Soll in einem Artikel, in dem es um eine Straftat geht, die Nationalität der Täterin bzw. des Täters genannt werden oder nicht? Diese Frage sorgt seit Langem für viele Diskussionen. Und: Sie ist nicht leicht – und vor allem nicht pauschal – zu beantworten. Wir geben einen Einblick, wie wir mit diesem Thema umgehen.
Wann nennen wir die Nationalität einer/s (mutmaßlichen) Täterin/Täters in der Kriminalitätsberichterstattung und wann nicht?
Grundsätzlich folgen wir den Richtlinien im Pressekodex des deutschen Presserats bezüglich der Nennung von Nationalitäten in der Kriminalitätsberichterstattung. Darin heißt es:
„Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“
Und weiter:
„In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.
Das heißt für uns:
- Es ist uns und allen anderen Journalistinnen und Journalisten NICHT verboten, die Nationalität einer/s (mutmaßlichen) Täterin/Täters zu nennen (selbst wenn sie oder er einer Minderheit angehört) – weder durch ein Gesetz noch durch die Richtlinien des Presserats.
- Vielmehr ist es die Aufgabe der Medien verantwortungsbewusst abzuwägen, ob die Nennung der Nationalität für das Gesamtverständnis des Beitrags wichtig und überhaupt von Belang ist – oder anders ausgedrückt, ob „ein begründetes öffentliches Interesse“ vorliegt – und die Nennung nicht bloß dazu dient, diskriminierende Vorurteile zu schüren.
Was bedeutet das konkret für unsere Berichterstattung? Folgende Kriterien berücksichtigen wir als Redaktion bei der Abwägung:
In der Regel ist die Herkunft einer Täterin/eines Täters oder Tatverdächtigen kein ausschlaggebender Grund für eine Berichterstattung. Steigen wir aber in die Berichterstattung ein, nennen wir die Nationalität einer Täterin/eines Täters oder Tatverdächtigen dann, wenn es ein begründetes öffentliches Interesse gibt. Wann ein solches vorliegt, wägen wir immer im Einzelfall ab.
Unter anderem kann ein solches begründetes öffentliches Interesse bestehen, wenn zumindest einer der folgenden Sachverhalte vorliegt:
- Es liegt eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat vor.
Beispiele: Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Mord, Folter, Sprengstoffanschlag (z.B. auf den BVB-Mannschaftsbus 2017).
- Eine Straftat wird aus einer größeren Gruppe heraus begangen, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist.
Beispiel: Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/2016, als Straftaten aus einer größeren Gruppe mit großteils gemeinsamen ethnischen, religiösen und nationalen Merkmalen begangen wurden.
- Die Biografie eines Täters oder Verdächtigen ist für die Berichterstattung über die Straftat von Bedeutung
Beispiel: Täter ist Flüchtling und hat auf seiner Migration bereits vergleichbare Straftaten begangen.
- Der Zusammenhang zwischen Form oder Häufigkeit einer Straftat und der Gruppenzugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen selbst ist Gegenstand der Berichterstattung.
Beispiel: Es wird der Handel mit Drogen an bestimmten Plätzen durch Täterinnen oder Täter einer bestimmten Gruppe thematisiert.
- Ein Straftäter oder Tatverdächtiger hat die eigenständige Struktur seiner Herkunftsgruppe für die Tatausführung benutzt.
Beispiele: Der Täter nutzt ausländische Absatzwege für Diebesgut. Besondere Clan-Strukturen ermöglichen erst die Begehung von Straftaten (Ehrenkodex, Schweigeverpflichtungen, Solidaritätszwang usw.). Ein Verdächtiger flüchtet unter Ausnutzung von Strukturen in sein oder aus seinem Herkunftsland.
Weitere Beispiele finde Sie hier auf der Seite des Presserats
Sollten neue Ermittlungserkenntnisse oder Rechercheergebnisse eine Nennung der Herkunft doch rechtfertigen, ändern wir ggf. unsere Entscheidung.
Ist die Nationalität z.B. via Social Media oder durch Polizei/Behörden bereits kolportiert und damit öffentlich geworden, wägen wir unabhängig von den oberen Punkten ab, ob wir die Nationalität ebenfalls nennen.
Grundsätzlich gilt: Je weniger über die Hintergründe der Tat bekannt ist, desto zurückhaltender sind wir bei der Nennung der Nationalität. Dabei lassen wir uns auch nicht von der Praxis anderer Medien leiten.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.