Es ist Samstagnacht in Leipzig, ich bin über das Wochenende zu Besuch bei meiner Freundin Paula. Auch dabei sind die besten Freundinnen und Freunde ihrer Mitbewohnerin – eine achtköpfige Clique, die sich schon seit Schulzeiten kennt. Wir alle sind zwischen 20 und 30, nur dass es da einen kleinen Unterschied gibt: Während Paulas Mitbewohnerin und ihre Freunde alle seit Äonen in ein und derselben Beziehung sind, bald heiraten und zusammenziehen, oder sogar bereits zusammenleben, sind Paula und ich stolz auf uns, wenn wir tatsächlich mal etwas Essbares im Kühlschrank haben.

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Der Besuch in Leipzig war ein Zwei-Tages-Ausflug in eine völlig fremde Welt. Denn normalerweise bin ich nur umgeben von Menschen, die noch ähnlich "jung" sind wie ich. Damit meine ich nicht das Alter, sondern die Lebensumstände und vor allem die Lebenseinstellung.

Dass meine engsten Freundinnen und Freunde und ich uns eigentlich alle ein bisschen verloren in unseren Lebensentwürfen fühlen, tritt bei uns allen auf unterschiedliche Weise zutage: Die einen vögeln sich von Clubtoilette zu Clubtoilette, die anderen sind froh, wenn ihr Konto zur Abwechslung mal nicht im Minus ist. Manche führen Beziehungen, die sie keinesfalls aufgeben wollen, die aber kompliziert sind und eine Menge Arbeit erfordern, andere suchen insgeheim nach einer Beziehung, können sich letztendlich aber doch nie wirklich auf jemanden einlassen. Einige sind ständig auf der Flucht in andere Länder und vor sich selbst, andere schaffen es einfach nicht, ihren Trennungsschmerz zu überwinden und igeln sich ein. Die einen verfallen in Depressionen, die anderen in Manie, und die nächsten schwanken ständig zwischen beidem.

Die Quarterlife Crisis: Ein Gefühl

Die Quarterlife Crisis ist ein Gefühl. Ob man es spürt oder nicht, hängt nicht unbedingt damit zusammen, ob man in einer Beziehung oder Single ist. Wie gesagt: Einige meiner Freundinnen und Freunde sind auch vergeben. Der Unterschied zwischen ihnen und den Freundinnen und Freunden von Paulas Mitbewohnerin besteht nur darin, dass meine Freundinnen und Freunde in ihren Beziehungen viel weniger gefestigt sind. Alle Paare aus meinem Umfeld sind in erster Linie nach wie vor kein gemeinsames Wir, sondern zwei einzelne Ichs.

Sie sind aber nicht nur weniger gefestigt, sondern auch weniger festgefahren in ihren Beziehungen. Eigentlich ist gar nichts klar, jeden Tag kann sich etwas ändern. Manchmal geht es bergauf, manchmal geht es bergab, Monotonie ist ein Fremdwort. Wenn ich meine Beziehung in einem Satz zusammenfassen müsste, dann würde ich wohl sagen: Es wird auf jeden Fall nicht langweilig.

Was bedeutet "normal" leben?

Als ich aus Leipzig zurück nach Berlin gefahren bin und wieder in meiner Bubble angekommen war, habe ich mich – wie so oft – gefragt, ob dieses Leben, das die Freundinnen und Freunde von Paulas Mitbewohnerin führen, nicht eigentlich das ist, was man unter "normal" versteht. Ob mein Leben und das Leben meiner Freundinnen und Freunde nicht eigentlich auch so laufen sollte: eine Beziehung, die ebenso langjährig wie langweilig ist, gemeinsame Wohnungssuche, Verlobung. Irgendwann einen Hund adoptieren, später dann Kinderplanung und Hausbau.

Und vor allem frage ich mich nach Wochenenden wie dem in Leipzig, ob mein Leben und das meiner Freundinnen und Freunde nicht eigentlich jetzt schon so laufen sollte. Ohne es zu wollen, fühlt man sich doch irgendwie unter Druck gesetzt. Eltern fragen "Wann kommen die Enkel?", und überhaupt wird in der Familie ständig darüber gesprochen, wie es denn wohl mal sein wird, wenn man selbst Kinder hat. Die meisten meiner Freundinnen und ich wissen nicht einmal, ob wir überhaupt jemals Kinder wollen und fühlen uns der Sache so ziemlich genau zu null Prozent gewachsen.

Wenn keine Kinder im Spiel sind, wozu dann zusammenziehen?

Dasselbe gilt fürs Zusammenziehen. Vor kurzem habe ich gehört, wie eine Frau sich darüber beschwert hat, dass ihr Freund sich nach sieben Monaten Beziehung noch nicht vorstellen konnte, mit ihr in einer gemeinsamen Wohnung zu leben. Und um ehrlich zu sein, verstehe ich den Reiz daran überhaupt nicht mehr. Mit meinem ersten Freund wollte ich auch unbedingt zusammenziehen, und zwar am besten so schnell wie möglich, aber mittlerweile kann ich den Gedanken tatsächlich nicht mehr nachvollziehen. Was bringt das alles auch, außer man plant, gemeinsam Kinder zu bekommen?

Anstatt sich zumindest ein bisschen Raum zum Vermissen geben zu können und sich wirklich zu freuen, wenn man sich wiedersieht, wird man gegenseitig zur Normalität, zur Selbstverständlichkeit, zu etwas, das man aus diesem Grund kaum noch richtig schätzen kann.

Mein erster Freund und ich haben letztendlich zwar zu keinem Zeitpunkt zusammengelebt, aber trotzdem die ganze Zeit aufeinander gehockt, und das auch direkt am Anfang der Beziehung. Die Folge war natürlich, dass wir uns nicht mehr wirklich aufeinander gefreut haben, nicht mehr aufgeregt waren, wenn wir uns gesehen haben, dass die Verliebtheit zwar anfangs sehr stark, aber nach kurzer Zeit auch sehr schnell wieder verflogen war. Wir waren Alltag füreinander, aber rückblickend kein besonders schöner.

Dem Alltagstrott entgehen

Meinen jetzigen Freund sehe ich seltener, was allein schon dadurch bedingt ist, dass er nicht in Berlin lebt. Obwohl wir uns mittlerweile seit knapp anderthalb Jahren kennen, bin ich auch heute noch jedes Mal aufgeregt, bevor ich aus dem Zug aussteige, und freue mich jedes Mal unermesslich, wenn ich ihn dann sehe. Ich bin noch regelrecht verliebt in ihn. Aber wir haben keinen gemeinsamen Alltag – was für mich völlig in Ordnung ist, weil ich dieses Gefühl von Alltagstrott überhaupt nicht haben möchte.

Doch jedes Mal, wenn ich auf Menschen treffe, von denen ich den Eindruck habe, dass sie – ob mit oder ohne Partner – genau dieses Alltagsleben führen, bekomme ich das ungute Gefühl, dass ich etwas falsch mache. Dass das die Art und Weise ist, auf die ich mein Leben eigentlich leben sollte. Dass alle um mich herum irgendwie weiter sind. Und dieses Gefühl erschlägt mich, obwohl ich tief in mir drin eigentlich gar nicht so weit sein will, wie es einige andere vielleicht sind.

Quarterlife Crisis: Wenn das Leben einen abhängt

Und das ist es, was die Quarterlife Crisis für mich ausmacht: Das Gefühl, vom Leben abgehängt zu werden, ohne genau zu wissen, weswegen überhaupt. Denn eigentlich ist doch alles ganz gut so wie es ist. Und eigentlich gibt es überhaupt keinen Grund, sich schon jetzt wegen Dingen unter Druck gesetzt zu fühlen, die man irgendwann in der Zukunft eventuell auch einmal machen oder haben möchte – oder auch nicht, wer weiß das schon?

Jeder lebt in seinem eigenen Tempo, und ohne Zweifel ist dieses individuelle Tempo ganz intuitiv richtig. Was für dich bestimmt ist, findet zum richtigen Zeitpunkt seinen Weg zu dir, und was für den Moment nicht sein soll, zieht an dir vorbei.

Eigentlich kein Grund für Krise. Aber das Gefühl bleibt.

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