Während dem Berufsstand der Lehrer früher Respekt gezollt wurde, ist das Image heute angekratzt. Lehrer-Bashing ist zum Ventil für den Unmut über das Schneckentempo der Bildungsreform in Österreich geworden. Doch wo liegen die Schwächen der österreichischen Bildungspolitik und wie könnte man die Begabungen unserer Kinder fördern? Mit diesen und anderen Fragen befasst sich eine ORF III-Doku und bildet den Auftakt für unser Dossier zum Thema "Bildung in Österreich".

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"Schulreform - bitte warten" hieß es in der Zeit der Großen Koalition nach 1945. Klares Ziel der SPÖ war schon damals die Gesamtschule, die bisher am Veto der ÖVP scheiterte, weil diese eine "Eintopfschule mit Richtung nach unten" befürchtete. Man verschrieb sich dem Proporz, Prestige- und Kompetenzkämpfe blockierten notwendige Reformen.

Neue Mittelschule als Etikettenschwindel?

Der politische Kompromiss zur Gesamtschule, die Neue Mittelschule (NMS), sollte das Leistungsniveau der Schüler durch individuelle Förderung heben. Anstatt auf engagierten NMS-Versuchs-Schulen aufzubauen, preschte die Politik vor und führte die NMS als Regelschule ein.

Viele Lehrer zweifeln jedoch am Erfolg der NMS und an der versprochenen Qualitätssteigerung. Kaum irgendwo seien neben den Hauptschullehrern die zusätzlichen Gymnasiallehrer im Einsatz. Sind sie es doch, macht sich bei den Schülern Frust breit, weil sie vor Augen geführt bekämen, dass sie nicht mit anderen Schülern mithalten könnten. Dennoch will die Politik bis 2015 alle Hauptschulen in NMS umgewandelt haben.

Schul-Ranking und PISA-Test als Bildungsbremsen?

Bis 1990 gab es einen Rahmenlehrplan, in dem sich Lehrer bewegen konnten. Dann wurde zunehmend normiert, Pädagogen konnten nicht mehr selbstbestimmt arbeiten. Dazu gesellten sich Schul-Rankings mit damit verbundenem bloßem "Hinlernen" auf Tests.

Mittels PISA-Test werden alle drei Jahre weltweit in über 60 Ländern unterschiedliche Schultypen evaluiert. 2009 schnitt Österreich im internationalen Vergleich schlecht ab, 2012 konnte zwar wieder das frühere, recht gute Niveau erreicht werden. Man kritisierte jedoch, dass das kindliche Lernen wegen solcher Tests für mehr Leistung oder ein im Promillebereich besseres Abschneiden im Ranking geopfert würde. Österreichs Bildung würde dadurch also gebremst.

Österreichs Schulsystem überdurchschnittlich teuer

Dabei liegen laut einer aktuellen OECD-Studie die jährlichen Ausgaben Österreichs im Volks- und Sekundarschulbereich deutlich über dem internationalen Durchschnitt: Österreich hat also ein sehr teures Schulsystem. So fordert die Lehrer-Gewerkschaft nebst fairer Bezahlung auch 13.000 Posten für Unterstützungspersonal. Investitionen in Infrastruktur und Personal seien einfach nötig.

Nachdem man sich vorerst nicht auf ein neues Lehrerdienstrecht einigen konnte, ist dieses kurzerhand ohne die Gewerkschaft entschieden worden. Die beschlossene, abgeflachte Gehaltskurve bei Erhöhung der Einstiegsgehälter für Lehrer sei an die Verpflichtung von 24 Unterrichtsstunden pro Woche geknüpft.

Schulautonomie gefordert

Ein zentrales Problem ist nach ORF-Recherchen jedoch nicht gelöst worden: Schulautonomie als Schlüssel für Weiterentwicklung. So wären Entscheidung vor Ort besser aufgehoben, mit der Dauerbevormundung von Schulen solle Schluss sein. Dies schaffe strukturelle Voraussetzungen für Optimierungen, Autonomie allein sei nicht ausreichend: Schulen bräuchten Personal-, Budget- und Lehrplanhoheit.

Sind Privatschulen also privilegiert und "besser"?

Man hat das Gefühl, dass man an Privatschulen "als zahlender Gast" mehr Kontakt mit den Lehrern habe. Möglichst viele Absolventen für ein späteres Studium fit zu machen, ist erklärtes Ziel etwa des Borromäum-Gymnasiums in Salzburg. Gleichzeitig spricht man sich explizit dagegen aus, eine Eliteschule sein zu wollen, deren Zugänglichkeit an die Finanzkraft der Eltern geknüpft sei.

Viele Eltern, die ihre Kinder auf diese Schule schicken, haben hohes Bildungsinteresse, was tendenziell aber doch an der gesellschaftlichen Stellung liege: Ein hoher Anteil der Eltern ist selbst Akademiker. Wird Bildung also tatsächlich vom ökonomischen und Bildungs-Status der Herkunftsfamilie bestimmt?

Pädagogische Konzepte als Erfolgsfaktor

Nicht so an der Gesamtschule Göttingen in Deutschland, die als Alternative zum herkömmlichen Schulsystem entwickelt wurde. Pädagogik beruht dort auf Erkenntnissen der Hirnforschung. Es wird auf Beziehungen gesetzt, auf Lust am Lernen - Schüler sollen vom Thema berührt werden. Neugierde und positive Erwartungen steigern die Ausschüttung von Dopamin, was wie ein Turbolader auf die Leistungsfähigkeit wirken soll. Wichtig sei daher auch, den Lehrstoff an jenen Themen zu orientieren, die in der Welt wichtig seien, weil Kinder noch nicht wüssten, wofür sie "brennen".

Weniger entscheidend für den Lernerfolg ist laut Experten die Unterrichtsmethode selbst, sondern vielmehr der Wechsel zwischen Frontalunterricht, Selbsterarbeiten und Gruppenarbeit. Das Grundlegende sei jedoch die Einstellung: Nicht das Kind solle an der Schule, sondern die Schule am Kind ausgerichtet werden.

Jeder vierte Lehrer Burnout-gefährdet

Ganz entgegen des Klischees, dass Lehrer ohnehin nur einen Halbtagsjob und drei Monate Ferien hätten, besagt eine Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts, dass jeder vierte Pädagoge Burnout-gefährdet sei.

Die Gesellschaft lagert viel an die Schule aus, auch Aufgaben, die im Elternhaus passieren sollten: Als Lehrer muss man Sozialarbeiter, Psychologe, Kommunikationsexperte - also Wunderwuzzi - sein. Da ist es kein Wunder, dass Lehrer sich ständig überfordern und psychisch belastet oder emotional erschöpft sind.

Auch ist der administrative Aufwand an Schulen deutlich gestiegen und der Arbeitsplatz im Lehrerzimmer geschrumpft. Generell unterschätzt wird offenbar die Arbeitszeit von Lehrkräften: Eine klassische 40-Stunden-Woche sei für engagierte Lehrer kein Thema, denn es gehe nicht darum, nur am Vormittag den Unterreicht aus Ärmel zu schütteln - daheim warte die Korrekturarbeit.

Der Lehrberuf muss also wieder Aufwertung und ein gewisses Standing erfahren. Dies kann dadurch erreicht werden, dass Schulen im Sinne eines gemeinsamen Gutes öffentlicher zugänglich werden. Nur die Lehrer abzustrafen für etwas, was sie selbst nur bedingt beeinflussen können, wäre zu wenig.

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