Wenn es am Auto oder Fahrrad einen Defekt gibt, lässt man diesen selbstverständlich reparieren. Wie verhält es sich aber, wenn die Waschmaschine, der Fernseher oder das Smartphone kaputtgeht? Meistens schafft man sich dann ein neues Gerät an, statt das Altgerät reparieren zu lassen. Dabei wären Reparaturen oftmals günstiger als die Neuware.
Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) sind 2022 in den 27 EU-Staaten fünf Millionen Tonnen Elektroschrott angefallen. Insgesamt entstehen durch die vorzeitige Entsorgung eigentlich noch brauchbarer Konsumgüter nach Angaben der EU-Kommission jedes Jahr 35 Millionen Tonnen Abfall in der EU. Zugleich werden 30 Millionen Tonnen Ressourcen unnötig für Neuware verbraucht.
Das wiederum führt zum Ausstoß von Treibhausgasen in einer Dimension von 261 Millionen Tonnen sogenannter Kohlendioxid-Äquivalente (CO2e), die durch Reparaturen vermieden werden könnten.
Was sind CO2-Äquivalente?
- Kohlenstoffdioxid (CO2) ist das bekannteste, aber nicht das einzige Treibhausgas. Andere sind Wasserdampf, Methan (CH4) und Lachgas (N2O). Um die Auswirkung verschiedener Treibhausgase auf die Temperatur an der Erdoberfläche zu vergleichen, benutzt man das Konzept der "CO2-Äquivalente". Dabei wird die Menge eines Treibhausgases in die entsprechende Menge CO2 umgerechnet. Quelle: Helmholtz Klimainitiative.
All diese Zahlen sind ziemlich abstrakt. Deshalb bat der Spezialversicherer Wertgarantie den Künstler HA Schult, eine Skulptur aus einer Tonne Elektroschrott zu gestalten. HA Schult, dessen "Trash People" weltweit gezeigt wurden, schuf 2021 den "Wertgiganten", eine sechs Meter hohe Figur. "Jeder, der diese Figur sieht, erfasst sofort, wie viel eine Tonne Elektroschrott ist", sagt Konrad Lehmann, Vorstand bei Wertgarantie in Hannover. Diese Menge Elektroschrott entstehe alle 72 Sekunden in Deutschland, sagt Lehmann.
Unter dem Titel "Reparieren statt Wegwerfen" ist 2023 auch eine Studie zur Entstehung von Elektroschrott erschienen. Eine repräsentative Befragung von 5.322 Verbrauchern ergab, dass die Reparaturquote in deutschen Haushalten nur bei 23,7 Prozent liegt. Nicht reparierte Geräte werden zu 82,8 Prozent entsorgt.
Das führt zu rund 375.000 Tonnen Elektroschrott pro Jahr. Dagegen werden der Studie zufolge durch Reparaturen in Deutschland jährlich etwa 195.000 Tonnen Elektroschrott vermieden.
Billige Massenware statt Reparatur
"In den 1960er-Jahren hatte ein Fernseher einen ganz anderen Wert als heute, er kostete etwa zwei durchschnittliche Monatsgehälter", so Lehmann. Es war daher selbstverständlich, dass man ihn reparieren ließ.
Doch im Zuge der Globalisierung und billiger Massenware ist das Reparieren zunehmend unattraktiver geworden. Immer häufiger sind Ersatzteile vom Hersteller nur schwer zu bekommen oder sehr teuer. Oder die Gehäuse wurden nicht mehr verschraubt, sondern verklebt und ließen sich daher nicht mehr öffnen.
Da die Produktion in Niedriglohnländern erfolgt, die professionelle Reparatur jedoch im eigenen Land, ist die Reparatur eines Altgeräts heute teilweise teurer als der Erwerb eines Neugeräts. Infolgedessen beschäftigen sich Verbraucher immer seltener mit der Möglichkeit einer Reparatur.
"Nur 20 Prozent der Deutschen wissen, wo sie ihr Gerät reparieren lassen können", gibt Lehmann ein Ergebnis einer weiteren Befragung wieder, die von Wertgarantie in Auftrag gegeben wurde. "Obwohl wir in Deutschland ein sehr dichtes Netz an qualifizierten Fachhändlern haben."
Doch Lehmann erkennt im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte einen Trend zur Veränderung. In der Bevölkerung und der Politik, aber auch in der Industrie habe sich die Erkenntnis durchgesetzt: "Höher, schneller, weiter funktioniert auf Dauer nicht." Es habe sich ein Gebrauchtgerätemarkt und ein Refurbishing-Markt etabliert, wobei Refurbishing für die qualitätsgesicherte Überholung und Instandsetzung von Produkten zum Wiederverkauf steht.
Gemeinschaftliches Reparieren liegt im Trend
Ein weiterer Trend, der das Erstarken der Reparaturbereitschaft zeigt, ist die Gründung von Reparatur-Cafés und ähnlichen Einrichtungen. "Als wir vor zehn Jahren mit dem Netzwerk Reparatur-Initiativen begannen, gab es etwa 40 Reparatur-Cafés in Deutschland, jetzt sind auf unserer Plattform über 1.500 eingetragen", berichtet Ina Hemmelmann von der gemeinnützigen Stiftung "anstiftung" in München.
Zwar gab es schon zu Beginn des Jahrtausends vereinzelt "Reparaturtage", bei denen Menschen zusammenkamen und gemeinschaftliche Geräte und andere Waren reparierten. Doch richtig Fahrt aufgenommen hat das Thema erst, seit die niederländische Umweltjournalistin Martine Postma 2010 mit Unterstützern die Organisation "Stichting Repair Café" gründete. "Man kann gut erkennen, wie die Welle der Reparatur-Cafés von den Niederlanden nach Nordrhein-Westfalen geschwappt ist, wo es anfangs die größte Dichte solcher Einrichtungen gab", erläutert Hemmelmann.
Sie sieht Reparatur-Cafés als niederschwelliges Angebot für Menschen, die gerne schrauben und basteln und die das nicht allein im Hobbykeller machen wollen. Beim gemeinschaftlichen Reparieren können sie auch noch anderen helfen. Sie gibt aber zu, dass das Format nicht alle Bevölkerungsgruppen anspricht: "Junge Familien kommen selten, weil deren Leben schon so voll ist, dass sie nicht noch einige Stunden im Reparatur-Café verbringen können."
EU-Richtlinie zum Recht auf Reparatur
Auch in der EU bekommt das Reparieren ein größeres Gewicht, wird es doch als Schritt in Richtung einer Kreislaufwirtschaft gesehen. Das EU-Parlament hat vor knapp einem Jahr die Richtlinie 2024/1799 beschlossen, die das Recht auf Reparatur festschreibt. Deutschland hat bis Ende Juni 2026 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Gerätehersteller müssen dann rechtzeitig und kostengünstig Reparaturen durchführen und Verbraucher über ihr Recht auf Reparatur informieren. Selbst nach Ablauf der gesetzlichen Gewährleistung müssen die Hersteller gängige Produkte wie Waschmaschinen, Staubsauger und Smartphones reparieren, die nach EU-Recht technisch reparierbar sind.
Ina Hemmelmann begrüßt einerseits das Recht auf Reparatur, bemängelt aber, dass den Herstellern Schlupflöcher gelassen worden seien. "Beispielsweise ist es möglich, ganze Bauteilgruppen als Ersatzteil anzubieten, auch wenn nur ein kleiner Teil davon defekt ist", kritisiert sie.
Die Recht-auf-Reparatur-Richtlinie sieht auch vor, dass jeder EU-Staat das Reparieren mit mindestens einer Maßnahme fördern muss, um Reparaturen erschwinglicher zu machen. Dies könnte beispielsweise ein Reparaturbonus sein, wie es ihn seit 2021 in Thüringen gibt. Hier können sich Verbraucher die Hälfte der Reparaturkosten erstatten lassen, höchstens jedoch 100 Euro.
Berlin bietet seit 2024 ebenfalls einen Reparaturbonus an, auch hier wird die Hälfte der Kosten erstattet. Die Rechnung muss jedoch mindestens 75 Euro betragen, dafür können bis zu 200 Euro erstattet werden.
In einer Begleitstudie zum Reparaturbonus in Thüringen schreiben Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin: "Die Studie zeigt, dass zwischen 2021 und 2024 durch 33.288 Reparaturen etwa 2.971 Tonnen CO2e und 390 Tonnen Elektroschrott eingespart wurden."
Weg von der Wegwerfgesellschaft
Die EU-Richtlinie und die staatliche Förderung dürften das Reparieren spätestens ab dem kommenden Jahr preisgünstiger und damit attraktiver machen. Zudem verlängern die neuen Rechtsvorschriften die rechtlichen Garantien um zwölf Monate, wenn Verbraucher sich für eine Reparatur entscheiden. Beim Boom der Reparatur-Cafés ist noch kein Ende in Sicht. So wandelt sich die Wegwerfgesellschaft allmählich in eine nachhaltigere Gesellschaft, die zudem die Geldbörse schont.
Über die Gesprächspartner
- Konrad Lehmann ist seit 2016 Vorstandsmitglied der Wertgarantie SE und dort verantwortlich für Marketing, Unternehmenskommunikation, Nachhaltigkeitsmanagement, Kundenmanagement sowie Input- und Output-Management.
- Ina Hemmelmann ist seit Oktober 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin der anstiftung und koordiniert das Netzwerk Reparatur-Initiativen. Schwerpunkte: Projektberatung, Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit.
Verwendete Quellen
- Statistisches Bundesamt: EU-weit 5 Millionen Tonnen Elektroschrott im Jahr
- anstiftung.de: Willkommen bei der anstiftung
- Europäisches Parlament: Recht auf Reparatur: Reparieren einfacher und attraktiver machen
- reparieren-statt-wegwerfen.de: Eine Studie zur Entstehung von Elektroschrott
- Reparatur-Initiativen: Karte
- Repair Cafe: Stichting
- Die Bundesregierung: Das Recht auf Reparatur kommt
- Reparaturbonus Thüringen: Förderbedingungen
- berlin.de: ReparaturBONUS Berlin: Gemeinsam Verantwortung übernehmen!
- Frauenhofer IZM: Erweiterte ökologische Wirkungsabschätzung zum Reparaturbonus Thüringen