Food-Fotos überschwemmen die sozialen Netzwerke, Kochbücher verkaufen sich noch immer bestens: Essen ist ein Dauerthema. Doch über Geschmack lässt sich streiten. Woran liegt das eigentlich? Und: Kann man guten Geschmack lernen?

Diese Kolumne stellt die Sicht von Marianne Falck (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Mit Rosenkohl konnte ich als Kind gar nichts anfangen. Das ist erst einmal nicht verwunderlich. Bitterstoffe – die darin reichlich enthalten sind – lassen als Geschmacksnote eine Art innere Alarmglocke schrillen. Zu Urzeiten warnten sie uns vor ungenießbarem, verdorbenem, für uns "gefährlichem" Essen. Aber warum aß ich den ebenfalls bitteren Chicorée deutlich lieber? Wie also kommen wir auf den Geschmack?

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Mehrere Sinne zusammen bestimmen, ob uns ein Lebensmittel schmeckt oder nicht. Den Geschmack nehmen wir größtenteils über den Geruchssinn wahr. Ist dieser beeinträchtigt, etwa bei einer Erkrankung der Atemwege, schmecken wir weniger, anders – oder verlieren gleich ganz den Appetit.

Außerdem beeinflussen verschiedene Rezeptoren auf der Zunge den Geschmack. Für die Geschmacksrichtung "bitter" befinden sich in den sogenannten Papillen Geschmacksknospen mit 25 verschiedenen Rezeptortypen. Üblich sind nur ein bis zwei bei den anderen Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und umami.

Wie wir unseren Geschmack entwickeln

Unser Geschmackssinn beruht auf Erfahrungen, die wir abspeichern. Die Ausbildung beginnt schon im Mutterleib, denn das Fruchtwasser enthält Aromen aus dem Essen, das die Mutter zu sich genommen hat.

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Ein Baby, das nach der Geburt gestillt wird, nimmt über die Muttermilch ebenfalls wahr, was die Mutter gegessen hat. Daher folgender Tipp: Frauen sollten sich in Schwangerschaft und Stillzeit möglichst abwechslungsreich ernähren.

Wie geht es dann weiter?

Ein Kleinkind, das mit der Beikost beginnt, spuckt sein Essen beim ersten Probieren schon einmal aus. Das ist wenig verwunderlich. Einmal ist die Karotte – weich gedünstet – interessant, den Karottenbrei lehnt das Kind dagegen ab. Der Grund: Es muss nicht nur den Geschmack, sondern auch die Textur kennenlernen. Dabei spielt auch die Gewohnheit eine große Rolle. Zwischen 6 bis zu 15 Mal sollte ein Kind mit einem neuartigen Lebensmittel in Kontakt kommen, empfehlen Forschende.

Später probieren Heranwachsende auch ähnlich aussehende Lebensmittel oder Speisen, die von der Textur annähernd gleich sind. Dieses Prinzip gilt ebenfalls für Erwachsene. Es ist also tatsächlich so, dass wir uns an fast alles gewöhnen können.

Wir können bei ungeliebten Lebensmitteln unsere Geschmacksnerven sogar "überlisten", indem wir diese mit weiteren Geschmacksrichtungen kombinieren, etwa bitter mit süß. Auf dem Teller können so bekannte Lebensmittel mit noch ungewohnten Zutaten kombiniert werden: Birne mit Fenchel oder mit Radicchio. Die Süße im Obst mildert den bitteren Geschmack ab.

Wie bitter darf's denn sein?

Wie ich heute weiß, war meine damalige Abneigung wohl weniger den Bitterstoffen, sondern eher anderen Faktoren geschuldet: Zum einen der Zubereitungsart (zerkocht und fad gewürzt), zum anderen dem seltenen Aufeinandertreffen von mir und diesem Gemüse (nämlich nur in der Schulkantine). Heute dagegen, als Erwachsene, schmeckt mir Rosenkohl ausgezeichnet.

Abgesehen davon, ob wir etwas mehrfach probieren, beeinflussen auch die Gene unsere Geschmackspräferenzen und zum Beispiel die Frage, wie bitter es für uns sein darf. Das hängt damit zusammen, dass jeder von uns zwei Kopien des Gens TAS2R38 erbt. Es kodiert ein Eiweiß in den Geschmacksrezeptoren der Zunge und existiert in zwei Varianten, AVI und PAV genannt.

Wer beide Gene in der AVI-Variante hat, den lassen die verschiedenen Bitterstoffe im Essen kalt. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung sind Nichtschmecker, sie können die Bitterstoffe nicht oder nur in sehr hohen Konzentrationen wahrnehmen.

Menschen mit der Konstellation AVI/PAV bemerken diese Noten immerhin. Wer aber die PAV-Variante doppelt abbekommt, gilt als "Super-Taster" und nimmt bitter besonders intensiv wahr.

Zur Ausrede, um auf gesunde Lebensmittel wie Brokkoli oder Grapefruit zu verzichten, taugt das aber nicht: Denn für die Betroffenen schmecken einfach alle auch nur leicht bitteren Lebensmittel außergewöhnlich bitter. Also nicht nur Brokkoli und Grapefruit, sondern auch Bier oder Kaffee.

Ich bin – glücklicherweise – kein "Super-Taster". Meine Kinder habe ich schon früh an Bitterstoffe gewöhnt. Das ging überraschend schnell. Und auch ich habe im Erwachsenenalter gelernt, Rosenkohl zu mögen.

Warum mir Rosenkohl jetzt schmeckt

Dafür bin ich einmal über meinen Schatten gesprungen und habe Rosenkohl probiert. Und dann noch einmal – und noch einmal … Wichtig ist es, auch für Erwachsene, ein Lebensmittel mehrmals zu probieren, nicht nur einmal. Für einen Super-Taster allerdings ist dies ungleich schwieriger.

Für mich war die Zubereitungsweise ausschlaggebend: Ich habe den Rosenkohl im Ofen geröstet. Das ist wirklich unkompliziert – und lecker in vielen verschiedenen Variationen. Das Gemüse harmoniert gut mit Nüssen, mit einer Balsamico-Note oder auch mit einer Parmesankruste.

Mein Tipp für die Jüngsten am Familientisch: kleine Holzspieße zum Aufstechen anbieten oder die Röschen direkt mit Spieß am Tisch platzieren. Das verleitet, direkt zuzugreifen. Lassen Sie es sich bitte(r) schmecken. Guten Appetit!

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Verwendete Quellen

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