Früher spielte Marcell Jansen selbst für den HSV, heute ist er der Präsident des Vereins. Doch seine Amtszeit neigt sich dem Ende zu. Im Interview spricht der 39-Jährige über die Aufstiegsambitionen der Hamburger, das Problem von Traditionsvereinen und sein frühes Karriereende.
Seit mittlerweile sieben Saisons spielt der Hamburger SV in der 2. Liga – immer wieder schrammte der Traditionsklub dabei knapp am Aufstieg in die Bundesliga vorbei. In dieser Spielzeit haben die Hanseaten abermals beste Chancen auf die Rückkehr ins Fußball-Oberhaus, aktuell ist der HSV Zweiter, mit einem Punkt Rückstand auf Spitzenreiter Köln.
Für Marcell Jansen wäre der lang ersehnte Aufstieg ein großer Erfolg: Der ehemalige Verteidiger spielte früher selbst viele Jahre lang für den HSV, nach seinem Karriereende wurde er Funktionär bei den Hamburgern und ist dort als Präsident aktiv. Zum spannenden Endspurt in der 2. Liga haben wir mit Jansen gesprochen – natürlich auch über den erhofften Aufstieg.
HSV-Präsident Marcell Jansen im Interview
Herr Jansen, wie groß ist die Zuversicht, dass der HSV zum Ende Ihrer Präsidentschaft in diesem Jahr den Aufstieg schafft?
Marcell Jansen: Wir dürfen zuversichtlich sein. Wir erleben gerade, dass nicht jeder Zweitligist mit einem höheren Etat oben in der Tabelle mitspielt. Daher sind wir zunächst einmal dankbar, dass wir wieder die Möglichkeit haben, sportlich den nächsten Schritt zu gehen. Für mich persönlich wäre es natürlich die Kirsche auf der Sahne, wenn meine sechs Jahre als Präsident mit dem Aufstieg enden würden. Vor allem aber wäre es für den Verein, die Mitglieder und die Fans super.
Was zeichnet die Mannschaft in dieser Saison aus?
Man merkt, dass die Mannschaft sehr spritzig und gallig ist. Unabhängig von den Ergebnissen sind wir in unserer Leistung sehr konstant. Wichtig ist auch, dass wir mit
Der HSV ist in den vergangenen Jahren immer wieder knapp am Aufstieg gescheitert. Was waren die Gründe dafür?
Ein Faktor war, dass wir nie zuvor zwei Stürmer mit einer hohen Trefferquote hatten. Auch auf der Außenbahn waren wir früher nicht so effektiv wie jetzt. Und wir waren oft eine der laufschwächsten Mannschaften der 2. Liga. Das darf dem HSV nicht passieren, denn der Fußball ist in der 2. Liga sehr physisch. Seit dem Trainerwechsel haben wir eine höhere Spritzigkeit und eine bessere Fitness, zudem eine gute Spielidee und mehrere Spielvarianten.
Merlin Polzin stand früher als Fan im Block, nun ist er Trainer des HSV. Wäre es das i-Tüpfelchen, wenn ausgerechnet er den Verein zurück in die Bundesliga führt?
Auf jeden Fall. Es ist immer schön, wenn ein Trainer oder Spieler einen echten Bezug zum Verein hat. Er war zuvor bereits lange Co-Trainer bei uns. In dieser Zeit hat er viel gelernt und vor allem erkannt, wo es Verbesserungspotenzial gibt. Oft entscheiden im Sport nur Nuancen zwischen Aufstieg und Nicht-Aufstieg.
Welche Entwicklung hat der HSV insgesamt in Ihrer Präsidentschaft genommen? In früheren Jahren gab es oftmals die Angst, ob der HSV überhaupt eine Lizenz für die darauffolgende Spielzeit bekommt. Nun ist der HSV wirtschaftlich stabiler…
Genau, wir hatten neben dem sportlichen auch einen wirtschaftlichen Wandel. Wir haben massiv Schulden abgebaut. Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Stabilität spielen dank der sehr guten Arbeit von Eric Huwer (Vorstand der HSV Fußball AG, zuvor Direktor Finanzen, d.Red.) eine größere Rolle als früher. Wir haben nicht mehr versucht, uns schnelleren sportlichen Erfolg zu kaufen. Damit setzt man sich nur noch mehr unter Druck. Außerdem zeigt der Fußball, dass selbst hunderte von Millionen Euro keinen Erfolg garantieren. Man kann trotzdem im Abstiegskampf der 2. Liga stecken. Wir wollen aus sportlichen Gründen in die Bundesliga aufsteigen, wären aber auch ohne Aufstieg als Verein weiterhin handlungsaktiv, denn wir haben keine großen Schulden im Nacken. Beim HSV hat im gesamten Verein ein Wandel stattgefunden. Nehmen wir das Beispiel unserer Fußballerinnen…
Die Frauen des HSV haben am vergangenen Sonntag das DFB-Pokal-Halbfinale gegen Werder Bremen in einem ausverkauften Volksparkstadion vor 57.000 Zuschauer bestritten…
Genau. Als ich noch Spieler war, hat der HSV die Frauen aus finanziellen Gründen vom Bundesliga-Spielbetrieb abgemeldet. Ich hatte damals schon als Spieler gesagt, dass das nicht der Weg sein kann. Umso glücklicher bin ich, dass wir diese Abteilung wieder aufgebaut haben. Und nun ist ein riesiger Hype um den Frauen-Fußball entstanden, der auch absolut berechtigt ist. Insgesamt ist der HSV mehr als die Herren-Mannschaft in der 2. Bundesliga. Wir haben mehr als 30 Sportabteilungen und legen dabei auch Wert auf inklusive Sportangebote, zum Beispiel Rollstuhlbasketball und Amputiertenfuball. Ich bin total happy, was hier im Verein alles passiert ist.
Warum beenden Sie dann in diesem Jahr die Präsidentschaft?
Es waren sehr intensive Jahre, in denen wir es unter anderem geschafft haben, die Mitgliederzahl des HSV auf aktuell 118.000 zu erhöhen. Das ist ein unglaublicher Rückhalt, der die Wucht des Vereins zeigt und für den wir sehr dankbar sind. Ich habe das Ehrenamt in dieser Zeit fast genauso ausgeübt wie einen Vollzeitberuf. Das betrifft allerdings nicht nur mich, sondern auch viele andere Ehrenamtliche im Verein, die für die positive Entwicklung mitverantwortlich sind. Ich musste jetzt aber entscheiden, ob ich dem Ehrenamt neben dem Privatleben, der Familie und meinen beruflichen Aufgaben weiterhin gerecht werden kann. Ich habe entschieden, dass dies nicht weitere vier Jahre möglich ist. Das heißt aber nicht, dass ich dem HSV nicht trotzdem treu bleiben und auf eine andere Art und Weise unterstützen werde. Aber ich konzentriere mich jetzt auf meinen beruflichen Weg mit meinen Gründungen, vor allem in der Gesundheitsbranche.
Jansen: Frühes Karriereende war die "absolut richtige Entscheidung"
Themawechsel: Sie haben Ihre aktive Karriere im Jahre 2015 sehr früh im Alter von 29 Jahren beendet. Wie bewerten Sie diese Entscheidung rückblickend? Die meisten Fußballspieler hätten in dem Alter irgendwo einen neuen Vertrag unterschrieben…
Das stimmt. Ich war nach meinem Vertragsende beim HSV ablösefrei und hätte zwei, drei Jahre zu sehr, sehr guten Konditionen ins Ausland gehen können. Da lag alles auf dem Tisch. Ob nun Türkei, die englische Premier League oder Portugal – es gab viele Möglichkeiten. Aber ich hatte mich dagegen entschieden. Rückblickend war das die absolut richtige Entscheidung. Ich wollte etwas Neues machen, was mich die nächsten 20, 30 Jahre morgens aus dem Bett treibt. Ich habe als Fußballprofi ein sehr privilegiertes Leben geführt und wollte etwas zurückgeben. Deshalb bin ich in die Gesundheitsbranche gegangen. Ich habe als Unternehmer auch Dinge gemacht, die nicht funktioniert haben. Aber auch das sind wichtige Learnings. Ich habe in den zehn Jahren so viel gelernt, konnte mich beruflich weiterentwickeln und weiterbilden. Das ist viel mehr wert als jeder Vertrag, den ich damals hätte unterschreiben können. Und ich habe damals ja nicht ganz mit dem Fußball aufgehört…
Sie haben bis zuletzt noch für die 3. Mannschaft des HSV in der fünftklassigen Oberliga Hamburg gespielt.
Genau, ich habe sechs Jahre dem Amateurfußball gewidmet. Das war die absolut geilste Zeit, die ich wirklich nicht missen möchte. Ich hatte mich aus der Seifenblase des Profifußballs verabschiedet, habe dafür zweimal die Woche trainiert und Freitagabend auf einem Amateurplatz unter Flutlicht gespielt. Ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke. Trotzdem ist Fußballprofi der geilste Beruf der Welt. Aber man darf nicht vergessen: Ich bin bereits mit 17 Profi geworden und habe diesen Beruf zwölf Jahre ausgeübt. Ich habe über 250 Bundesligaspiele und 45 Länderspiele für Deutschland gemacht. Wenn man das mit dem durchschnittlichen Bundesligaprofi vergleicht, ist das nicht so verkehrt.
"Leider gibt es bei vielen Traditionsvereinen oft zu viele Eitelkeiten."
Als Sie im Sommer 2008 vom FC Bayern München zum Hamburger SV wechselten, war der HSV noch ein absoluter Spitzenverein in Deutschland. Der Klub erreichte in Ihren ersten beiden Spielzeiten jeweils das Halbfinale im Uefa-Pokal bzw. der Europa League. Später erlebten Sie mit dem HSV Abstiegskampf und spielten zweimal Relegation. Wann und warum gab es diesen Leistungseinbruch?
Die ersten Risse fingen im Erfolg an. Als ich von Bayern nach Hamburg kam, haben wir international Top-Fights gehabt mit Manchester City oder Galatasaray Istanbul. Und in der Bundesliga gehörten wir zu den Top-5. Der Unterschied zu meiner Zeit beim FC Bayern war gar nicht so groß. Aber dann fing es an, dass sich in der Phase des Erfolgs Leute im Verein zerstritten haben. Das ist ein typisches Problem von Traditionsvereinen. Jeder meint, er ist wichtiger als der Klub. Dabei ist der Klub das Wichtigste. Aber leider gibt es bei vielen Traditionsvereinen oft zu viele Eitelkeiten. Daher spielen viele auch in der 2. oder 3. Liga. Gleichzeitig ist die mediale Aufmerksamkeit bei diesen Vereinen so groß, dass es schwierig ist, damit umzugehen. Das habe ich als Spieler hautnah erlebt.
In dem Fall beim HSV…
Es gab immer mehr Verschuldungen, es wurde immer mehr Geld ausgegeben. Aber der Erfolg blieb aus. Wir Spieler konnten 2014 und 2015 in den Relegationen zumindest noch den Abstieg abwenden. Auch 2012 waren wir abstiegsgefährdet. Aber trotzdem fand kein Umdenken statt. Man hat vielleicht mal wieder eine bessere Saison gespielt, stand auf Platz zehn und hat gleich wieder den Trainer ausgetauscht, weil man unzufrieden war. Schlussendlich sind wir 2018 völlig zurecht abgestiegen. Der Verein ist mit dem Abstieg in einer neuen Realität angekommen. Mittlerweile ist es auch möglich, dass man Fehler im Verein sachlich ansprechen kann und gemeinsam bewältigt – ohne Eitelkeiten. Auch der Zusammenhalt im Verein zwischen der AG und dem e.V. ist deutlich besser geworden. Vielleicht führt das dazu, dass wir jetzt endlich dran sind und den Aufstieg schaffen. Eines ist mir aber wichtig…
Bitte…
Auch wenn ich gerade kritisch über Traditionsvereine gesprochen habe, bin ich ein absoluter Fußballromantiker. Mein größter Wunsch wäre, dass alle Traditionsvereine in der 1. Liga spielen – und nicht Opfer der Unprofessionalität und Eitelkeiten werden. Wir brauchen diese Klubs wie HSV, Schalke, Kaiserslautern, Gladbach und Dortmund. Ich glaube, da würde mir jeder Fan trotz aller Rivalität zustimmen. Die Fankultur, die vollen Stadien, die Tradition – das macht den deutschen Fußball aus.
Über den Gesprächspartner
- Marcell Jansen (Jahrgang 1984) wurde bei Borussia Mönchengladbach ausgebildet und entwickelte sich dort zum Profispieler. 2007 wechselte er zum FC Bayern München, ein Jahr später zum Hamburger SV (2008-2015). Der frühere Außenverteidiger absolvierte 45 Länderspiele für Deutschland und nahm an den Weltmeisterschaften 2006 und 2010 sowie der Europameisterschaft 2008 teil. Im Januar 2019 wurde er zum Präsidenten des HSV gewählt.