Das EU-Parlament hat das geplante Pestizid-Gesetz gekippt. Manche sprechen deshalb von einem "schwarzen Tag" für Europa. Ist da etwas dran? Pestizid-Experte Lars Neumeister widerspricht. Was sich für Verbraucher ändert, warum die Verordnung eine Mogelpackung gewesen wäre und welche Warnung der Fachmann hat.
Die EU bekommt keine schärferen Regeln für den Einsatz von Gift in der Landwirtschaft. Am vergangenen Mittwoch (22.11.) lehnte das Europaparlament mehrheitlich einen Entwurf ab, der die Reduktion von Pestiziden in der EU zum Ziel hatte. Dabei ging es um den Schutz der Umwelt.
Die Reaktionen auf die verpasste Mehrheit fielen unterschiedlich aus: Während sich vor allem Konservative und Bauernorganisationen zufrieden mit der Entscheidung zeigten, sprach die grüne Abgeordnete Sarah Wiener von einem "schwarzen Tag" für die Verbraucher in der EU.
Geplantes Pestizidgesetz - darum ging es
- Eigentlich sollte der Einsatz von chemischen Pestiziden bis 2030 halbiert werden. Vorrangiges Ziel war dabei der Schutz der Artenvielfalt. Zu den Plänen zählten zeitweise sogar "Totalverbote" in "ökologisch sensiblen Gebieten". Dazu zählen beispielsweise Landschaftsschutzgebiete und andere Schutzräume. Zum Schluss gab es jedoch so viele Änderungsanträge, dass der Entwurf keine Mehrheit mehr fand.
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Bauern sorgten sich um Umsatz
Die Landwirte hatten vor allem eine große Sorge: Umsatzeinbußen. Denn sie fürchteten, neue Vorschriften würden zu Missernten führen, wenn die Schädlingsentwicklung schlechter kontrollierbar werden würde. Die Folge wären dann aus ihrer Sicht steigende Preis für Lebensmittel und Rohstoffe aus der europäischen Landwirtschaft gewesen. Vor diesen Hintergründen fürchtete man Wettbewerbsnachteile auf dem internationalen Markt. Manche sahen gar die Lebensmittelsicherheit in Gefahr.
Pestizid-Experte Lars Neumeister sagt allerdings: "Die geplante Verordnung war extrem schwach und hätte so, wie sie gestaltet war, wahrscheinlich niemals zu einer signifikanten Pestizidreduktion geführt."
Verordnung wäre Mogelpackung gewesen
Die Mitgliedsstaaten hätten via Verordnung nur bestimmte Pestizid-Indikatoren senken sollen. Dabei geht es um das "harmonisierte Risiko" – es berechnet sich aus dem verkauften Volumen eines Pestizids und weiteren Risikofaktoren. Sobald ein Gift seine Zulassung verliert, bekommt es rückwirkend einen besonders hohen Risikofaktor.
"Diese Indikatoren waren so gestaltet, dass man auch ohne jegliches Zutun die Senkung erreicht", kommentiert Neumeister. Denn nach dem Zulassungsende und einer Aufbrauchfrist sinke das verkaufte Volumen auf null. "Durch diesen Rechentrick reduziert sich das "harmonisierte Risiko" für dieses Pestizid von einem sehr hohen Wert während des Verwendungszeitraums auf null nach dem Ablauf. Ohne jegliches Zutun könne die Europäische Kommission so eine gefälschte Reduktion vorweisen.
Was sollten Verbraucher wissen?
Es sei daher nie gedacht gewesen, dass jeder landwirtschaftliche Betrieb den Pestizid-Einsatz um eine bestimmte Prozentzahl habe senken müssen, erläutert Neumeister. Besonders betroffen gewesen wären Stoffe, die in vielen Mitgliedstaaten einen hohen Anteil am verkauften Volumen haben – also Schwefel und Paraffinöle. "Pestizide hingegen, von denen man nur wenige Tonnen benötigt, um auf vielen Quadratkilometern alle Pflanzen oder Insekten zu töten", so Neumeister, hätten hingegen nicht reduziert werden müssen.
Für Verbraucher ändert die Entscheidung daher zunächst nicht viel. Aus Sicht von Experte Neumeister hätte das Gesetz für Verbraucher ohnehin kaum einen Unterschied gemacht. Allerdings dürfte die Enttäuschung besonders bei Umweltschützern groß sein.
Pestizidfreie Landwirtschaft rückt in Ferne
Auch, wenn sie dem Entwurf nicht hinterhertrauern, weil er ohnehin keine pestizidfreie Landwirtschaft gebracht hätte, sind sie ihrem Ziel des Artenschutzes kein Stück nähergekommen. Dabei hatte die Europäische Kommission das ganze Vorhaben erst auf Drängen der Bürgerinitiative "Save bees and farmers" ins Rollen gebracht. Sie fordern einen europaweiten Pestizidausstieg bis 2035.
Im Gegenteil gab es für die Verfechter einer pestizidfreien Landwirtschaft weitere schlechte Nachrichten: Fast zeitgleich verlängerte die EU-Kommission die Zulassung für das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat, dessen Einsatz in Privathaushalten bereits verboten ist und bei dem Fachleute immer wieder auf Alternativen hinweisen.
Experte Neumeister meint: "Eine pestizidfreie Landwirtschaft muss keine Utopie bleiben." Man könne auf über 80 Prozent der landwirtschaftlichen Ackerfläche ohne Pestizide wirtschaften. "Das ist agronomisch kein Problem", sagt er. Der größte Anteil der Ackerfläche in der EU werde mit Futter-/Energiemais, Getreide und anderen Futterpflanzen bestellt. "Diese Kulturen können ohne größere Schwierigkeiten pestizidfrei produziert werden", so Neumeister.
Große Versprechen, nichts dahinter
Bei anderen Kulturen würde ein Ausstieg zwar mehr Zeit benötigen, insbesondere bei den Dauerkulturen, ist sich Neumeister sicher. Wenn man für jede Fruchtart aber konkrete Maßnahmen definiere, rechtlich vorschreibe und unter Umständen ökonomisch unterstütze, könnten große Teile der EU innerhalb kurzer Zeit ohne Pestizide wirtschaften.
Außerdem seien die meisten Schädlingsprobleme menschengemacht, was man ändern könne. "Aber darüber wird nicht diskutiert. Man diskutiert immer anhand von Extremfällen darüber, was nicht geht und verliert sich im Detail", ärgert er sich.
Wie so oft in der Umweltpolitik seien große Versprechungen vom "Green Deal" gemacht worden. "Aber bei der (rechtlichen) Umsetzung scheitert man an den Interessengruppen, deren Geschäftsmodelle verändert werden müssten", kommentiert Neumeister.
Experte hat eine Warnung
Selbst mit einer Zustimmung im Parlament wäre ein wie auch immer gestaltetes Gesetz noch nicht in Stein gemeißelt gewesen. Der EU-Rat der Mitgliedsstaaten hätte ebenfalls ein Wort zum Mitreden gehabt, ebenso die EU-Kommission. Weil am vergangenen Mittwoch aber ebenfalls ein Antrag abgelehnt wurde, das Gesetz im Umweltausschuss noch einmal neu zu verhandeln, ist das Vorhaben nun erst einmal ad acta gelegt.
Dabei brauche man aus Sicht von Neumeister dringend eine andere Art und Weise der Lebensmittelproduktion. "So wie es jetzt ist, ist es ein wirtschaftliches Desaster, das nur durch Subventionen überlebt. Der Ressourcenverbrauch ist immens und die Landwirtschaft ist überhaupt nicht widerstandsfähig, das heißt nicht auf die drohenden "Kipppunkte" vorbereitet", warnt Experte Neumeister. Sein Fazit: "Darüber sollte diskutiert werden. Wir haben alle Lösungen - aber schaffen es nicht eine 'Koalition der Willigen' zusammenzubringen."
Über den Gesprächspartner
- Lars Neumeister ist unabhängiger Pestizid-Experte und arbeitet seit 1998 fast ausschließlich zum Thema Pestizide. Derzeit arbeitet er für Foodwatch und hat einen Pestizid-Ausstiegsplan erarbeitet sowie Positionen zum Kommissionsvorschlag verfasst.
Verwendete Quelle
- tagesschau.de: "Ein schwarzer Tag für die Verbraucher"
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