"Mit Anfang 23 ist schließlich jeder normale Mensch mit dem Studium fertig, oder nicht." Ein Blogeintrag einer Wiener Studentin befeuert die Diskussion um gering bis gar nicht bezahlte Praktika. Die Vorwürfe sind nicht neu. Lesenswert ist der Text trotzdem.
Im Netz macht derzeit ein Blogeintrag die Runde, der anscheinend vielen aus der Seele spricht. "Danke für (fast) nichts." heißt der Text, den eine Autorin am 21. Jänner online gestellt hat. 150.000 Menschen haben ihn seither gelesen. Sinah Edhofer ist 23 Jahre alt, lebt in Wien und studiert Publizistik. Und ist reichlich desillusioniert.
Fünf Jahre HAK, ein Jahr Wirtschaftsstudium, drei Jahre Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hat sie hinter sich. Dazu Ferialjobs und Praktika en masse. "Jetzt stehe ich am Ende meines Studiums und frage mich, was das eigentlich alles soll. Familienbeihilfe gibt’s demnächst nicht mehr, weil mit Anfang 23 ist schließlich jeder normale Mensch mit dem Studium fertig, oder nicht. Naja, da hab ich dann wohl zu lange herumgetrödelt", wettert sie.
"Hat der Karl-Heinz euer Geld versteckt?"
Besonders angetan haben es ihr die heimischen Medienhäuser. 700 Euro Monatsgehalt für 40 Stunden Arbeit die Woche: lächerlich. "Und ich möchte aus Erfahrung sagen, dass das – bei den Medienpraktika – im Vergleich nicht wenig ist. (...) Wirklich, ihr habt alle kein Geld? Aber wer hat dieses Geld denn nun jetzt eigentlich?! Gruner + Jahr? Oder die Russen? Oder hat's der Karl-Heinz versteckt?"
Knapp 250 Kommentare (Stand: 23.01., 11:50 Uhr) hat der Blogeintrag bisher, Tendenz rasant steigend. Mehr als 10.000 Menschen haben ihn auf Facebook geteilt. Wie die 17-jährige Naina aus Köln, die mit einem Tweet eine ausgewachsene Diskussion ums deutsche Bildungssystem auslöste, oder Poetry-Slammerin Julia Engelmann trifft Sinah Edhofer einen Nerv. Die "Generation Y", die "Generation Praktikum", die "Generation Maybe" - wie immer man sie nun nennen will, sie ist vor allem eins: enttäuscht.
Motivation, Motivation, Motivation
Hunderte bewerben sich jedes Jahr bei Österreichs Medienhäusern, um eines Tages die für den Berufseinstieg geforderte Praxis vorweisen zu können. FM4 stellte in der Vergangenheit maximal drei Praktikanten ein - für ein einjähriges unbezahltes Praktikum. Mittlerweile gibt es nur noch einen "sommerlichen Crash-Kurs für die Handvoll der Besten, die aus einem Assessment-Center hervorgehen", wie es auf der Website heißt. Wer sich dafür bewerben möchte, braucht neben einem Motivationsschreiben und einem Lebenslauf auch Textproben und am besten schon einen Radiobeitrag.
Die Salzburger Nachrichten veranstalteten vor Jahren ein eintägiges Assessment-Center - ebenfalls nur für ein Praktikum. "Ein ORF, ein Standard – Unternehmen, die es sich sicherlich mehr als leisten können und auch noch darüber berichten, wie schlimm die Ausbeutung durch Praktika ist – zahlen um die 700 Euro für 40 Stunden", moniert Edhofer. Und prangert damit auch die Doppelmoral der heimischen Medien an.
Sie wird vielleicht schlecht bezahlt, doch Edhofer hat Ahnung von Medien. Sie schreibt für "The Gap" über hässliche Weihnachtsgeschenke, Gemälde im Selfie-Wahn und wie Moneyboy das Wiener Fridge Festival gerettet hat. Betreibt seit Februar 2014 den "The Black Shirt Blog", ihren "eigenen kleinen Mikrokosmos", wie sie ihn nennt. Laut nachdenken will sie - und weiß, wohin das führen kann. "Jedes Wort, das wir schreiben, ist für immer in den unendlichen Weiten des Datendschungels gefangen und man wird alles, was man jemals gepostet hat, Jahre später noch nachlesen können. Ich glaube, dessen sind wir uns nicht immer bewusst. Trotzdem sollten wir unsere Gedanken sorgfältig wählen und formulieren", schreibt sie.
Lob und Hass gleichermaßen
Die Reaktionen auf Edhofers Blogeintrag fallen beileibe nicht alle positiv aus. Viele Nutzer werfen ihr vor, zu Unrecht zu nörgeln. "Wer sich ein unbezahltes Praktikum sucht, ist selber schuld", heißt es da etwa. Oder: "Wer immer Ja und Amen sagt, bekommt nur Scheiße, also strengt euch an und heult weniger." So mancher Unterstützer findet ebenso deutliche Worte: "Diese Haterkommentare! Wenn alle aufhören zu 'heulen' und sich von der 'brotlosen Kunst' (wtf?!) des Journalismus abwenden, was ist das dann? Deprofessionalisierung! Dann lesen wir nur noch populistische Quatschmedien (...) Bitte, Sinahs da draußen, macht die Goschen auf und fordert ein, statt aufzugeben!"
Edhofer selbst sieht die Diskussion locker. "Ja, da senft jetzt schon irgendwie jeder, haha!", schreibt sie auf Facebook. "Aber eh cool, ich mag das!"
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