu sprechen, aber der Start ist vielversprechend.

Tuchel ist nach dem Traumstart gegen Dortmund gut beraten, weiter behutsam auf die Mannschaft einzuwirken. Der FC Bayern ist nach dem Sieg gegen Dortmund wieder Tabellenführer. Er hat in dieser Saison jedes Champions-League-Spiel gewonnen. Hier muss nichts gebrochen oder umgestoßen werden, um erfolgreich zu sein. Es geht eher um Details und Unterstützung für die Mannschaft, damit die Schwankungen in den Leistungen abgelegt werden. Viel Zeit auf dem Trainingsplatz bleibt Tuchel ohnehin nicht. Schon am Dienstag wartet Freiburg im Pokal. Auch dann soll es für die Mannschaft wieder vor allem erst einmal einfacher werden.

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