Kinder zu betreuen ist wahnsinnig anstrengend. Und daneben womöglich noch Homeoffice: Viele Eltern sind inzwischen am Ende ihrer Kräfte, wissen Berater und Therapeuten zu berichten. Von der eigenen Einstellung, praktischen Tipps bis hin zu professioneller Beratung: Was Eltern nun durch die Krise hilft.
Corona bringt viele Eltern an ihre Grenzen - und darüber hinaus. Von Verzweiflung und Überforderung in vielen Familien berichten Therapeuten.
"Die psychische Belastung für Eltern ist und bleibt enorm. Keiner darf von sich erwarten, Kinder und Homeoffice gut unter einen Hut zu bekommen. Das ist einfach kaum möglich", betont Björn Enno Hermans, Familientherapeut aus Essen. Kinder bräuchten Ansprache und könnten sich gerade im Kita-Alter höchstens phasenweise selbst beschäftigen.
Realistisch bleiben und kreativ werden
Hermans' Rat, um das Beste aus der Situation zu machen:
- Alltag gut strukturieren und das Wochenende bewusst anders gestalten als den Rest der Woche
Das helfe auch den Kindern, besser klarzukommen. Außerdem böten sich neben den Beschäftigungsideen, die Kitas herumschicken oder auf den Websites der Träger zur Verfügung stellen, Aktivitäten mit Bewegung im Freien an. "Die Kinder können sich durch den Gartenzaun mit den Nachbarskindern unterhalten oder mit dem Fahrrad fahren, wo genug Abstand ist", schlägt Hermans vor.
Regeln wie "Kein Fernsehen unter der Woche" lockern
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin in Berlin, bloggt über Familienthemen und hat selbst drei Kinder. Sie rät, gegen den Kräftemangel zwar eine Tagesstruktur zu haben, aber auch bewusst loszulassen von früheren Glaubenssätzen wie "Unter der Woche darf mein Kind nicht fernsehen".
Zeiten einzuführen, in denen die Kinder - natürlich je nach Alter - etwas gucken oder Konsole spielen dürfen ist für Eltern die Zeit, in der sie selbst runterkommen können.
Außerdem gilt es, Erwartungen herunterzuschrauben: "Viele denken jetzt, sie müssten etwas ganz Besonderes mit ihren Kindern machen. Denen reicht aber auch mal ein Picknick auf dem Fußboden, weil man keine Kraft mehr hat, den Esstisch freizuräumen." Niemand soll sich außerdem unter Druck fühlen, die viele Zeit mit den Kindern jetzt unbedingt genießen zu müssen: "Natürlich nicht, es ist in Ordnung, genervt zu sein. Wir haben manchmal ein sehr romantisiertes Bild vom Leben mit Kindern. Es ist eben nicht nur schön, deshalb dürfen Eltern auch sagen: ,Ich genieße das hier gerade nicht die ganze Zeit.'"
Homeschooling: Jetzt ist nicht die Zeit für Ehrgeiz
Etwas, das stark an den Nerven vieler Eltern zerrt, ist das Homeschooling. "Ich rate sehr stark zur Mäßigung, was den Unterricht und die Lernzeiten zu Hause angeht", sagt Oliver Dickhäuser, Professor für Pädagogische Psychologie an der Uni Mannheim. "Und dazu, jetzt allem voran den Ball flachzuhalten."
Ein realistisches Lernpensum bewege sich für junge Schüler der unteren Jahrgangsstufen im Bereich von maximal ein bis zwei Stunden am Tag. Man dürfe nicht vergessen, dass es auch im Schulunterricht immer wieder Phasen des freien Spiels gebe.
Eltern sollten sich an dem Prinzip "Strebe nach dem Guten und Möglichen, nicht nach dem Besten" orientieren. Für elterlichen Ehrgeiz werde es wieder passendere Zeiten geben, sagt Dickhäuser. Eltern sollten anerkennen, dass auch die Kinder selbst in einer schwierigen Phase stecken.
Der Experte stellt klar: "Die Lehrerrolle können Eltern eher schlecht als recht übernehmen." Besser sei es, sich jetzt auf emotionale Unterstützung für die Kinder zu konzentrieren. Zum Beispiel mit der Frage: "Was macht dir im Moment Sorgen?" Das sei eine dankbarere Aufgabe, als das nächste Aufgabenpäckchen durchzupauken.
Telefonische Beratung
Helfen kann auch, sich vor Augen zu führen, dass die Zeit dieser besonderen Lebenssituation begrenzt ist - auch wenn sie sich aktuell weiter zieht. "Man sollte auch das ehrlich den Kindern kommunizieren", rät Familientherapeut Hermans. Wenn sie fragen, wann sie wieder in die Kita dürften, könne man etwa sagen "Nicht sehr bald" oder "Ich weiß es nicht, aber ich hoffe noch vor dem Sommer".
Fakt ist für Hermans: "Es wird eine Entlastung der Eltern in Form von Betreuung geben müssen, denn so geht es auf Dauer für Familien nicht weiter." Familien, in denen sich die Lage so zugespitzt hat, dass häusliche Gewalt droht oder eine große Verzweiflung besteht, rät Hermans dringend dazu, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. "Niemand muss sich dafür schämen, Hilfe anzunehmen, schon gar nicht in dieser Ausnahmesituation", stellt Hermans klar. (dpa/af)
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