- Kein Wunder, dass das belastet: Die Coronakrise nimmt kein Ende, und niemand kann mit Gewissheit sagen, wie alles weitergeht.
- Was wir jetzt vermeiden und was wir uns bewusst machen sollten, erklärt eine Therapeutin.
Haben Sie sich heute schon etwas Gutes getan? "Für viele klingt das nebensächlich, aber es muss ganz oben auf unserer Liste stehen. Gerade jetzt", betont die systemische Paar- und Familientherapeutin Anette Frankenberger. Sie beschreibt ein typisches Phänomen: "Wenn wir in einer schwierigen Situation sind, fällt es uns schwer, Dinge zu tun, die gut für uns wären. Dabei brauche ich Selbstfürsorge nicht so dringend, wenn es mir schon gut geht. Ich brauche Selbstfürsorge, wenn es mir schlecht geht."
Die aktuellen Umstände seien äußerst belastend. Wieder einmal und auf vielen Ebenen: "Man hat schon so viel durchgestanden, und die meisten dachten, das Gröbste sei überstanden. Nun finden wir uns in dieser Corona-Lage, die viele ganz elementar und existentiell trifft. In dieser Wiederholung ist das nur schwer auszuhalten. Den Menschen geht die Geduld aus."
Sie nennt abgesagte Veranstaltungen als Beispiel, Virus-Einschläge im unmittelbaren Umfeld oder der eigenen Familie, Quarantänen, Homeschooling, Frust gegenüber Politik und Mitmenschen. Stichwort Impfen: "Wir beäugen einander anders als früher: ,Zu welcher Fraktion gehörst du?‘, lautet nun immer die Frage. Da stößt man auch mal an die Grenzen des guten Benehmens." Schlecht sei das nicht nur für unsere Gesellschaft und den sozialen Frieden, sondern auch für jeden Einzelnen: Genervtheit, Wut, Frust, Enttäuschung seien in der Pandemie zu täglichen Begleitern geworden.
Vermeiden: Schlechte Stimmung als Dauerzustand
"All diese Gefühle zu haben, ist normal", betont Frankenberger. Eines aber sei gerade im Hinblick auf das häusliche Miteinander zu verhindern: "Die schlechte Stimmung darf nicht zu einem Dauerzustand werden. Das ist eine sehr typische Folge, wenn ich eine äußere Situation – wie jetzt Corona – uneingeschränkte Macht über meinen inneren Zustand haben lasse. Uns zieht das nur noch weiter runter und ändert nichts an der Gesamtsituation." Ein Nebeneffekt: "Wir regen uns stellvertretend über andere Dinge auf, die uns normalerweise nicht so heftig aus der Bahn werden würden. Zum Beispiel die Unordnung der Kinder: Wo wir vielleicht sonst seufzen oder eben zum Aufräumen mahnen würden, flippen wir nun aus."
Doch was hilft, um die eigene Stimmung in positivere Bahnen zu lenken? "Die Wut müssen wir rauslassen. Und zwar am besten, indem wir sie benennen", rät Frankenberger. Laut vor sich hinzuschimpfen, könne schon Erleichterung bringen. "Noch besser: Sie erzählen Ihrem Partner oder besten Freund, was sie alles gerade nervt oder ärgert. Es ist erstaunlich, wie es uns entlastet, wenn wir Dinge aussprechen." Im Gespräch ließe sich der Blick anschließend auf etwas Positives richten: "Sie können zum Beispiel sagen: Gerade weil alles im Moment so schwierig ist: Was können wir uns jetzt gemeinsam Gutes tun?"
Ablenken, Abschalten und Plan B
Ob es die lustige Lieblingsserie ist, ein köstliches Essen, ein Spiel: "Alles, was uns ablenken kann, ist Gold wert", sagt die Münchner Therapeutin. Sie empfiehlt, bewusst Nachrichtenpausen einzulegen, sich also möglichst nicht mehrmals am Tag mit der aktuellen Corona-Lage zu beschäftigen.
Wem es schwerfällt, nicht zu wissen, wie wir beispielsweise Weihnachten verbringen werden, rät sie: "Legen Sie sich immer auch einen Plan B zurecht. Bestenfalls enthält er ebenfalls etwas ganz Besonderes, auf das Sie sich freuen können. So verhindern wir, dass wir in ein tiefes Loch der Enttäuschung fallen, wenn aus Plan A nichts wird."
All die Tipps, die schon während der vorherigen Corona-Wellen immer wieder verbreitet wurden – raus an die frische Luft, in Bewegung bleiben, Kontakt zu Freunden - seien jetzt wichtiger denn je. "Auch wenn das noch so banal klingt: Wir müssen ganz gezielt nach dem in uns forschen, was uns Freude bereitet", sagt Frankenberger. Das Gleiche gelte für Humor: "Dinge zu finden, über die wir lachen können – das hilft und kann einen durch solche Zeiten tragen."
Eines könne man sich nicht oft genug bewusst machen: "Wir befinden uns in einer gewaltigen Ausnahmesituation. Viele meinen, sich zusammenreißen zu müssen und bloß nie jammern zu dürfen. Wenn ich aber so tue, als wäre normal, was wir alle gerade erleben, geht mein Unterbewusstsein in Widerstand dazu. Die Folge ist Trotz, der alles nur noch schlimmer macht."
Psychologischer Trick: Wie wird mein Ich der Zukunft auf heute zurückblicken?
Um das zu veranschaulichen, nennt sie als Beispiel das erste Jahr mit einem Baby, das für Eltern eine gewaltige neue Herausforderung bedeutet: "Würde man sich das von vorneherein klarmachen – dass es eben nicht immer nur zauberhaft, sondern ein sehr anstrengender Ausnahmezustand ist: Die meisten Eltern kämen besser durch diese Phase. Vielen wird erst Jahre später bewusst, was sie in dieser Zeit eigentlich geleistet haben. Und dann erst wagen sie, sich auch mal zu loben: Das haben wir eigentlich ziemlich gut gemeistert."
Im Angesicht der nicht enden wollenden Pandemie könne dieser Tipp deshalb helfen: Mal einen Schritt in die Zukunft gehen und sich vorstellen, wie man später auf diesen Corona-Ausnahmezustand zurückblicken wird: wie er unser Leben umgekrempelt, uns täglich gefordert und gezwungen hat, uns immer wieder auf neue Gegebenheiten einzustellen. Wie wir immer wieder entmutigt und dann doch irgendwie weitergemacht haben. "Wir mobilisieren gerade große Kräfte in dieser Krise und meistern Außergewöhnliches", fasst Frankenberger zusammen. "Sich das bewusst zu machen, kann uns jetzt innerlich stärken."
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