• Formel-1-Chef Stefano Domenicali denkt laut über Änderungen am Wochenend-Format nach.
  • So könnte es zum Beispiel eine umgekehrte Startaufstellung geben oder Punkte für das Training.
  • Die große Frage: Wie viele Änderungen verträgt eine Sportart wie die Formel 1?

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Formel-1-Fans sind in der Regel Puristen. Vor allem aber sind sie Traditionalisten. Änderungen oder Neuerungen werden daher meistens zunächst kritisch beäugt, oft auch erst einmal abgelehnt. Die Anhänger dürften nun ordentlich aufgeschreckt werden, wenn Formel-1-Chef Stefano Domenicali ankündigt, dass sich die Motorsport-Königsklasse ein Stück weit neu erfinden möchte.

"Wir fahren unsere Antennen in alle Richtungen aus, wenn es darum geht, den Sport attraktiver zu gestalten", sagte Domenicali der "Corriere della Sera" und kündigte an: "Dabei kommt alles auf den Tisch."

Stillstand ist offenbar Rückschritt. Domenicali will die Formel 1, die auch dank der Netflix-Doku "Drive to survive" einen ziemlichen Boom erlebt, weiterentwickeln. Die Show verbessern, wie es dann immer heißt. "Wir müssen neue Formate ausprobieren", sagte er. "Es wäre einfach, Ausreden zu finden, um es nicht zu tun - aber es geht hier um eine Lebenseinstellung. Natürlich rümpfen die Puristen dann die Nase, aber wenn man zurückblickt, dann gab es in der Formel 1 beispielsweise Dutzende verschiedene Quali-Formate."

Rohrkrepierer in der Vergangenheit

Das stimmt. Es gab allerdings auch genug, die in der Praxis Rohrkrepierer waren. Fans werden sich noch an das Experiment mit einem Ausscheidungsverfahren erinnern. 2016 wurde das System, dass der langsamste Fahrer bei herunterlaufender Uhr in regelmäßigen Abständen ausscheidet, nach zwei Rennwochenenden verschämt eingestellt.

Man muss aber auch sagen, dass die Einführung des Sprintrennens trotz aller Bedenken ein Erfolg ist, die Anzahl soll 2023 von drei auf sechs erhöht werden. Die Vergangenheit zeigt auch: Die Macher sollten langsam an den Stellschrauben drehen, denn was sich in der Theorie spannend anhört, muss in der Praxis noch lange kein sportlicher Blockbuster sein.

Domenicali will trotzdem einen "aggressiven Ansatz". Ein Reverse Grid zum Beispiel, also eine umgekehrte Startaufstellung, in der die Topfahrer weiter hinten stehen. Das wurde bereits in den vergangenen Jahren diskutiert – und das sehr kontrovers. Fahrer wie Lewis Hamilton oder Sebastian Vettel lehnten das rigoros ab.

Und nicht nur sie. "Ich weiß, dass viele Fans das ablehnen", sagte Domenicali. Aber wir haben bei einigen Gelegenheiten erlebt, wie spannend es ist, wenn die Stars zur Aufholjagd gezwungen sind. Dann gibt es mehr Überholmanöver", so der Italiener: "Wir können es uns nicht leisten, auf mehr Spektakel zu verzichten." Laut Domenicali könnte die umgekehrte Startaufstellung "für ein kürzeres Rennen am Samstag anstelle des dritten Freien Trainings" gelten. Zum Beispiel immer dann, wenn es kein Sprint-Rennwochenende gibt. "Wir sind fast dazu verpflichtet, das zu probieren", sagte er.

Reverse Grid? "Das spricht Bände"

Vettel sagte 2020 allerdings etwas, das auch für heute Gültigkeit besitzt: "Es spricht ganz einfach Bände, wenn man in diese Richtung denkt, nämlich dafür, dass man es nicht geschafft hat, Regeln aufzustellen und Maßnahmen zu ergreifen, die das Feld näher zusammenführen und das Racing auf der Strecke verbessern."

In dieser Saison wurden neue Regeln und neue Autos eingeführt, die das Racing tatsächlich verbessert haben. Die Spannung im Titelkampf ist allerdings schon jetzt raus. Red Bull Racing dominiert mit Max Verstappen nach Belieben, dahinter kommt erst einmal nichts, dann Ferrari und dann Mercedes.

In Monza feierte Verstappen zuletzt seinen fünften Sieg in Folge, er kann bereits Anfang Oktober in Singapur Weltmeister werden. Die Verantwortlichen wissen: Langeweile ist tödlich für den Sport, niemand schaltet ein, weil das Mittelfeld so eng zusammen liegt.

Fahrer sollen "ständig um etwas kämpfen"

Domenicali setzt deshalb auf die Marschroute, dass die Fahrer "ständig um etwas kämpfen müssen, das auch im WM-Kampf zählt. Sprintrennen sind dabei nur das erste Beispiel, und die sind auch noch verbesserungsfähig". Domenicali denkt daran, auch die Trainings mit einzubeziehen. "Ich möchte, dass die freien Trainings aufgewertet werden und dafür vielleicht schon Punkte vergeben werden, damit der Freitag mehr Wichtigkeit bekommt", sagte Domenicali.

Auch beim Rennkalender will der Italiener ansetzen. "Ziel ist, dass ungefähr ein Drittel der Weltmeisterschaft in Asien, ein Drittel in Europa und ein Drittel in Amerika ausgetragen wird". Eine globalere Ausrichtung also. "Kein Veranstalter eines klassischen Grand Prix darf sich seiner Sache sicher sein", stellt Domenicali klar. Die Formel 1 sollte sich ihrer Sache allerdings auch nicht zu sicher sein. Denn die Fans sind vor allem Traditionalisten. Und sie entscheiden am Ende, ob eine Idee tatsächlich gut ist oder nicht.

Verwendete Quellen:

  • corriere.it: Interview mit Domenicali
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