- Thomas Patzelt war jahrelang abhängig vom Glücksspiel. Er häufte enorme Schulden an, Beziehungen zerbrachen daran.
- Seit Jahren ist er nun spielfrei und hilft anderen, die von Spielsucht betroffen sind.
- Im Interview erzählt er, wie er in die Sucht gerutscht ist, wie viel Geld er verspielt hat und welche massiven Auswirkungen das auf sein Leben hatte.
Herr Patzelt, wie hat es bei Ihnen mit dem Glücksspiel angefangen?
Thomas Patzelt: Ich war Ende 20 und beruflich sehr erfolgreich. Die Arbeit als Versicherungsfachwirt war mein Lebensmittelpunkt. Ich arbeitete im Außendienst und das lief soweit. Doch ich habe mich dabei vergessen. Ich konnte nicht nein sagen, auch wenn es bereits zu viel war. Dadurch wurde dann auch die Arbeit zu viel.
Es war das Jahr 1999 und ich hatte Zeit zwischen zwei Arbeitsterminen und stand vor einer Spielothek. Ich ging dort hinein, setzte fünf D-Mark ein und es dauerte nicht lange, da erhielt ich 100 Sonderspiele. Ab diesem Zeitpunkt war ich angefixt.
Und wie ging es dann weiter?
Dass ich angefixt war, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Ich habe mich zunächst einmal über den Gewinn von etwa 300 D-Mark gefreut und in mir drin bereitete sich ein Glücksgefühl aus. Zum damaligen Zeitpunkt war ich unglücklich mit mir selber, redete aber mit niemanden darüber. Es wäre für mich ein Gefühl von Schwäche gewesen und das gab es damals für mich nicht. Dieser Automat gab mir jenes Gefühl, das ich haben wollte. Also ging ich immer wieder spielen - habe dabei auch immer wieder gewonnen. Mit der Zeit wuchsen dann Einsätze und Spielzeiten deutlich an.
Was taten Sie, um Ihre Spielsucht zu finanzieren?
Wenn ich den Gewinn wieder verloren hatte, bin ich an mein eigenes Geld. Ich habe die Situation in der Verdrängungsphase, die nach der Gewinn- sowie der Verlustphase einsetzt, immer schöngeredet. Nachdem das eigene Geld verspielt war, bin ich zur Bank und habe dort Kredite aufgenommen. Das ging lange gut, doch dann hat auch die Bank gesagt: Es geht nicht mehr. Es ging dann irgendwann nur noch darum, wie ich an Geld komme, um meine Sucht zu finanzieren. Ich habe das aber alles verdrängt und habe mir eingeredet, dass irgendwann schon der große Gewinn kommen wird und dann zahle ich alle Schulden zurück. Stattdessen kam ich in die Beschaffungskriminalität als ich irgendwann dann Freunde und Bekannte um Geld gebeten habe und das teilweise auch bekam. Ich war dabei sehr manipulativ und schreckte auch vor Lügengeschichten nicht zurück. Der nächste Schritt waren dann Firmengelder, die ich wiederum durch das Privatkonto meiner damaligen Ehefrau ausglich. Dafür lernte ich sogar, ihre Unterschrift zu fälschen.
Vier Jahre exzessiv gespielt - auf dem Höhpunkt sechs Mal pro Woche
Wie lange dauerte Ihre Spielsucht an und wie oft waren Sie am Automaten?
Ich habe vier Jahre exzessiv gespielt und war dabei am Höhepunkt sechs Mal pro Woche "zocken". Am Sonntag war ich dann zuhause bei meiner Familie. Anfangs waren es noch vier Tage die Woche, aber das steigerte sich. Ich habe auch alles unternommen, dass niemand etwas mitbekommt, weil ich mich dafür geschämt habe. So habe ich mich für eine Fortbildung, die immer am Samstag stattfand, angemeldet, bin aber stattdessen immer in die Spielothek gefahren. Teilweise war ich bis zu 13 Stunden in der Spielothek und habe bis zu 1.500 Euro verspielt. Insgesamt habe ich 100.000 Euro verzockt.
Wie flog dann Ihre Spielsucht auf?
Ich konnte irgendwann meine Rechnungen nicht bezahlen. Dann flatterten die Mahnungen ins Haus. Zu diesem Zeitpunkt ging es für mich darum, der Erste am Briefkasten zu sein, weil wenn meine damalige Partnerin den Brief entdeckt und geöffnet hätte, wären Fragen gekommen, das wollte ich nicht. Auch der Gerichtsvollzieher stand vor dem Haus. Irgendwann konnte ich dann einfach nicht mehr. Das Minus auf dem Firmenkonto wurde immer größer und ich stellte mir die Frage, wie es weitergehen soll. Letztendlich habe ich mich dann geoutet, weil ich den Druck nicht mehr ausgehalten habe.
Firma unterstützt Patzelt mit Anlaufstellen für Spielsucht
Wie fielen die Reaktionen auf Ihr Geständnis aus?
Meine damalige Ehefrau war sauer, weil ich jahrelang ihr Vertrauen missbraucht hatte. Oft fragte sie mich, warum ich so spät nach Hause kam, aber ich hatte immer eine "Lügengeschichte" parat. Ein paar Tage später bin ich zum damaligen Arbeitgeber gegangen und hatte Angst, weil ich auch hier mit dem Schlimmsten rechnete. Doch die Firma stand zu mir und gab mir Adressen für entsprechende Fachkliniken.
Was haben Sie nach Ihrem Geständnis unternommen?
Mitte 2004 habe ich eine achtwöchige Therapie gemacht und dachte danach ist wieder alles gut. Aber ich war danach nicht sofort spielfrei. Drei Wochen nach der Therapie hatte ich meinen ersten Rückfall, bin danach wieder in alte Muster verfallen, indem ich mit niemandem darüber redete und alles mit mir selbst ausmachte. Das ging dann noch ein gutes Jahr nach der Therapie so weiter. Ein Umzug nach Rheinland-Pfalz brachte die Wende. Mithilfe von Einzelgesprächen bei der Caritas ging ich meine Persönlichkeits-Baustellen an. Nach einer gewissen Zeit spürte ich, dass mir das gut tat. Die Abstände zwischen den Ausflügen zum Glücksspiel sind sukzessive größer geworden. Seit Oktober 2007 bin ich komplett spielfrei.
Welche Auswirkungen hatte die Glücksspielsucht auf Ihr Leben?
Der Scherbenhaufen war enorm. Ich hatte einen großen Schuldenberg, dann ging die Ehe zu Bruch. Dazu wurde ich von der damaligen Ehefrau noch angezeigt, dadurch war ich vorbestraft. Außerdem entstand durch meine Insolvenz ein Berufsverbot. Freunde und Bekannte hatten sich schon längst von mir abgewandt.
Wie geht es Ihnen heute mit der Krankheit?
Heute merke ich an schlechten Tagen die Krankheit noch, habe aber inzwischen gelernt, damit umzugehen. Die Krankheit Glücksspielsucht wird mich ein Leben lang begleiten, aber ich will nie wieder dorthin zurück.
Rollentausch im Glücksspiel: Er unterstützt nun Süchtige
Welche Rolle spielt das Thema Glücksspiel heute noch in Ihrem Alltag?
Überhaupt keine mehr. Ich habe mich nach und nach von allem getrennt, was in irgendeiner Art und Weise mit dem Thema Glücksspiel zu tun hat und mir geht es gut damit. Wenn ich damals weitergemacht hätte, wüsste ich nicht wo das noch hätte hinführen sollen.
Beruflich sind Sie noch eng mit dem Thema Spielsucht verbunden. Was machen Sie genau?
Ich bin jetzt auf der anderen Seite und unterstütze andere Spielsüchtige sowie deren Angehörigen beim Ausstieg. Jeder Spielsüchtige zieht durchschnittlich zehn weitere Personen aus seinem Umfeld mit in die Sucht hinein. Das oberste Ziel ist es daher, dass die Angehörigen den Betroffenen nicht finanziell unterstützen. Das verlängert dessen Leidensweg. Ich rede dann mit den Betroffenen und rate ihnen, zum Beispiel in einer Beratungsstelle, nach Hilfe zu suchen. 2010 habe ich zudem eine Selbsthilfegruppe gegründet, in der sich Angehörige und Betroffene austauschen können und 2012 einen Verein, der sich dem Thema verschrieben hat. Auch Prävention und Aufklärung, aber auch Nachsorge sind wichtige Themen im Bereich des Glücksspiels. Die derzeitigen Angebote reichen noch nicht aus. Ich bin nun seit zehn Jahren in diesem Bereich unterwegs.
Was wäre aus Ihrer Sicht notwendig, um die Krankheit Glücksspielsucht besser zu behandeln?
Die Glücksspielsucht ist seit 2000 offiziell eine Krankheit, wird aber oftmals nicht als solche wahrgenommen, sondern immer noch als Charakterschwäche. Zudem verfügt der Glücksspielmarkt über eine starke Lobby. Zum Beispiel wird die Zahl der Betroffenen immer so niedrig wie möglich gehalten. Als ich vor zehn Jahren startete, waren es 200.000 Betroffene in Deutschland, diese Zahl wird auch heute noch genannt. Die geringe Transparenz und Aufklärung für die Glücksspielsucht sind ein Problem. Es wird kaum über die erheblichen Auswirkungen dieser Krankheit gesprochen. Gleiches gilt für die Prävention in Schulen und Kindergärten, die anders als bei Alkohol- und Drogensucht, nur wenig betrieben wird.
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